CAMERA OBSCURA am 08.10.2009 im Postbahnhof


Straßen der Verjüngung, mit Zucker gepflastert.



Zwischen den Auftritten ist Stille, scheinbar bewegungslose Masse. Bis in den düster schweren Hallen des Postbahnhofs einmal mehr ein gewisser Country-Sänger aufgelegt wird. Die Dame neben mir scheint ihn zu kennen, sachte schunkelt sie mit. Neben dieser Dame, die ich Gitti nenne, steht ihr circa 50-jähriger, schnurrbärtiger Mann, er blickt sich mit einem Interesse um, das irgendwo zwischen Schaulustigkeit und Gehemmtheit schwankt. Gitti ist schätzungsweise Mitte Vierzig, sie trägt eine kurze, blondierte Dauerwelle, ein Pullover ist um ihre karierte Behüftung gebunden. Rund um ihre Augen ist hellblauer Lidschatten verteilt, extra für diesen Abend wird er mit einer Ausstrahlung mütterlich gutmütigen Erlebenseifers zur Schau gestellt. Aus den Lautsprechern tönen inzwischen lebhafte 60s-Melodien, die Bühne ist mit einem Nebel eingehüllt, der nach einem kurzen Austausch eines Lächelns zwischen Gitti und mir vier Herren und zwei Damen in reizenden Kleidern weicht.

CAMERA OBSCURA sind heute sechs Menschen in lieblicher Garderobe, die als ersten Song nun ihr schwärmerisch-verspieltes ‚My Maudlin Career‘ vom gleichnamigen Album anstimmen. Küsse auf die Stirn, charmante Hymnen, untermalt von einer aufgeweckten Klavierspielerin im Blumenkleid und Sängerin Tracyanne Campbell, die seltsam abgeklärt wirkt. Kaum lächelnd verpackt sie schmerzliche Liebesklagen in fröhlich beschwingten Zuckerpop. Ein Gegenentwurf zur musikalisch formulierten Wehklage, eine schottisch-akustische Tragikomödie sozusagen bietet die Band einem dar. In ein kollektives Schunkeln verfällt dadurch das Publikum, Gitti eingehakt mit Mann, der sich inzwischen etwas wohler zu fühlen scheint, vielleicht ist ihm so manch eine Gemeinsamkeit mit den üblichen musikalischen Tanzabenden seines Vereinsheimes aufgefallen. Der Unterschied zu selbigen Darbietungen ist dem Paar dann wohl auch einerlei: das dort auf der Bühne sind keine Animateure mit Dauergrinsen, CAMERA OBSCURA wirken routiniert und lassen zwischen Bühnenpräsenz und musikalisch dargebotenem Liebreiz auffallende Diskrepanzen entstehen. Doch das ist ja auch das Gute daran: sie haben es gar nicht nötig, die Musik steht ganz für sich selbst, und das ist schön. Denn „Schönheit“, darauf legen die Glasgower nichtsdestotrotz Wert – wie Sängerin Tracyanne kurze Zeit später erklärt, erkenne sie im Berliner Publikum gar einige Menschen wieder, Menschen mit schönen Gesichtern, denn an solche erinnere sie sich immer.

Gitti strahlt. Und so schunkelt es sich weiter, es wird gewippt, gewogen und gelächelt. Und als nach zwei Zugaben schließlich alles zu Ende ist, geht ein Paar nach Hause, und im Stillen herrscht unter ihnen die freudige Gewissheit, sich so jung zu fühlen wie schon lange nicht mehr.

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Autor: [EMAIL=lisa.forster@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Lisa Forster[/EMAIL]

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