Enno Bunger | Spiel mit der Ambivalenz

ennobunger_flüssigesglück_102015_popmonitor

Kategorisierung ausgeschlossen. Mit Flüssiges Glück legt Songwriter ENNO BUNGER sein drittes Album vor: ein ausgeklügeltes, differenziertes Kunstwerk auf dem Streifzug durch die Gefilde Indierock, Piano-Pop und Deep House. Kein Song klingt wie der andere. Feinfühlig entwickelt Bunger sein musikalisches Schaffen weiter, bewegt, amüsiert, überrascht im Taumel von Kitsch und Schwermut und stellt mit einer wortstarken Positionierung zur Flüchtlingskrise erneut sein enormes Talent als Texter unter Beweis. Mit Popmonitor sprach der in Hamburg wohnhafte Friese über das Scheitern, Genre-Experimente und Rassismus in Deutschland.

Du hast zwei Jahre an Flüssiges Glück gearbeitet. An welchem Punkt begannen die Aufnahmen?

Tatsächlich habe ich parallel geschrieben und aufgenommen, weil ich mittlerweile weiß, wie das geht. Ich bin ein großer Freund der Produktion. Zuhause habe ich die Stücke als Spuren vorproduziert. Mit Tobi Siebert habe ich im Radio Buellebrueck Studio in Kreuzberg alles Weitere arrangiert.

Kann man „Scheitern“ als Überleitung vom letzten zum neuen Album sehen?

Ja, es knüpft daran an. Eigentlich ist das meine Lebensphilosophie. Es gab immer wieder Momente, in denen ich gescheitert bin. Sich aufzuraffen und wieder an Altem anzuknüpfen ist das, woraus man am Ende umso stärker hervorgeht.

Dabei gilt Scheitern eher als Tabu der Moderne.

Stimmt, und genau das ist falsch! Ursprünglich wollte ich Klavier studieren, aber die Uni hat mich abgelehnt. Erst war ich niedergeschlagen, dann habe ich angefangen Lieder zu schreiben. Ich habe einen Sänger gesucht, keinen gefunden und mir dann gesagt: Dann machst du das selber, auch wenn du nicht singen kannst. Dadurch bin ich der Frontmann geworden, der ich eigentlich nie sein wollte.

„Neonlicht“ steht in diesem Sinne für den Aufbruch?

Richtig! Im Grunde endet „Scheitern“ mit einer positiven Wendung: Man findet jemanden, der auch so denkt. „Neonlicht“ setzt das fort. Ich habe das Gefühl, viele Menschen verkrampfen. Sie hetzen in einer unglaublichen Geschwindigkeit Karriereplänen hinterher. Der Titel ist eine Ode daran, das Tempo zu bremsen, einfach einen schönen Abend zu haben und sich zu freuen, wer man ist.

„Hamburg“ überrascht mit konträren musikalischen Teilen. Welche Idee steht dahinter?

Ich habe mir gedacht: Wenn ich ein Lied über Hamburg schreibe, muss es vielschichtig wie die Stadt sein. Deshalb vier musikalische Teile! Das ganze Lied ist in H-Moll geschrieben. Für mich ist das Klavierthema der Blick auf das weite Wasser. Die dröhnende Strophe steht für das Urbane. Dann kommt wieder die Strophe: Es wird offen, man fühlt sich Zuhause. Schließlich kommt das Heimatgefühl durch das Hafenhorn. Ich wollte, dass es im zweiten Teil in einen Club geht und etwas gefeiert wird, also gab es diesen Cut.

Textlich klingt eine Hassliebe durch.

Es ist eine tiefgründige Liebe – und eine Liebe ist immer auch ambivalent. Hamburg ist nicht nur Feierei, nicht nur Kultur, nicht nur Hafen. In Hamburg geht es leider auch viel um Geld und Wachstum. Ich wollte eine autobiographische Geschichte erzählen, weil ich selber oft Wohnungen gesucht habe und verzweifelt bin. Dann habe ich einen Leichenwagen gesehen. Also: Willst du eine Bleine haben, folge einem Leichenwagen.

Zehn Tracks, zehn Sounds. Wie kam das zustande?

Das Album sollte so vielseitig und verrückt wie möglich sein. Ich wollte mich ausprobieren und entfalten. Es sollte alles erlaubt sein, was mir gefällt – und mir hat sehr viel gefallen. Vor allem Konträres: Bob Dylan und Scooter, The Acid und Helge Schneider, Bruce Spirngsteen und Daughter.

Was hat dich dazu bewogen, „Wo bleiben die Beschwerden“ zu schreiben?

Dieses Lied ist eine Selbstkritik. Im Herbst habe ich mich intensiv zu Rassismus belesen. Als weißer Mensch, der kein Recht hat stolz zu sein aus Deutschland zu kommen, sondern nur Glück mit dem Geburtsland hatte, kann man sich aussuchen, ob man politisch ist. Es gibt aber Leute, die jeden Tag diskriminiert werden. Das kann man nicht ignorieren. Klar, abends möchte man abschalten, doch so lässt man all das zu. Es gibt Menschen, die rechtes Gedankengut so salonfähig machen, dass noch rechtere Menschen sich angestiftet fühlen, Flüchtlingsheime anzuzünden. Wenn das passiert, ist jemand mit meiner Reichweite  in der Pflicht zu sagen: Ich sehe das nicht so. Ich wünsche mir, dass wir mehr Verantwortung übernehmen.

In welcher Form?

Ich meine damit vor allem Medien und Politiker: Sie müssen aufpassen, was sie sagen und sich im Klaren sein, welche Bedeutungen ihre Worte tragen. Und jeder von uns sollte alle willkommen heißen. Flüchtlinge kommen sowieso. Sie müssen kommen, schließlich haben sie nichts mehr. Es liegt an uns, ob Integration gelingt oder nicht. Sie sind eh da. Wenn wir sie willkommen heißen, kann es klappen. Wenn nicht, riskieren wir eine Parallelgesellschaft Sondergleichen.

ENNO BUNGER
Flüssiges Glück
(Pias Germany / Rough Trade)
VÖ: 09.10.2015

www.ennobunger.de

FacebooktwitterpinterestlinkedintumblrmailFacebooktwitterpinterestlinkedintumblrmail