IKARIA – Berliner Act des Monats April 2010


Ein Zwerg inmitten der Großen, eine Band unabhängig von Schubladen und Trends.



Am 11. Juni 2010 erscheint das von Mathias Oldén (Logh) im schwedischen Vallarum aufgenommene zweite IKARIA-Album Luxembourg, auf dem die Berliner Band im Kontext der von den bisherigen Veröffentlichungen bekannten Postrock-Grundierung ihren überaus melancholisch gefärbten Indie stellenweise mit einem vielleicht zunächst noch etwas überraschenden, aber stets angemessen dosierten Popappeal versieht und nicht zuletzt mittels einer nunmehr neu ausformulierten musikalischen Transparenz diesem insgesamt für dieses Album charakteristischen „straighteren“ Sound nachhaltig Ausdruck verleiht.

Anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Albums sowie des ) stand uns die Band im Interview ausführlich Rede und Antwort.

popmonitor.berlin: In Eurer Biografie werden die US-Städte San Diego, Washington und Chicago als Ausgangspunkte für die Ikaria-Bandhistorie genannt. Was genau hat es damit auf sich?

Ikaria: Diese Städte stehen für uns für bestimmte Musikszenen und Bands wie Fugazi, Tortoise, Heroin, Swing Kids, Codeine und HiM (Doug Scharin) und sind – oder besser gesagt – waren einmal starke Einflüsse. Mittlerweile vielleicht nur noch in Teilen, weil man sowas ja in sich trägt, aber nicht mehr vordergründig. Als Musiker hat man in der Regel eine Art Initialzündung, mit der Musik anzufangen oder eine bestimmte Art des Ausdrucks zu suchen. Bei uns war das zu dem Zeitpunkt vieles, was in den USA unter den Begriffen Hardcore, Post-Hardcore und Postrock passierte. Das Shellac-Konzert am 11.09.2001 in Berlin oder The Locust in irgendeinem AJZ, die nach 25 Minuten das Konzert beendeten, weil alles gesagt und gespielt war, sind Momente gewesen, die uns in dieser Hinsicht beeinflußt haben.

Wie und wann hat die jetzige Ikaria-Besetzung zusammengefunden, wieso die Entscheidung, vor ca. zwei Jahren über den Zwischenstopp Hamburg die Zelte in Berlin aufzuschlagen?

Wir sagen immer, wir haben uns bei neu.de kennen gelernt. Weil tatsächlich: keiner der Band kannte den anderen vorher privat oder aus dem Freundeskreis. Wir haben uns immer über Anzeigen im Netz gefunden. Noch unter einem anderen Namen und in anderer Besetzung spielten Micha und Hendrik inzwischen seit 2004 zusammen. Unsere erste EP Fiber haben wir noch in Hamburg geschrieben, noch ohne Jean-Jacques und Julius, wir haben sie aber bereits in Berlin mit Thom Kastning aufgenommen. Erst 2007 bzw. 2008 kamen dann Jean-Jacques und Julius zur Band und mehr oder weniger aus pragmatischen Gründen wurde der Bandmittelpunkt nach Berlin verlegt. In Berlin wohnen ja eigentlich nur Julius und Jean-Jacques.

Das im Juni erscheinende, ganz wunderbare neue Album Luxembourg wurde zusammen mit Mathias Oldén (Logh) in einem kleinen schwedischen Dorf aufgenommen bzw. von ihm produziert. Wie kam es dazu bzw. zu der Zusammenarbeit mit ihm, und war dies eine ganz besondere Ehre für Euch, weil Ihr vielleicht auch Fans seiner Band Logh seid?

Wir haben uns nach Repair My History dazu entschieden, produktionstechnisch einen Schritt weiter zu gehen. Aus diesen Erwägungen und auch aus finanziellen Gründen standen in Deutschland nur ein paar Studios zur Auswahl. Wir wollten aber auch einen ganz speziellen Sound haben. Deshalb haben wir uns an die sehr trocken produzierte Platte The Fierce and the Longing von unseren Freundinnen von Audrey erinnert, und sie haben uns dann empfohlen, mit Mathias zu arbeiten, der ja dieses Album produziert hat. Er hat sich dann Repair My History angehört und meinte „sounds fun!“ Es war dann auch relativ schnell klar, dass wir in diesem Vintage-Studio in Vallarum aufnehmen. Man muss sich vorstellen, dass man in diesem Studio 24 Stunden am Tag fokussiert arbeiten kann. Natürlich war es für uns auch eine Ehre, mit Mathias zu arbeiten, aber alles war unglaublich entspannt. Zudem war es eine Ehre, mit ihm zu arbeiten, weil er einfach unglaublich gut ist!

