DIE TÜREN – Berliner Act des Monats November 2007


Mit relativ guter Laune und Aldi-Ästhetik zurück in die 70er.



Immer nur der typische Indie-Schick mit rotzigen Gitarren, Szene-Frisuren und 60er-Anleihen – das muss doch nicht sein! DIE TÜREN verbinden auf ihrer neuen Platte gutgelaunten Pop mit Elementen aus 70s-Soul und ironischen, aber durchaus gesellschaftskritischen Texten. Klingt merkwürdig, funktioniert aber erstaunlich gut und ist derzeit auch ziemlich einzigartig. BiB sprach mit Frontmann MAURICE SUMMEN, der auch als DJ Quersummen auflegt und zudem das Label Staatsakt betreibt, auf dem neben DIE TÜREN bislang u.a. Ragazzi, Glacier und Good Heart Boutique veröffentlicht haben.

BiB: Ihr habt mit Popo jetzt gerade euer drittes Album fertig, nach Das Herz war Nihilismus (2004) und Unterwegs mit Mother Earth (2005). Vielleicht kannst du kurz umreißen, wie sich die Band von den Anfängen bis jetzt entwickelt hat.

MAURICE SUMMEN: 2003 haben RAMIN, GUNTHER und ich uns hier in Berlin wiedergetroffen – wir sind alle aus dem Münsterland und kennen uns schon seit der Jugend. Ich hab dann zwei Jahre lang mit Gunther in einer WG gelebt, und aus der Zeit sind auch die ersten beiden Platten. RAMIN hatte damals schon ein kleines Homestudio, und wir haben dann am Computer so Zeugs gemacht. Das ging über’s Netz und kopierte CDs in Berlin in die Szene, aber auch nach Hamburg und sonstwohin und wurde innerhalb von drei Monaten ziemlich bekannt. Also haben wir uns entschlossen, die erste Platte rauszubringen, was dann auch die Gründungstunde von Staatsakt als Label war. Ohne irgendwelche Promoaktivitäten war die Erstauflage von 1000 Platten dann innerhalb von etwa 10 Tagen vergriffen. Das war damals schon recht spektakulär. Es folgten Touren und recht schnell die zweite Platte. Die Single ‚Drinnen ist wie draußen‘ hatte dann auch erstmals Radiorotation. Live waren wir anfangs immer nur zu dritt, um Kosten zu sparen, haben uns dann aber um Schlagzeug und Keyboarder erweitert. Wir fanden das Thema „Pop am Computer“ für uns erstmal abgearbeitet. Und jetzt haben wir sozusagen zum ersten Mal eine Platte als Band aufgenommen. Wir sind auch alle gleichberechtigte Partner, was diese Platte angeht. Die Songs stammen zwar zum Teil noch aus unserer Zeit zu dritt, aber an den Arrangements und dem Sound haben alle gleichermaßen gearbeitet.

MICHAEL MÜHLHAUS, der früher bei Blumfeld aktiv war, sitzt jetzt neu bei euch am Keyboard. Wie kam es dazu?

Man kennt mittlerweile viele Leute. Die Indieszene ist ja nicht so groß. Und als wir mal rumgefragt hatten, wer einen Keyboarder kennt, fiel aus mehreren Richtungen der gleiche Name.

Inwieweit seid ihr denn eine Berliner Band oder eine Ansammlung von Zugezogenen?

Wir wohnen ja mittlerweile alle schon fünf bis acht Jahre hier. Die Stadt hat uns mit geprägt. Zum einen ist sie ein guter Ort des Rückzugs geworden. Das klingt absurd, wenn man von Lande kommt, wie wir. Aber auf dem Dorf gibt es nunmal nicht den Hauch von Anonymität. Obwohl wir hier im Kiez (hinter der Schönhauser Allee, Anm. d. R.) alle sehr familiär leben – man kennt seinen Bäcker und seine Nachbarn -, aber trotzdem ist das eine gute Mischung. Man kann gut arbeiten, ist inspiriert, das Tempo in der Stadt ist sehr schnell, man kann sich aber auch zurückziehen und findet Zeit, das alles Revue passieren zu lassen. Da ist Berlin für uns schon die optimale Stadt.

Matze Einhoff von Ragazzi

Ihr selbst schreibt in eurem Presseinfo von einer „Platte voller Soul-Explosion-Hits“ und der Wiederentdeckung des „staubigen Sounds der 70er“. Wie seid ihr zu diesem Sound gekommen?

