„Wir haben uns hier plötzlich so frei gefühlt – frei zu experimentieren.“
Die einen sagen, Berlin sei inzwischen ein Kleinbürger, die anderen feiern weiter Weltstadt-Status. FOUR PHONICA lässt die Debatte kalt. Die Elektro-Rocker sind bescheiden und froh, hier leben zu können. Am 18.04. (Karfreitag) tritt die ukrainische Band im Rahmen von JOASIHNO) mit ihrer gleichnamigen EP im Kaffee Burger auf.
Wir trafen Daria und Mark schon jetzt, und dabei wurde vor allem eines deutlich: Sie sind nicht mehr die ukrainischen Zivilisten, die sie einmal waren. Im Interview mit Popmonitor berichtet die beiden, wie die vakuumhafte Zeit zwischen Kiew und Berlin ihre Musik beeinflusste, wie sich von inneren und äußeren Einschränkungen loszusagen ist und welche Experimente für einen schmackhaften Cocktail von Nöten sind…
Ihr kommt ursprünglich aus der Ukraine. An welchem Punkt habt ihr Euch dazu entschieden, den Lebensmittelpunkt nach Berlin zu verlagern?
Daria: Nun, wir leben jetzt seit zwei Jahren hier, und die Entscheidung, nach Berlin zu gehen, fiel eigentlich recht spontan. Zuvor sind wir schon zwei Mal in der Stadt gewesen und wir mochten es einfach unglaublich gerne. Beispielsweise hatten wir hier ein Konzert mit unserer alten Band. Dann ging alles ganz schnell. Da war diese Anziehungskraft und wir wollten einfach so schnell es geht herkommen. Haben wir dann ja auch getan!
Viele Leute beklagen, der Stadt würden die kreativen Impulse ausgehen. Wie seht Ihr das? Sind da noch schöpferische Inspirationen für Euch übrig?
Mark: Die sind doch einfach nur am Meckern (grinst)! Wir kennen Berlin natürlich nur von diesem Punkt aus und haben nicht den Vergleich zu vorher. Aber im Hier und Jetzt sehen wir keine Probleme. Stattdessen liegt doch ein unglaublich vielfältiges kulturelles Angebot mit unglaublich vielen Möglichkeiten vor uns. Es ist immer noch eine kulturell blühende Stadt. Für uns zumindest ist sie das, gerade wenn man das mit der Ukraine oder selbst mit anderen Städten in Europa vergleicht. Du kommst nach Berlin und du fühlst die Kraft sofort. Wir haben das sofort gespürt!
Bleiben wir mal bei der Ukraine, was gewiss ein großes Fass an politischen Fragen aufmacht. Rein auf Euch als Band bezogen: Wie schwer trifft es einen in der Entwicklungsphase, wenn es quasi keinerlei Gesetze für einen legalen Musikmarkt gibt?
Daria: Ach, weißt du, wir fühlen uns durch die Zeit hier in Berlin der Ukraine nicht mehr so nahe. Wenn du in der Ukraine lebst, dann kriegst du diese Umstände natürlich sehr genau mit und alles dort beeinflusst sich gegenseitig wie eine Krankheit. Aber nun schauen wir auf die Dinge aus der Distanz. Das macht das Hineinversetzen in die Lage dort schwerer für uns.
Mark: Wenn du eine Art Statement zu der Situation in der Ukraine machst, dann würden dir die Leute dort sagen: „Was weißt du schon? Du lebst in Berlin!“ Und das wäre noch nicht einmal gelogen. Aber ja: Es war definitiv ein schwieriges Leben dort.
Dann lasst uns über spürbar nahe Dinge reden. Welche Einflüsse spielten bei der Aufnahme Eurer EP eine bemerkenswerte Rolle?
Mark: Musik der 90er wäre so ein Einfluss, was damit zusammenhängt, dass wir in den späten 90ern Teenager waren. Wir waren wirklich solche, die einfach alles davon mochten. Die Musik hat einen ja ständig in den Charts begleitet. Als wir hier in Berlin ankamen, fühlte es sich gut an, sich für diese Art der Nostalgie zu öffnen. Wir hören viel GARBAGE, NINE INCH NAILS und PLACEBO. Also viel aus dem Industrial-Rock. Und vor allem auch viel zwischen Elektronischem und Rock. Dennoch bieten unsere Songs immer auch ein wenig Eingängigkeit. Oder jedenfalls hoffen wir das!
Daria: Wir haben uns hier plötzlich so frei gefühlt – frei zu experimentieren. Um einfach mal Neues auszuprobieren. Das war ein Einfluss und der inspiriert unsere Musik, die ich als experimentellen Pop beschreiben würde!
Harte elektronische Sounds neben poppigen Melodien. Zusammenführungen zwischen Dingen, die sich zunächst widersprechen – ist dies ein Teil des Experiments?
Mark: Wir vermischen einfach immer alles, was wir mögen und denken nicht so viel über die Konsequenzen nach. Das ist das Ding, so stellst du etwas Neues her. Einfach, weil es nichts Feststehendes ist. Es ist nicht so, als ob wir irgendetwas davon absichtlich machen. Ich versuche immer, mich gleichzeitig auch als Hörer zu sehen. Und wenn ich gerne etwas Gutes hören möchte, dann verlange ich nach etwas Neuem. Ich würde gerne neue, sich unterscheidende Sounds in der Musik hören. Und wenn dann so ein Packet mit all dem von einer Band kommt… also ich finde das interessant!