Inwieweit hat Mathias das jetzt vorliegende Ergebnis letztlich beeinflusst, stimmt es, dass Ihr auf seine Initiative hin die bis dato vorhandenen Aufnahmen bzw. Songideen mehr oder weniger komplett verworfen und binnen eines Monats alles neu eingespielt/konzipiert und aufgenommen habt?

Mathias hat einen besonderen Anteil an diesem Album. Wir haben die Songs aber nicht verworfen, die waren alle bereits fertig, bevor wir nach Schweden gefahren sind. Er hat uns vielmehr zu einer neuen Sichtweise verholfen und uns deutlich gemacht, dass das gemeinsame Spielen als Band das Entscheidende ist. Wir haben in diesem Sinne wieder zurück zur Musik gefunden. Wir haben die Aufnahmen so vorbereitet, dass wir nacheinander auf Click aufgenommen hätten, und Mathias hat gesagt, er arbeite so nicht und wir sollen live zusammen aufnehmen. Das war für uns ein enormer Druck, da wir so zuvor nie aufgenommen haben. Wir sind auch ziemlich perfektionistisch, und zu dem Punkt zu kommen, dass Fehler gut sind, hat uns schon eine Menge Nerven gekostet. Aber am Ende war es alles richtig! Ein anderer Punkt ist der Sound des Albums. Mathias hat ein gutes Gespür für Songs und bastelt dann einen entsprechenden Sound. Manchmal haben wir gedacht: Oh Gott! Das geht doch niemals gut. Das klingt überhaupt nicht so, wie wir es machen würden. Dieser Prozess war aber sehr wichtig. Wir haben uns im Studio mit Mathias gewissermaßen dahin entwickelt, uns auf die Musik zu fokussieren und Mathias zu vertrauen. Das ging dann soweit, dass wir dem Mixing-Prozess vollkommen ferngeblieben sind. Wir sind dann nur noch mal nach Schweden, um die Mixes zu holen und waren begeistert. Er hat einen sehr homogenen Sound geschaffen.



Wie würdet Ihr die Arbeitsweise von ihm im Vergleich zu den Aufnahmen mit Thom Kastning (SDNMT, Ter Haar, Kate Mosh) zum Vorgängeralbum Repair My History beschreiben?

Der grundlegende Unterschied liegt darin, dass wir die Songs live und zusammen eingespielt haben und nicht wie früher nacheinander und einzeln. Damit einher gehen automatisch andere Grundansätze, wie der Fokus auf das gemeinsame Spielen als Band und das Akzeptieren von kleineren Fehlern. Außerdem war entscheidend, dass wir in Schweden, also weg vom Zuhause und dem Alltag aufgenommen haben und somit kaum abgelenkt werden konnten. Außerdem hatten wir die Möglichkeit, viele seltsame Instrumente auszuprobieren, die sich in Vallarum durch die Sammelleidenschaft des Studioinhabers gehäuft haben. Und gehäuft ist wirklich nicht geprahlt.

Die Songs des neuen Albums klingen größtenteils straighter und intensiver, atmosphärischer sowie insgesamt reifer inkl. eines oftmals explizit ausformulierten Pop-Appeals und erinnern stellenweise an Bands wie The National oder die schottischen The Twilight Sad. Teilt Ihr diese Einschätzung?

Genau in diesem Moment läuft im Radio The National. Seit Alligator macht diese Band Songs, die jeden von uns stark berühren. Wenn man mit The National verglichen wird, hat man offensichtlich vieles richtig gemacht. Und natürlich, wir teilen den Eindruck absolut, dass das Album straighter ist. Repair My History war auch intensiv und atmosphärisch, aber Luxembourg ist auch für uns gefühlt, als wenn wir schlagartig erwachsen geworden wären. Vielleicht ist das irgendwie auch so, als wenn man sich gerade von seiner ersten Jugendliebe getrennt hat und weitergeht. Vieles auf und um Luxembourg kann man mit der Zeile aus dem Song ‚Parabolic‘ erklären: „I have killed my darlings“.

Natürlich bilden auch weiterhin Postrock/Postpop-Strukturen das Grundgerüst für den spezifischen Ikaria-Sound, hier und da auch explizit Assoziationen zu Sinnbus-Bands wie SDNMT oder Kam As hervorrufend. Zufall oder bewusste Reminiszenz?