Diese „staubigen Sounds“ sind eine persönliche Vorliebe, denn ich bin in den 70ern groß geworden, 74er Jahrgang. Mein Vater war DJ und hat Soul und sowas aufgelegt, daher fand ich den Sound immer familiär und vertraut. Über all die Jahre hab ich das als ästhetische Grundpräferenz gesehen. Dieser analoge, warme Sound, nicht dieses stark Komprimierte heutiger Produktionen, die einen so anspringen wollen. Etwas Luftiges, weniger Aufdringliches. Das hat für mich auch etwas Gemütliches.

Ist das auch eine Reaktion auf die Welle von den 60ern beeinflusster Garagen-Bands?

Das auch. Wenn sich alle darauf beziehen, ist das ja erstmal nur eine Mode, die nicht ewig funktioniert. Ich persönlich habe genug 60s-Garage-Platten gehört, mag das auch alles, aber man kann ja nicht so tun, als würden alle anderen Stile und Genres deshalb nicht existieren. Die sind gerade nur etwas unterrepräsentiert. Wir haben uns einfach die Musik ausgewählt, die wir selbst gerade gerne hören, und versucht, das in die Jetztzeit zu transportieren.

Inwiefern gibt es da Unterschiede zu euren Platten davor?

Vorher war das eigentlich so eine ganz große Zitatmaschine, aus der jetzt schon eher eine Songmaschine geworden ist. Auch dadurch, dass man jetzt auf Bandsound angelegt ist. Die ersten beiden Platten sind wahnsinnig schnell, in einem punkrockigen Tempo entstanden: also Songwriting und Produktion teilweise in zwei Stunden oder so. Früher haben wir einen Text geschrieben, den habe ich sofort eingesungen und das war’s. Heute haben wir uns zum ersten Mal ein Jahr Zeit genommen, daran zu arbeiten. Man sucht natürlich auch nach neuen Möglichkeiten, wohin man mit einer Band gehen kann.



Weg von der Zitatmaschine? Rein textlich ist da aber doch noch einiges drin. Man findet ja etwa ein Zitat von Grönemeyer („Wann ist ein Mann ein Mann?“ wird zu „Wann ist ein Mann ein Hahn?“), um nur mal eines der offenkundigsten zu nehmen.

Das stimmt schon, aber das sind eigentlich kleine Ausrutscher, augenzwinkernde Momente. Man muss ja in der Popmusik zitieren können, das ist die Landkarte, mit der man sich bewegt. Hin und wieder fällt einem dann so ein Schenkelklopfer ein – manchmal lässt man ihn drin, manchmal streicht man ihn raus. Uns ist erstmal nichts peinlich. Wenn wir ein Zitat finden, das die Leute peinlich berührt, liegt das ja nicht an uns, sondern dann ist das ja vielleicht allen peinlich.

Und wenn es doch peinlich ist, könnt ihr immer noch sagen „Uncool ist das neue cool“ (ein Vers aus dem neuen Song ‚Daddy Uncool‘).

Ja, dieses Coolsein ist auch etwas, was uns gestört hat in der letzten Zeit. Dass die Indierock-Kultur sehr cool geworden ist in Sachen Styles und Sounds. Da kann man schon vom Sieg der Rolling Stones sprechen: Man hat das Gefühl, man hat nur noch lauter Mick Jaggers um sich herum, Sex, Drugs und Rock’n’Roll und alles. Aber man muss doch auch mehr über sich selbst lachen können, sich nicht so ernst nehmen, finden wir. Mehr Abstand von den Styles, lieber hin zu den Inhalten. Viele Bands verlangen von den Leuten eine eher verkrampfte Haltung den Dingen gegenüber, sie sind zu steif im Umgang mit Stilen und der Kombination verschiedener Elemente. Gerade in Deutschland machen es sich viele Bands zu leicht.

