COCOROSIE am 10.06.2009 im Astra Kulturhaus


Mehr ist manchmal weniger.



Vor dem Astra kann man noch ein paar Straßenkünstler beobachten, die eine nette Version von Reisers ‚Junimond‘ darbieten, bevor man dann ins verrückte Getümmel Berliner Konzertgänger eintaucht. COCOROSIE haben sich angekündigt, und viele sind dem Ruf gefolgt. Da die beiden Schwestern Sierra und Bianca durchaus einen Namen in der Indieszene haben und als Avantgarde mit Pop-Touch gelten, war die Nachfrage im Vorfeld des Konzerts erklärlicherweise so groß, dass sich die Veranstalter entschlossen, das Event vom ursprünglich geplanten Lido in das größere Astra zu verlegen.

Im bereits gut gefüllten Außenbereich des Clubs kristallisiert sich dem wachsamen Beobachter ein Publikum heraus, welches dem einer Modenschau gleicht und das anscheinend die versammelte Mannschaft von Berlins schrägsten Vögeln birgt. Der bunte Haufen kommt in Bewegung als die ersten Klänge von innen ertönen. Es wird HipHop gespielt, und man kann auf der Bühne die Ansammlung von Instrumenten bestaunen: ein Flügel, E-Drumset, DJ-Pult, Bass, die obligatorischen Mikrophone und zu guter Letzt noch eine Harfe. Dicht gedrängt steht man in zur Bühne hin immer schlimmer werdenden Hitze. Jetzt glaubt man auch, dass das Astra angeblich 1000 Leute fasst. Man kann bei genauerem Hinsehen ab und zu Schweißperlen eine Stirn herabrinnen sehen oder T-Shirt-Schütteln zum Zweck der Abkühlung beobachten. An diesem Abend sind es wohl gefühlte 1001. Coco und Rosie lassen ein wenig auf sich warten. Samples von Vogelzwitschern bieten die Unterhaltung in der schweißtreibenden, unruhigen, ohne Vorband ablaufenden Wartezeit, bis der eigentliche Zirkus losgeht.

Der Wille ist da, jeder will ein Spektakel sehen. Das Schwesternpärchen gibt einen divenhaften Auftritt. Gewohnt modisch präsentieren sich die beiden in Outfits, die man wohl getrost irgendwo zwischen gewolltem Indie/Gipsy und Haute Couture einstufen könnte. Auch ihre Attitüde schwingt drastisch: zwischen zwei verspielten, kindlichen Mädchen, die einen Aufzählreim und Klatschspiel in ihre musikalische Performance integrieren und den koketten, selbstbewussten Frauen, die „Go out, put on your prettiest dress. Not for your man, but for yourself!“ als Zugabe auf schwere HipHop-Beats skandieren. COCOROSIE spielen bewusst stark mit Extremen. Besonders stark fällt diese gelegentlich schizophren anmutende Art eben auch in ihrer Musik und bei ihrem Auftritt auf.

Generell kann man musikalisch gar nichts an den jungen Damen oder ihren Livemusikern, bei denen besonders der Pianist heraussticht, aussetzen. Das einzige, was ab und an auffällt, ist der etwas zu übersteuerte Bass, aber ansonsten bieten die Schwestern alles in bester Form dar: die quäkige, Quasi-Sprechstimme gepaart mit engelsgleichem Gesang, der manchmal so gut ist, dass böse Zungen von Playback sprechen werden. Freak-folkige Tiergeräuschsamples vom DJ und alle möglichen lustigen Percussions vom E-Drum. Zwei erklatschte Zugaben für das geduldig ausharrende Publikum nach einer sehr langen regulären Spieldauer. Ein Song von der erst kürzlich erschienenen EP und das seltene Cover vom Kevin Lyttles Song ‚Turn Me On‘.

Überraschend ist, dass ein Hit wie ‚Rainbowarriors‘ seinen Weg nicht ins Set findet und der Rest der Musik auch sehr ruhig und balladesk ausfällt. Es wirkt fast so, als ob man das Geburtstagskind Sierra still und spirituell feiern möchte und nur wirklich bei der Zugabe ausgelassen auf die Pauke haut, bei der die Protagonisten einige durchaus anschaubare Tanzeinlagen auspacken. Derart auffällige Regungen im Publikum bleiben weitestgehend aus, nur bei Höhepunkten wie ‚Terrible Angels‘ oder bei den anderen üblichen Verdächtigen, wie ‚By Your Side‘, ‚Japan‘ und dem auch ohne Antony Hegarty bestens wirkenden ‚Beautiful Boyz‘ werden kurze Zuckungen sichtbar.

Die Zuschauer sind der Knackpunkt des ganzen Konzerts. Irgendwie ist die Masse unbewegt und dröge, nur vereinzelt sieht man Leute wirklich ausgelassen feiern. Mögliche Erklärungen sind schnell gefunden: Vielleicht ist das Astra zu groß und raubt somit ein wenig die intime Atmosphäre. Vielleicht aber war es eben durch die Überfüllung zu warm und anstrengend fürs Publikum, oder aber die Leute sind einfach zu verzaubert von der Darbietung der Künstler oder nach zu hoch geschraubten Erwartungen einfach enttäuscht und gelangweilt. Der Möglichkeiten gibt es viele, Fakt jedoch bleibt, dass eine wirkliche Bindung zwischen Künstler und Zuhörern merklich fehlt, und so haucht Sierra nur dann und wann ein schüchternes „Thanks“ ins Mikrophon und widmet sich dem nächsten Song. Das Resultat ist, dass eine Menge der Verrückten und Modeenthusiasten deutlich vor Ende des Gigs den Konzertsaal verlässt und ein fader Beigeschmack bleibt.

Ob nun als exorbitante Pop-Oper gefeiert oder als Schmierenmusical mit Zoocharakter beurteilt. Ob nun als stilvoll und originell betitelt oder aber als gekünstelt und pseudoesoterisch verschrien. COCOROSIE scheinen immer Extreme im Urteil der Menschen hervorzurufen, aber im Fall dieses Konzerts muss man vielleicht mit gewöhnlichen Attributen arbeiten und sich so eines nicht so krass ausfallenden Fazits bedienen. Wie wäre es mit folgendem: eher verhalten und schlichtweg okay.

http://www.cocorosieland.com
http://www.myspace.com/cocorosie

Autor: [EMAIL=marius.funk@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Marius Funk[/EMAIL]

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