IKARIA ist beim Entstehen von Luxembourg fast zerbrochen. Man darf niemals vergessen, was Musikmachen und eine Vision zu verwirklichen, alles abverlangt. Wir wussten, dass wir ein Album machen wollen, das straighter sein soll, aber nicht weniger anspruchsvoll. Jeder bringt seine Ideen ein und dann geht es darum, einen Kompromiss zu finden. Eine Band bedeutet immer auch, einen Kompromiss zu finden. Natürlich nur bei Bands wie uns, bei denen es keinen klassischen „Songwriter/Bandleader und alle tanzen nach seiner Pfeife“ Typen gibt. Wir arbeiten alle zusammen an Demos, mal mehr, mal weniger. Das Ergebnis ist dann das, was irgendwie durch alle möglichen Einflüsse entsteht. Assoziationen zu irgendwelchen Bands wollen wir eigentlich nicht mehr wecken. Darüber sind wir hinaus. Wir wollen nicht mehr „so oder so“ klingen, sondern wir wollen Musik machen, die dazu da ist, dass Menschen zu unseren Konzerten kommen und sagen: „Dieser Abend bleibt. Das war gut, das war Glück.“ Klingt vielleicht ein wenig zu sehr nach guter Welt. Aber das ist es.



Ist der Albumtitel „Luxembourg“ eher als Ausdruck des Strebens nach einer musikstilistischen Abgrenzung oder als besondere Betonung eines spezifischen (Band-) Mikrokosmos inmitten nur allzu gerne kultivierter musikalischer Beliebigkeit und im Sinne einer Abkehr vom inzwischen teilweise schon mal überstrapazierten Networking-Gedanken zu verstehen? Oder welche (weitere?) Intention steckt ansonsten hinter der Titelgebung?

Wahrscheinlich hat der Titel für jeden von uns eine andere Bedeutung. Als wir aus Schweden zurückkamen, haben wir uns zusammengesetzt, um den Albumtitel auszuwählen. Als auf Michas Liste der Name „Luxembourg“ stand, haben wir alle Gefallen daran gefunden. Jeder für sich misst dem eine eigene Bedeutung bei, alle zusammen sind glücklich damit und ganz allgemein drückt es vielleicht aus, wie wir uns als Band momentan sehen: Ein kleiner Zwerg, inmitten von vielen Großen ringsum, neutral, den eigenen Gesetzen und Grenzen verschrieben, unabhängig und frei von Schubladen und Trends.

Welche Alben und/oder Künstler haben Euch im noch relativ jungen Jahr 2010 beeindruckt, gab es (neue) 09er Alben/Künstler, die Einfluss auf den Sound von Luxembourg bzw. Eure Arbeit hatten?

Nein. Es gibt keine 09/10er Band, die irgendeinen direkten Einfluss auf das Album hatte. Vielleicht für jeden persönlich, aber das hat nur peripheren Einfluss auf die Band. Natürlich hat das Auf und Ab der Karriere von Morrissey einen festen Platz im Leben einiger Bandmitglieder und es gibt sicher All-Time-Heroes wie The National, Jimmy Eat World, The Notwist, Death Cab For Cutie oder Interpol, aber der größte Einfluss für die Musik ist immer ein Gefühl. Jeder Song ist unterm Strich eine Abrechnung mit sich selbst, ein Kanalisieren von Gefühltem, Erlebten und persönlicher Dringlichkeit.

Welche Erwartungen gehen mit dem Erscheinen des neuen Albums Anfang Juni einher, was können die Besucher bei Eurem Konzert am 07.05. im NBI erwarten und wie sehen generell Eure Pläne fürs zweite Halbjahr 2010 aus?

Wir hoffen, das Album wird von vielen Menschen gehört und als berührend empfunden. Was die Besucher des Konzerts im NBI erwartet? Zunächst einmal ist dieser Abend für uns als Band eine Zäsur, weil wir fast alle Songs des Albums innerhalb eines Sets spielen können und es wird natürlich für uns ein sehr emotionaler Abend werden, weil wir einfach nur glücklich sind, dass es dieses Album gibt und wir es live präsentieren dürfen. Die Leute wird eine Band erwarten, die weniger um ihrer selbst willen auf der Bühne steht, sondern wie schon beschrieben, um den Leuten einen Abend zu geben, der bleibt, der es schafft, einen einzelnen Moment mit einem bestimmten Song oder einer Band zu verbinden. Und das ist es, was wir uns auch von der zweiten Jahreshälfte erhoffen. Wir möchten viele Konzerte spielen und den Leuten etwas Gutes geben.

Vielen Dank für das Interview, wir freuen uns auf den Abend im NBI!

Das Album:

IKARIA
Luxembourg
(Cobretti Records)
VÖ: 11.06.2010

IKARIA am Freitag, 07.05.10 live im NBI (w/ www.myspace.com/ikariamusic
www.ikariaband.net
www.cobretti.eu

Fotos © Ikaria
Autor: [EMAIL=thomas.stern@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]

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