Fritz-Nacht „Die Neuen DeutschPoeten“ mit Madsen, Fotos, Bosse u.v.m. am 12.06.2010 im Astra

Für Berliner Jugendliche hat Radio Fritz wohl seit vielen Jahren Erkenntnischarakter und gilt oft als Einstieg ins Musikinteresse im Allgemeinen und den eigenen Geschmack im Besonderen. Da macht es Sinn, ein eigenes Spektakelchen zu Beginn der Festival-Saison zu veranstalten. Sechs Live-Acts, die genau auf der Schwelle vom bzw. zum Pop stehen, wurden aufgetafelt und nach einem festen Ablauf serviert: FOTOS, POHLMANN, PHILIPP POISEL, MAX HERRE, BOSSE und MADSEN. Der Rahmen kontrastierte dabei seltsam mit dem Konzert.

Das RAW-Gelände direkt am Astra Kulturhaus, in dem die Fritz-Nacht „Die Neuen DeutschPoeten“ stattfinden sollte, war nämlich umgebaut zu einem Fußballbiergarten um ein Public-Viewing-Stadium herum. Hier blieb kein Zweifel mehr, dass Street Art ausverkauft und tot ist. An den Wänden prangten im Street-Art-Design Werbelabels von Zeitschriften sowie des Veranstalters und riesige Schwarz-Weiß-Bilder von Fußballern. Die letzte Kritik der mal antikapitalistisch und antinational gesinnten Streetart ist die gegen ihre eigene Pervertierung als Kommentar: „Die Yuppie Scum!“ Man konstatiert bitter: „Das RAW muss sterben, damit wir leben können.“

Nach diesem befremdenden Eintritt ins ausverkaufte Astra werden pünktlich um 18 Uhr die Hamburger FOTOS von einem Fritz-Moderator angekündigt. Die Jungs spielen ihren Indiepop solide vor. ‚Die Letzte Schlacht Gewinnen Wir‘ bringt zum Schmunzeln, Singles wie ‚Nach Dem Goldrausch‘ sind sichtlich bekannt. TOM HESSLER konzentriert sich mehr auf die Gitarre als auf den Gesang.

Anschließend verkündet der Moderator, dass Zugaben nicht geplant seien und umwirbt wie in allen folgenden Pausen die Fußball-Szenerie draußen, wo Autos ausgestellt werden und Mamas und Papas unter Bierwerbeschirmen sitzen.
Massig beklatscht wird dann der strahlende Mädchenschwarm und Sunnyboy POHLMANN. Bestens aufgelegt schwingt er hin und her, wenn er, am Cello von HAGEN KUHR begleitet, überemotionalisiert seine einfachen Gitarrenlieder singt. Dagegen ist CLUESO die Authentizität in Person – aber noch unter PHILIPP POISEL versteht sich, der 20 Uhr auf dem Programm steht.

Mit diesem Künstler, der am ehesten den Titel „Poet“ tragen sollte, kann sich Fritz rühmen, ihn quasi entdeckt zu haben und die Hörer, ihn hochgevotet zu haben. Vor Ort hat er offensichtlich noch mehr Fans als POHLMANN: Die Texte kommen einmündig lauter von unten als aus den Lautsprechern. Da steht ein schüchterner Barde umgeben von einer guten Liveband, die happy ist, wenn sie schnelle Stücke spielen kann. Zu seinem kleinen Hit ‚Als gäbs kein Morgen mehr‘ muss er wirklich selbst mittanzen. Und ist das rotes Licht oder sind die Wangen wirklich rot?

Beim souveränen MAX HERRE steigt der Klatschfaktor, die Beats pumpen und die Gitarre verflacht wieder in den Keller. Aber wen interessiert die Gitarrenmusik? In dem gewöhnlichen Reggae-Folk-Mischmasch seiner Band bestimmt ohnehin nur die Partystimmung, die HERRE problemlos aufzubauen vermag. Dafür wird er auch von POHLMANN und POISEL gefeiert, die so wie die FOTOS auch bei den jungen Leuten vor dem Bühnenzaun stehen könnten.

Nach 22 Uhr ist dann im vorgeheizten Saal BOSSES Zeit angebrochen. Sein Indiepop der besseren Sorte ist nun genau das Richtige für die Fritzhörerschaft. Er vertritt den Billig-Begriff von Poesie, mit dem sich die Jugend identifizieren kann: spiegelbildliche Kopie des Bekannten. Songs wie ‚Tanz Mit Mir‘ oder ‚Liebe Ist Leise‘ besprechen die selben Themen, wie sie auch abends auf Fritz diskutiert werden. Kumpelhaft auch sein Oliver Koletzki-Cover ‚U-Bahn‘. In der eigenen Party gerät nicht nur er mächtig ins Schwitzen.

Dass die Headliner MADSEN später dann tatsächlich auftreten würden, trotz Unfall des Sängers, stand zwischenzeitlich nicht fest. Um so glücklicher sind dann Fans und SEBASTIAN selbst, über sein Kommen: „Ich bin jetzt so was wie der Chuck Norris der Indieszene. Ihr wisst, was das heißt.“ Der Arzt hatte ihm jedoch geraten, die Gitarre nicht selbst zu spielen. Zumindest den Schellenkranz getraut er sich zu, zu schwingen und gibt sich Mühe, die Stimme zu halten. Er bedankt sich persönlich bei dem veranstaltenden Radiosender für den ursprünglichen Support und die Band demonstriert, dass ihr auch jetzt noch der Rauhbein-Rock der frühen Tage möglich ist. Sie sind wie alle Bands des Abends mit dem Publikum überaus zufrieden. Bei ‚Goodbye Logik‘ und dem Finale mit ‚Nachtbaden‘ heizen sie über die Bühne.

Die familiäre Atmosphäre des jungen Publikums findet sich wieder in den Texten der einzelnen Bands, die alle mindestens einmal das Glück beschwören. Das hinterlässt von dem gelungenen Abend den schalen Beigeschmack, dass sich hier Mittelschichtskinder über ihre eigene Glückseligkeit freuen.

www.fotosmusik.de
www.pohlmann-music.de 

www.philipp-poisel.de
www.maxherre.com
www.axelbosse.de
www.madsenmusik.de

Fotos © fritz.de

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