DIE GOLDENEN ZITRONEN am 06.10.2006 im Postbahnhof


Das bisschen Totschlag.



Das kann diese Band nicht auf sich sitzen lassen: Mit ‚Diese Menschen sind ehrlich‘ hat sich in den letzten Jahren doch wieder ein echter Punkrockhit ins Repertoire der Goldenen Zitronen eingeschlichen- „Jetzt kommt unser härtestes Stück“ kündigt SCHORSCH KAMERUN den Titel noch bedrohlich an, bevor die Hamburger, diese zynischste und misanthropischste aller Gesellschaftsbetrachtungen, welche die Band je vorgenommen hat, aufs Gemeinste und allen Partygierigen zum Trotz, verschleppt und lethargisch in den Postbahnhof tragen.



Bis dahin war es allerdings eine einzige Freude, dem bunten Quasi-Best-Of–Programm der Hamburger zu lauschen: ‚Lenin‘, ‚Angst und Bange am Stück‘ und ‚Wenn ich ein Turnschuh wär‘ eröffnen den Abend bereits höchst facettenreich. Die Band ist in schwarze Lederjacken gewandet, verharrt schließlich in „Rockposen“, die Rücken dem Publikum zugewandt, Kunstnebelschwaden und Gegenlicht, Instrumente in die Höhe gereckt – alles gewohnt ätzend kommentiert von SCHORSCH KAMERUN: „Die Band wurde nach bestimmten Kriterien gecastet – alles also sehr männliche Typen auch!“ Das Publikum soll mit Buhrufen und Mittelfingern das Spektakel beenden, und die zahlreichen Gäste kommen der Aufforderung gerne nach. „Gott, wie ich euch hasse“ schmunzelt KAMERUN, bevor sich die GOLDENEN ZITRONEN weiter durch die Höhepunkte ihrer musikalischen Post-Funpunk-Phase schaufeln: TED GAIER und sein patentiertes Anti-Gitarrenspiel, MENSE REENTS und THOMAS WENZEL an Tasten und Saiten sowie ENNO PALLUCA und STEPHAN RATH an zwei(!) Schlagzeugen sorgen dafür, dass an diesem Abend nichts spröde, oder gar langweilig daherkommt – dafür steckt zuviel Energie und auch Hitpotenzial in Stücken wie ‚Menschen haben keine Ahnung‘ oder ‚ICE…‘ Schade, dass ‚Flimmern‘ nicht gespielt wurde, aber ein großes „Danke!“ für den Gaga-Dialog zwischen SCHORSCH und MENSE in ‚0:30 Gleiches Ambiente‘: „Magst du Literatur? Und große Fische? Dann hab ich hier was für Dich: Moby Dick!“



Der Zugabenteil gerät ausführlich, laut und feedbackig – wer ‚Das Bisschen Totschlag‘ und ’80 Millionen Hooligans‘ vorher noch nicht kannte, wird nun nicht schlauer oder aufgeklärter sein, aber langjährige Fans danken es der Band mit einer tollen Stimmung! Und das sorgenvolle, gebetsmühlenartige ‚Mila‘ („Eine aufgeladene Prepaidkarte macht noch keinen eingeladenen Freundeskreis“) vom aktuellen Album Lenin setzt gegen Ende nochmal einen wunderbaren Akzent.



Es bleibt, wie es war: DIE GOLDENEN ZITRONEN haben sich einen musikalisch-eigenwilligen und höchst reizvollen Kosmos geschaffen, in dem Gesellschaftskritik größer denn je geschrieben wird und stereotype Formate keine Chance haben. Spaß und „Crowdpleasing“ inbegriffen!

Fotos (c) Heiko Bartels

www.die-goldenen-zitronen.de
www.loft.de

Autor: [EMAIL=heiko.bartels@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Heiko Bartels[/EMAIL]

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