Was lange währt, wird immergut. Ein etwas verspäteter Rückblick…
Wie war das schön beim immergut!
Freundliche Menschen überall und die paar distanzlosen Betrunkenen haben nicht gestört. Wenn man schon mal bei Rock am Ring war, dann glaubte man sich hier auf diesem schönen Festival-Gelände in Neu-Brandenburg sowieso im Straight-Edge Himmel. Nur gesunde, kluge Menschen, die sich nicht wegen Mengen von Alkohol, sondern eher vor Freude über die vielen tollen Bands ein wenig bekötzelten. Unangenehmes wie zum Beispiel das Bepissen fremder Rucksäcke oder aggresives Fucking in the Bushes wurden auf dem fünften immergut-Festival ersetzt durch eine ehrliche Liebe zur Musik und charmante Menschen, soweit das Auge reichte. Doch tröstete fast nichts über die Tatsache hinweg, dass eine Grippe mich am ersten Festivaltag fest im Griff hatte und Bands wie TOMTE, NAKED LUNCH oder der junge ROMAN FISCHER nur aus der Konserve in mein geschundenes Ohr drangen.
Schade das, aber am zweiten Tag ignorierte ich die Zahl 39 auf dem Fieberthermometer und fuhr los.
Geradewegs in die Sonne und in eine Welt, die für ein paar Stunden nur aus Lächeln, Hören und Wundern bestand. Einen besseren Wegweiser auf’s Festivalgelände als den blauen, schrottigen Bandbus der englischen Musiker von SEAFOOD hätte ich nicht haben können und so war es ein leichtes, den Ort der Freude zu erreichen.
Was als erstes auffiel waren die überaus freundlichen Security-Menschen. Sind sie doch sonst auf derlei Veranstaltungen Kotzbrocken in wahlweise blauen oder grünen T-Shirts. In Neustrelitz aber ist alles anders, in Neustrelitz folgt man dem Euter, in Neustrelitz riecht alles nach Maiglöckchen. In Neustrelitz begrüßt mich eine Freundin mit den Worten: ’Meine Güte, TOMTE waren wieder toll, du hast echt was verpasst.“
In Neustrelitz werde ich für ein paar Minuten sehr sehr traurig. Doch das geht vorbei mit dem Auftritt der schwedischen Band TIGER LOU, die die undankbare Aufgabe haben, das Gehör des sicherlich noch zerstreuten Publikums zu erreichen. Wie sie das am Ende geschafft haben, ist mir immer noch ein Rätsel, aber RASMUS KELLERMANN a.k.a. TIGER LOU ist ziemlich schön und singt auch so. Meine Güte, immer diese Schweden.
Mit den Zeilen der nachfolgenden Freiburger Band TELE: „Wie wollen wir sein wenn nicht glücklich“ ist dann schließlich alles geklärt. Die Angst vor der nächsten Woche, die Sorge um die Zukunft, manch schmerzende Erinnerung an diesem Tag, das Fieber. Mit diesem Auftritt fängt alles von vorne an und der Tag kann beginnen. Im Nebenzelt ballern sich dann vierzig Minuten später die Magdeburger Band POROUS in rotem Trikot die Bälle um die Ohren. Das Publikum schwitzt und sieht schon wieder so glücklich aus. Jemand pinkelt an die Absperrgitter. Ein Security Mensch nimmt ihn bei der Hand und zeigt ihm den Weg zu den blauen WC-Häuschen. Der Pinkler lächelt, schweigt und geht. Dann schicken sich DELBO auf der Hauptbühne an, kurz vor den ersten Tönen noch mal den Scheitel zurecht zu legen und die Augen zu schließen. Um dann mit verfrickelten Indie-Rock-Hymnen ihrer anfänglichen Schüchternheit frech ins Gesicht zu lachen. Welch vertrackte Schönheit. Irgendwie wird es auf einem Festival nie so richtig dunkel. Dass die Wiesbadener Band READYMADE sich aufgelöst hat, hindert den ehemaligen Sänger ZAC JOHNSON nicht daran, seiner seit Jahren schwelenden Glut mit Namen TOBACCO endlich den zu einem popmusikalischen Flächenbrand nötigen Funken zu zu schnipsen, einfach so. Es entfacht ein Feuer auf der Nebenbühne, und ja: „Tobacco saves lives“ und ja: man braucht keine Plattenfirma. Herrlich anzusehen ist das.
Wie der Auftritt von BERND ’Ich-bin-der-der-das-deutsche-Fernsehen-wieder-sehenswert-machen-könnte‘ BEGEMANN. Er fragt das Publikum, ob das wirklich alles ist? Ob sie nicht doch ein bisschen lauter mitsingen und zugeben können, dass das Leben im allgemeinen und die Liebe im Besonderen so verteufelt gut sein kann? Alter Haudegen, klar geht das, bitte beweg dich nur noch ein bisschen mehr. Wir können uns nicht satt sehen an dir.
Dass er als Ersatz für PHANTOM PLANET spielt, interessiert vielleicht niemanden mehr in diesem Moment. Doch dann geht der auch vorbei und man wird mit der Masse Richtung Nebenzelt geschoben. Exakt zehn Schritte entfernt. Selbst wenn man wollte, man kann der Musik nicht entkommen. Wie geschickt das doch ist. Geburtstagskerzen, die man nicht auspusten kann. So beschreibt KEVIN HENDRICK, Bassist bei SEAFOOD, seine Band. Das Zelt ist voll und die Vorfreude groß. Doch anders als erwartet klingt der Sänger wie seine Statur: dünn und ausgemergelt. Hat aber Charme, man hält durch und applaudiert. Es ist ehrlich, das zählt. Ein schönes Konzert im vergangenen Sommer in Berlin.
Eine wunderbare deutschsprachige Platte von: KETTCAR. Der Band aus Hamburg, die Trauer und Wut in angemessenem Rahmen würdigt und mit Hilfe von hochintelligenten Texten ad absurdum führt, betritt die Hauptbühne. MARCUS WIEBUSCH müsste eigentlich bei seiner hochschwangeren Frau sein, sagt er. Händchenhalten. Da sein. Das ist das echte Leben. Ein wundervoller Auftritt und eine Leerstelle in ’Im Taxi weinen‘ erinnert an ROCCO CLEIN. Den man irgendwie überall sieht, er fehlt.
Dann ist es vorbei und nebenan gibt es elektronische Musik. Die Menschen finden kein Platz mehr im Zelt, daneben stehen, nichts sehen und schlecht hören. Das bestimmt den Auftritt von LALI PUNA, der angeblich neuen Lieblingsband von THOM YORKE. Die aus dem Weilheimer Dunstkreis entstandene Band begeistert trotzdem und weist den Weg in die Nacht. Es wird kühl, das Fieber kommt zurück. Alles ist erleuchtet, orange ist seine Farbe. Immer wenn ich an ADAM GREEN denke, ist irgendwie alles orange. Für einige unerklärlich sein Erfolg. Für mich momentan der beste Entertainer der Welt. Er versinkt im Boden und reicht uns seine bleiche Hand. Gleichzeitig und ungeniert. Selten mehr Genialität gesehen. Jetzt wird die Kälte unerträglich, die innere Hitze zwingt zur Vernunft.
Auf Wiedersehen, ADAM GREEN. Auf Wiedersehen THE NOTWIST. Auf Wiedersehen, IMMERGUT 2004. Es war wunderbar.
Gastautorin: Rebekka Bongart