Die Andere Seite – Epithymia

Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man TOM SCHILLING als einen der Vorzeigeschauspieler Deutschlands bezeichnet, man denke nur an Tod den Hippies!! Es lebe der Punk (2015) oder den letztjährigen Instant-Klassiker Fabian oder Der Gang vor die Hunde. Noch im November 2021 spielte er mit seiner Band THE JAZZ KIDS, die er seit 2015 anführt. Nun folgt sein Soloprojekt DIE ANDERE SEITE.

Intellektuell informiert ist der leise Post-Rock „Das Lied Vom Ich“: Während SUBWAY TO SALLY mit „Rätsel Teil 1 und 2“ Gott zu fassen versuchten, will Schilling das Freud’sche Es beschreiben („Ich bin das Andere, das dir fehlt.“), das Lacan’sche Reale („Ich bin die Leere, die dich quält.“) und den Nietzschianischen „Abgrund, der dich anschaut.“ Hier ist jenes andere Ich auch noch ein Abjekt („Ich bin der Fleck auf der weißen Wand.“).

Es folgt mit „Aljoscha“ eine ruhige Akustikballade, ja ein Kinderlied. Der Junge, der hier ausreißt, erinnert an „A Boy Unseen“ von DAVID WELFARE. Dachte PETER FOX mit „Haus Am See“ geradezu sehnsüchtig an das Alter, wünscht sich Schilling in „Die Weide“ ebenfalls eine glückliche Zukunft, ist sich aber nicht sicher, ob sie kommen wird („Ist das Schicksal uns wohl geneigt?“). Hat CLUESO im letzten Jahr mit „Heimatstadt“ Erfurt hochgehoben, betrauert Schilling „Gera“ als „der einst stolzen Stadt. Sie blutet aus.“ Der Berliner hat ihr Ende vor Augen. Und so wirkt „Die Königin“ wie ein Soundtrack zu Fabian, in der er seine Sehnsucht nach einer Frau beschreibt, die schon am Morgen wieder fort ist: „Lass mich sterben, bevor du mich verlässt.“ Nicht ohne Grund heißt das Album Epithymia nach der antiken Seelenschicht der Begierde.

Nein, es sind keine neuen Diskurse, die Schilling hier formuliert, mag er sie auch poetischer ausdrücken als andere. Es ist seine Negativität und sein dunkler Pop, der sie mit Bedeutung auflädt. Er singt in klaren Sätzen und fügt die harten Gitarren- und Drumschläge so zusammen, dass er beim Gothic ankommt („Ins Nichts“).

Schon mit seinem Album Vilnius (2017) war klar, dass Schilling mit Musik umzugehen vermag. Überraschend unterkühlt ist der Ausdruck. Man darf gespannt sein, ob er sich mit diesem Ansatz auch als Musiker etablieren kann.

 

Die Andere Seite
Epithymia
(Virgin Music)
VÖ: 22.04.2022

www.dieandereseiteshop.com

Live

17.05.22, Salzwedel, Club Hanseat
18.05.22, Hamburg, Grünspan
19.05.22, Frankfurt/Main, Mousonturm
25.05.22, Berlin, Lido
29.05.22, Dresden, Schauburg
30.05.22, Leipzig, Neues Schauspiel
29.05.22, Köln, Kulturkirche

FacebooktwitterpinterestlinkedintumblrmailFacebooktwitterpinterestlinkedintumblrmail