Wie steht es um die ideologische Komponente eurer Texte? Das Thema Arbeitslosigkeit kommt an einigen Stellen zum Vorschein…

Mir geht es da sehr um die Definition von Arbeit und Freizeit. Das ist mittlerweile schwer auseinander zu halten. Dann ist da die Frage: Was wird bezahlt? Viele Leute arbeiten in Call-Centern oder kellnern, arbeiten aber gleichzeitig an einer anderen Form der Selbstverwirklichung. Hat man nicht mittlerweile in unserer Gesellschaft die Möglichkeit, die Leute in die Jobs zu bringen, in denen sie wirklich arbeiten wollen? Und gibt es nicht eventuell die Möglichkeit für Menschen, das ganze Leben über lernen zu können? Mit 30 oder so fällt man aus den ganzen Finanzierungsmodellen raus, und dann gibt es nur die Modelle des Arbeitslosen und des irgendwie Angestellten, nichts dazwischen. Wir wurden früher immer in Hinblick auf Selbstverwirklichung erzogen… Es wird eine große Herausforderung für die Gesellschaft sein, in Zukunft Modelle zu finden, die da flexibler sind und den Menschen mehr Möglichkeiten geben. Sollen Leute, nur weil sie zu spät ihre Interessen entdeckt haben, ihr Leben lang einen Job machen, der sie ankotzt? Und sollen sie anderen Leuten, die ihn gern machen würden, diesen Job wegnehmen? Das sind so Fragen, die uns beschäftigen, und deshalb kehrt das Schreckgespenst Arbeitslosigkeit auch immer wieder in die Texte zurück, weil es ja auch eine Angstmaschinerie ist. Der begegnen wir dann mit relativ guter Laune.



Dann sind da noch das Aldi-Coverdesign und der Albumname Popo.

Bei uns in der Kleinstadt war es früher ein Skandal, wenn man mit einer Aldi-Tüte z.B. seine Sportsachen transportiert hat, weil es immer ein Zeichen von Armut war. Andererseits fanden wir, dass das Design eine sehr poppige und zeitlose Ästhetik hat, fast schon Bauhaus. Dieses Minimale und Discounter in Pop – Aldi ist ja auch ein Teil von Popkultur, die verkaufen ja Computer und alles mögliche – das passte ganz gut zur Platte, was den Inhalt anging. Ästhetisch hat es was Verweigerndes, wir fanden es aber trotzdem irgendwie schön, sogar stylisch auf eine Art.
Der Albumtitel enthält dann das Wort „Pop“, und „Popo“ klingt dann schon wieder ein bisschen dadaistisch. Zusammen mit dem Artwork ist das so eine Durcheinanderbringung der Codes. Unschick gepaart mit Pop und einer netten, behutsamen Bezeichnung für „Arsch“. Diese merkwürdige Mischung von Codes finden wir gerade sehr zeitgemäß, um auch zu sagen, dass man seinen derzeitigen Standpunkt nur auf eine sehr krude Weise überhaupt definieren kann.

‚Die Welt wird mich von meiner spießigsten Seite kennen lernen‘ klingt nach Anflügen der ersten Midlife-Crisis.

Ja, kann man so sagen. Als wir angefangen haben, gab es immer das System als Feind, der Kapitalismus mit seinen Machenschaften, Ideen, seiner Ökonomie und Hierarchie. Und irgendwann findet man sich 20 Jahre später wieder, in familiären Kontexten, in rein existenziellen Ängsten. Man sieht, dass nur die Anfreundung mit dem System überhaupt erst eine gewisse Überlebensstrategie sein kann. Das heißt, man bewegt sich immer mehr in Lebensbereiche, die man früher als spießig bezeichnet hätte. Auch die Ängste und alltäglichen Probleme von heute hatte ich früher bei mir als spießig bezeichnet. Insofern sehe ich mich mit der Zeit eher verkrampfter werdend. Ich kann nicht ewig jugendlich, jung, frisch und blauäugig durch die Gegend laufen, muss mich um meinen und den Lebensunterhalt anderer Leute kümmern, bin in verantwortungsvollen Positionen. Da kann ich nicht mit einem Bier in einem Club stehen und so tun, als ob der Button an meiner Jacke die Probleme in aller Welt lösen würde. Auch wenn Werber sagen, die Jugend geht heute bis 50 – also, bei mir funktioniert das irgendwie nicht!

DIE TÜREN
Popo
(Staatsakt/ Indigo)
VÖ: 16.11.2007

www.dietueren.de
www.myspace.com/dietueren
www.staatsakt.com

Fotos: (c) DIE TÜREN
Autor: [EMAIL=sebastian.frindte@bands-in-berlin.com?Subject=Kontakt von der Website]Sebastian Frindte[/EMAIL]

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