„Früher war ich meistens traurig…“
Herrenmagazin. Atzelgift. Zwei Worte, die hinreißender und zugleich bekloppter nicht sein können. Wer und was steckt hinter einer Band, die sich nach einem Sammelbegriff für Schmuddelblätter benennt und w.t.f. ist Atzelgift? Ein erster Blick hinter die Kulissen des Hamburger Quartetts offenbart handfesten Humor. „Man mag es kaum glauben: unser Album Atzelgift, das wir ca. 1971 aufgenommen haben, erscheint tatsächlich heute.“, so kokettieren Deniz Jaspersen (voc, guit), Philip Wildfang (guit), Paul Konopacka (bass) und Rasmus Engler (drums) mit dem eigenen Müßiggang, der sie ständig vor Konzerten ihre Merchandise-Kiste zu Hause vergessen oder niemals eine einzige Demo-CD aus eigenem Antrieb verschicken ließ. Und wir sehen verstrahlte Mienen auf Fotos, sinnfreie Tierbilder und lesen von Schnaps, Hackpizza und noch mehr Schnaps. Auf der anderen Seite geben HERRENMAGAZIN aber auch ganz unumwunden zu, dass die Bekanntheit ihres Schlagzeugers Rasmus Engler (Gary, Das Bierbeben, Dirty Dishes, Autor u.a. für Intro, Zuender, Buchautor von „Wovon lebst du eigentlich?“) den Weg zum Plattendeal geebnet hat.
Aus welchem Grund das Debütalbum nun ausgerechnt Atzelgift heißen muss, sagt einem zunächst auch keiner. Irgendwie bezeichnend für eine Band, die hinsichtlich ihrer Eigendarstellung und des musikalischen Outputs widersprüchlicher kaum sein könnte und die sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, dingfest gemacht zu werden. Aber kurz zur Erklärung: Atzelgift ist ein Kaff im Westerwaldkreis in Rheinland-Pfalz und ein staatlich anerkannte Erholungsort. Rasmus Engler kommt aus dieser Region.
Musikalisch ist HERRENMAGAZINs Atzelgift ganz deutlich im Bereich des schwermütigen Postpunks zu verorten. Die Texte durchweht fast ausnahmslos ein – so die Eigenaussage – „verlorener Glaube an so ziemlich alles“. So singt Deniz Jaspersen im fast schon bezeichnenden Eröffnungstrack ‚Früher war ich meistens traurig‘: „und das man egal // was man auch anstellt // diese Art von Spiel nur verlieren kann…“. Auch ‚1000 Städte‘, Lnbrg‘ oder ‚Geht Nicht Über Nacht‘ spiegeln diesen Kontrast zwischen der kommunizierten Ausgelassenheit der Band, deren ständig präsentes Augenzwinkern und den resignierten, todtraurigen Zeilen der moll-lastigen Songs beispielhaft wider. Nein, diese Stücke sind wahrlich nicht dazu geeigent, erste Dates musikalisch zu untermalen: „Ich hab‘ dich gestern zerstückelt und begraben // wo, weiß ich nicht mehr.“ heißt es in ‚Lnbrg‘. Aber in den Momenten der Rat- und Bewegungslosigkeit, im Taumel des Schmerzes, in den Stunden zwischen Kater und dem ersten Bier – da können HERRENMAGAZIN unter Umständen Leben retten.
Atzelgift – übrigens produziert von Tobias Siebert – erzählt von Rückschlägen, Zweifeln, Angst, Unzulänglichkeiten – eben von all dem, was sich (auch) Leben nennt. Dabei verzichten HERRENMAGAZIN auf eine, wie der Bandname eigentlich verspricht, zotige Fleischbeschau im Hochglanzformat. Vielmehr präsentieren sie wirklich Bodenständiges, textlich nah bei den Kollegen von Kettcar, Tomte und (!) Element Of Crime, musikalisch bei denen von Maximo Park. Dabei gelingen ihnen ausnahmlos großartige Melancholie-Schwergewichte in Form von kompakten Drei- bis Vierminütern. Meine Damen und Herren, die Band HERRENMAGAZIN und ihr Debütalbum Atzelgift sind sehr zu empfehlen.
HERRENMAGAZIN
Atzelgift
(Motor / Edel)
VÖ: 13.06.2008
[red]HERRENMAGAZIN (+ JA, PANIK) spielen bei popmonitor.berlin.live am 22.08.2008 im popkulturell anerkannten Erholungsort Rosi’s. Tickets im VVK (8 EUR statt 10 EUR an der Abendkasse) gibt es www.herrenmusik.de
www.myspace.com/herrenmagazin
Autor: [EMAIL=jana.schuricht@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Jana Schuricht[/EMAIL]