KASHIWA DAISUKE am 18.06.2009 im Berghain


„I’m Kashiwa Daisuke and I’m having a good time.“



Und da sagt man doch immer, Pünktlichkeit sei eine deutsche Tugend. Exakt auf die Minute genau um 20:30 Uhr bahnt sich ein kleiner asiatischer Mann im schwarzen Cardigan über weißem Hemd, legeren Jeans und mittellangen, glatten gescheitelten schwarzen Haaren den Weg zur Bühne. Der kleine Mann hat eine Mission, die sein unscheinbares Äußeres auch beim zweiten Blick wohl nicht vermuten lässt: Allen zeigen, dass er zum erlauchten Kreis der besten experimentellen Künstler der Welt gehört. Für den Beweis jenes Unterfangens hat er sich keinen geringeren Ort als das Berghain ausgesucht, jenem mystifizierten modernen Umbilicus Urbis der Clubwelt.

Zwar muss sich KASHIWA DAISUKE den Weg zum DJ-Pult nicht gerade erkämpfen, denn das Publikum ist nur ein kleiner Kreis Auserlesener, bestehend aus Sitzpublikum oder aber jenen Stehenden, die – sei es nun aus Ehrfurcht oder aber Skepsis – in guter Distanz beobachtend verharren. Doch davon lässt sich der in Hiroshima Geborene nicht beirren. Angekommen, stellt er sein Bier ab und lehnt sich über die zwei aufgebauten Notebooks – es ist die exakte Kopie seiner Promobilder. Gibt man bei der Google Bildersuche „Kashiwa Daisuke“ ein, so bemerkt man schnell, dass jedes Bild des Künstlers ihn über seine zwei Computer gebeugt nebst weiterem technischem Equipment darstellt.

Während man noch einige visuelle Eindrücke bestaunt – die kalten Stahltreppen an von sterilem grünen und blauen Licht bestrahlten massiven Wänden des Bauchs dieses Club-Kolosses, der einen die, wenn auch beeindruckende, düstere und industrielle Atmosphäre von Tristesse und Monotonie nur wie schwerste Molasse verdauen lässt –, fliegen bereits erste Soundflächen mit immer wieder einhackenden Störgeräuschen durch den Raum. Emsig werkelnd und immer wieder drollig tanzend bietet DAISUKE ein Intro voller Überraschungen. Aufkommende Pianosounds werden mit tumultartigen Geräuschen zusammen geschmissen, krasse Komplexbeats aus dem Bereich des Drum’n’Bass wirbeln die Gefüge auf, immer wieder zerschneiden und zerhacken sich asynchron nebeneinander her verlaufende Tonspuren, um dann doch wieder in ruhige, kurze ruhige Ambientparts mit minimalistischem Piano überzugehen.

Mit Unterstützung der exzellenten Anlage des Berghains zeichnet der Japaner Horrorszenarien und trifft doch gleichzeitig in aller Konfusion auch wahnsinnig schöne und wirklich geniale Momente, in denen trotz der Vielzahl der Elemente sehr gute flüssige und auflösende Momente Übergänge bilden. Nach ziemlich exakt einer halben Stunde kehrt dann Stille in den Saal – überraschend für ein Liveset von einem DJ, und dann wird auch noch geklatscht. Die erste Komposition von DAISUKE scheint beendet, und ein dünnes Stimmchen bedankt sich leise und schüchtern ohne Mikrophon in den Raum hinein: „I’m Kashiwa Daisuke from Tokyo, Japan. I’m having a good time. Dankeschön!“

Noch ein dickes Lächeln und der zweite Teil, der betont industriell anfängt, ist bereits im Anrauschen. Zum ersten Mal ist die Musik, wenn überhaupt, mit anderer vergleichbar. So ähnelt sie anfänglich der von Tympanik Audio, besonders die Atmosphäre kommt sehr nahe an einen der Künstler des Labels, Totakeke. Zum ersten Mal kommen auch wirklich geradlinige Beatstrukturen in DAISUKES Set vor. Nachdem der erste Teil stark experimentell ausgefallen war, widmet er sich nun einigen sehr tanzbaren Einlagen. Mitunter kommt auch das erste mal ein Four-To-The-Floor Elektrobeat, bei dem der Track sukzessives, langsames Hinzufügen von einem Element zelebriert, bekannt vor allem aus der Richtung Minimal.

Neben dann folgenden Breakbeats und den deutschen Samples von seinem Song ‚Black Lie, White‘ folgt wieder eine kurze Pause, in der der DJ DAISUKE etwas leise und unverständlich mit einem Augenzwinkern und breiten Grinsen in die Menge murmelt, um dann seinen Track ‚Requiem‘ zu mixen. Das Ergebnis ist ein hypnotischer Track, der die Albumversion deutlich übertrifft. Prägnante klassische Samples werden von aggressiven, knallenden Beats untermalt und gehen in einen wirklich schaurig guten Break über, der dann letztendlich in einem Stakkato mündet. Ein Knall und vorbei. Gerade pünktlich wie ein Blick auf die Uhr verrät. Wieder exakt eine halbe Stunde. Mission erfüllt.

Ruhig klappt der unscheinbare junge Mann seine beiden Laptops zu, greift nach seinem Bier und schlurft zurück ins Publikum, als ob nichts gewesen wäre und er eben gerade nicht eine Wahnsinnsshow geboten hätte. Da bleibt einem nur noch eins übrig zu sagen. Thank you, Mr. Daisuke. We are from Berlin, Germany, and we had a great time!

http://www.kashiwadaisuke.com
http://www.myspace.com/kashiwadaisuke

Autor: [EMAIL=marius.funk@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Marius Funk[/EMAIL]

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