Daria: Das ist einfach so ein Flow! Hinzukommt, dass wir immer noch auf der Suche nach unserem ganz eigenen Stil sind. Wir probieren also einfach aus und hoffen dann, dass wir so in geraumer Zeit auf den perfekten Mix im Sound zu treffen. So wie bei einem perfekten Cocktail mit ganz viel verschiedenem Zeug drin. Unseren Cocktail nenne ich dann ‚Four Phonica‘! (lacht)
Beschreibt doch mal was Ihr bei der EP zusammengemixt habt!
Daria: Alles was man darauf findet, kommt wirklich aus unserem Leben und entstand in der Zeit zwischen der Ukraine und Berlin. Während ich ‚Human All Too Human‘ geschrieben habe, fühlte ich mich beispielsweise wie in einer Krise. Ich war ziemlich durch den Wind und der Text sollte diese Atmosphäre auffangen. Es war ein Gefühl, das ich mit der Ankunft in Berlin verspürt habe. Es fühlte sich alles zunächst komisch an, weil alles neu war. Dann dieser ganze Visa-Kram, man kennt die Sprache und die Leute nicht. Und genau in dieser Phase habe ich dann geschrieben.
Texte schreiben als eine Art Therapie für die Seele also?
Mark: Genau! Die Songs erinnern mich für immer an die Zeit des Umzugs und an die ganze Neuordnung.
Daria: ‚Chaos Order‘ auch! Den Text habe ich in der gleichen Phase geschrieben. Ich habe damals ein Gedicht zu Papier gebracht und Mark hatte wieder einen anderen Track. Ich konnte das Gedicht einfach in den Sound einschmelzen lassen. Wir arbeiten ja eigentlich beide ganz in unserer eigenen Welt als Individuen und dann setzen wir uns wieder zusammen und merken manchmal, dass es ein perfektes Zusammenspiel ergibt. Und dann sagen wir uns: „Lass uns das veröffentlichen!“.
Mark: Manchmal passt es einfach perfekt zusammen. So per Zufall! Dann fallen Darias Ideen und meine einfach so ineinander! ‚Everything Will Be Destroyed‘ war ein Song, bei dem auch ich an den Lyrics mitgearbeitet habe. Das war noch in der Ukraine in einem Moment, in dem wir gerade dabei waren, alles hinter uns zu lassen. Da war dieses Gefühl, dass ein Kapitel beendet und ein anderes eröffnet wird. Und genau an diesem Punkt dazwischen habe ich angesetzt und geschrieben. Wir haben ja tatsächlich all das, was wir in der Ukraine gehabt haben, ausgelöscht. Und das reflektiert der Titel. Man wusste ja auch nicht, was einen erwartet.
Eure Lyrics stellen immer wieder einen Anspruch an das Revolutionäre. Eine Revolution im Inneren des Einzelnen? Oder eine, die die Paradigmen der Gesellschaft im Ganzen umwälzt?
Daria: Ja, es gibt dahingehend offensichtlich eine Verbindung zu der Gesellschaft, in der wir in der Ukraine gelebt haben. Dort brauchte einfach jeder Mensch einen Wandel. Das ist ja auch der Grund, warum jetzt diese Umschwünge vonstattengehen. Man hat das schon als junge Person gespürt. Man wollte schon da nicht in einer Gesellschaft leben, die einem die sowjetischen Regeln der Vergangenheit auferlegt. Man wollte modern sein, mit der Welt verbunden, in der Lage sein, auch ohne Visa durch Europa zu touren. Ohne Grenzen. Zusätzlich gibt es da eine Verbindung mit dem individuellen Innenleben. Wir wollten unser Leben von uns aus verändern. Das haben wir geschafft und deswegen sind wir auch sehr glücklich!
Also geht es darum, die umgebenden Grenzlinien aufzubrechen?
Daria: Ganz genau! Gerade in der Ukraine gibt es viele davon. Jeder dort sagt dir: „Such dir doch einen normalen Job!“ So als ob Musik machen und auf Englisch zu singen völlig abwegig wären. Niemand dort versteht es. So als ob es dort keine Notwendigkeit für die Kunst gäbe. Wir haben uns unserer Interessen beraubt gefühlt und wollten unser Leben ändern. Der Prozess ist immer noch nicht zu Ende. Generell kann man sagen: Menschen vergleichen immer. Wir kommen aus der Ukraine. Ein Land mit einem geringen Maß an kulturellem Leben. Für uns ist es insgesamt einfach phantastisch hier zu leben. Einfach nur die Möglichkeit, hier leben zu können!
FOUR PHONICA am 18.04.live in Berlin @ Kaffee Burger (w/ JOASIHNO)
Die EP:
FOUR PHONICA
Four Phonica
(H.R.M. Music)
VÖ: 28.02.2014
Autorin: [EMAIL=carina.hartmann@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Carina Lisa Hartmann[/EMAIL]