EDITH FROST + ESPERS + BARDO POND am 01.12.06 im Festsaal Kreuzberg


Von einer Singer/Songwriterin ohne Esprit, Neo-Hippies (fast) ohne Vollbart und einer Doom-Metal-Noise-Postrock-Band zwischen Zartheit und voller Breitseite.

EDITH FROST wird gemeinhin als eine der talentiertesten Singer/Songwriterinnen der Vereinigten Staaten bezeichnet, als eine Chanteuse mit Wurzeln im Country, die sich stilistisch zwischen eben dieser Musikrichtung, aber auch Folk, Blues, Soul und Jazz bewegt. Auch wenn das Publikum, übrigens bestehend aus gefühlten 80% Amerikanern, der texanischen Künstlerin mit warmem, teils begeistertem Applaus begegnete – bei mir wollte der Funke nicht überspringen: Zu bieder, zu verhalten und musikalisch zu beliebig und austauschbar kamen ihre größtenteils schwermütigen Folksongs über gebrochene Herzen daher. Abgehakt.

Wesentlich lebendiger – stilistisch und im Erscheinungsbild – kam das Hippie-Kollektiv ESPERS aus Philadelphia rüber. Die 6-köpfige Band um Mastermind Greg Weeks veröffentlichte 2004 ihr selbstbetiteltes Debüt, 2006 den Nachfolger Espers II und gehört mittlerweile zur Speerspitze der „New Weird America“-Bewegung, eine Art Folk-Revival in den USA mit Künstlern wie Devendra Banhart oder Joanna Newsom als Aushängeschildern.

Was ESPERS an diesem Abend im Festsaal Kreuzberg zauberten, war wortwörtlich Märchenhaftes, eine Mischung aus einem Trip durch’s Mittelalter, einer ganz großen Portion Psychedelic Folk, untersetzt mit Chamber Pop. Die Band bewegte sich nahezu traumwandlerisch durch die Genres der tendenziell düsteren Popmusik und verstörte und faszinierte zugleich ob ihrer äußerst komplexen Songstrukturen.



Dabei umspielten live ein Kontrabass und zwei Akustikgitarren die barocke Mixtur aus feinem Minnegesang (Meg Baird) und uferlosen Gitarrenläufen (Greg Weeks). Das Publikum, das scheinbar vorwiegend wegen der ESPERS (oder gar wegen EDITH FROST?!? Sie spielte gar eine Zugabe.) anreiste, lauschte durchaus interessiert, wobei der Geräuschpegel klappernder Bierflaschen und sich unterhaltender Konzertbesucher teilweise unerträglich war.

Die zahlenden Gäste blieben mir in ihrem Verhalten den gesamten Abend übrigens ein Rätsel. War der Festsaal bei den Gigs von EDITH FROST und ESPERS noch mit ca. 250 Leuten gut gefüllt, störte aber eben ein Großteil der Zuschauer durch Dauergequatsche den Konzertgenuss. Leute, geht doch in die Kneipe, wenn Ihr labern wollt! Echt jetzt!

Zum Glück trennte sich die Spreu vom Weizen. Die Lautstärke einer zu Unrecht meist verkanntesten Bands dieser Welt tat ihr Übriges. Die Hälfte der Zuschauer verließ den Saal, bevor BARDO POND die Bühne betraten. Später sollten vielleicht noch 100 Leute diesem Konzert für die Ewigkeit beiwohnen.



BARDO POND spielten übrigens das erste Mal in Berlin und bewiesen einmal mehr, dass ihr Bekanntheitsgrad ihren Qualitäten bei weitem nicht gerecht wird. Die Mischung ist einmalig: Diese fast Doom-metallischen Gitarrenläufe, die gleichzeitig eine gigantische, schwankende „Wall of Sound“ fabrizieren, dazu ein verstörend zerbrechlicher Gesang der so charismatischen wie sympathischen Frontfrau Isobel Sollenberger, die mit ihrem Querflöten-Spiel dem Noise-Charakter der BARDO PONDschen Musik bittersüße, betörende Akzente versetzt.

BARDO POND experimentierten, gniedelten (John & Michael Gibbons an der Gitarre, Clint Takeda am Bass), was das Zeug hielt, stampften (Jason Kourkounis am Schlagzeug), sampleten (Aaron Igler am Moog) und erzeugten ein Atmosphäre zwischen Wahn und Wahnsinn. Dabei präsentierten sie vorzugsweise Stücke aus ihrem aktuellen Album Ticket Crystals, auf dem BARDO POND gewohnt gekonnt zwischen extensiver Improvisation und strukturierten Arrangements jonglieren.

BARDO POND haben die vollendete Epik von Mogwai, die kreative Experimentierfreudigkeit von YO LA TENGO und den wegweisenden Avantgardismus von SONIC YOUTH. Das alles und noch viel mehr. Bin gespannt, ob das Thurston Moore, Kim Gordon & Co. am 16.12.2006 toppen werden.

www.edithfrost.com
www.espers.org
www.bardopond.org

Foto: © Alissa Anderson/ESPERS, BARDO POND
Autor: [EMAIL=jana.schuricht@bands-in-berlin.com?Subject=Kontakt von der Website]Jana Schuricht[/EMAIL]

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