Interview mit JOACHIM WITT


Während Namen wie Spider Murphy Gang oder Erste Allgemeine Verunsicherung längst in der musikalischen Versenkung verschwunden sind…

…und sich dort die Mottenkugeln mit Schweißband, Glitzertuch und einseitig schulterfreiem Damenshirt teilen, hat es JOACHIM WITT als einer der wenigen geschafft, ein Comeback zu feiern und heute wieder zum festen Inventar der deutschen Musikszene zu gehören.

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Was 1998 mit dem Superhit ‚Die Flut‘ im Duett mit Peter Heppner begann, wurde sogleich mit der Coverversion von ‚Battaillon D’Amour‘ der Ostrock-Legende Silly fortgesetzt und gedeiht seitdem kontinuierlich: Drei Alben umfasst der [I]Bayreuth[/I]-Zyklus bereits, und zwischendrin war immernoch Zeit für Veröffentlichungen wie [I]Eisenherz[/I] oder [I]Pop[/I].

Sein aktuelles Werk [I]Bayreuth III[/I] sowie sein Wahlberlinertum (Engagement am Maxim-Gorki-Theater) nahm BiB zum Anlass für ein paar Fragen an JOACHIM WITT.

[B]BiB: Du bist einer der wenigen „Überlebenden“ aus der goldenen NDW-Zeit. Überkommt einen bei solchen Gedanken ein Gefühl von Nostalgie? Oder eher Triumph?
Wie geht es dir, wenn du so zurückblickst?[/B]

J.W.: Ach, weißt Du, ich bin kein Nostalgiker. Ich schaue wahrscheinlich in 25 Jahren mal zurück, weil es mir dann hoffentlich Freude bereitet. Im Moment bestimmt zu sehr die Gegenwart und die nahe Zukunft mein Leben.

Ich freue mich natürlich auch immer sehr darüber, wenn ich mit meiner Musik überraschen kann und die hirntote Formel „They never come back“ auf den Kopf stellen kann.

[B]BiB: Wie sind die Reaktionen auf dein neues Album, die du so persönlich mitbekommst, und bist du zufrieden mit ihnen?[/B]

J.W.: Habe gerade die Reaktionen aus dem Club-Bereich bekommen und bin dadurch sehr, sehr zuversichtlich. Ich glaube, mir ist das beste Album meiner Laufbahn gelungen, unabhängig von einem eventuellen Erfolg!

[B]BiB: Was fasziniert dich eigentlich so an Wagner?[/B]

J.W.: Mich faszinieren seine eindringlichen musikalischen Bilder, seine Ausdruckstiefe, seine verzweifelten romantischen Ambitionen.
Auf der Ebene der Empfindung entdecke ich eine Parallele zu mir.

[B]BiB: Wird es weitere Teile der Bayreuth – Reihe geben? Warum?[/B]

J.W.: Mir macht diese Werkreihe ungeheure Freude und innere Bewegung. Mehrmals habe ich gesagt, dass es der letzte Teil sein wird.
Im Moment sieht es auch so aus. Es hängt auch von dem nächsten Themenbereich ab, mit dem ich mich beschäftigen werde!

[B]BiB: Du bist schon so lange im Musikbusiness – wie hat es sich im Vergleich zu früher verändert?[/B]

J.W. Die Strukturen haben sich durch die Digitalisierung verändert, aber der Moment, wenn Du den Menschen im Herzen triffst, wird sich nie verändern!

[B]BiB: Du setzt sich für ein vorurteilsfreies Nationalgefühl ein – wo verläuft für dich die Grenze zwischen gesundem Patriotismus und Nationalismus?[/B]

J.W.: Ich bin in diesem Land aufgewachsen. Dieses Land heißt Deutschland und deswegen habe ich einen deutschen Ausweis und ich spreche die deutsche Sprache besser als jede andere Sprache. Deswegen zog ich es vor, in meiner Muttersprache zu texten, um einen eigenen, weit ab vom SMALL TALK beschriebenen Stil zu entwickeln.

Das entspricht meinen Wurzeln. Ich habe eine Mentalität, die dieser Klimazone entspricht und bedaure manches Mal, dass ich nicht in Brasilien aufgewachsen bin. Dann würde sich meine Melancholie sehr viel mehr noch mit unbändiger Lebensfreude paaren können.

Ich habe keinen Bezug zum begrifflichen Patriotismus und genauso wenig zum Nationalismus. Was ich sage ist, dass ich zu meiner kulturellen Umgebung stehe, weil sie mir diese ureigene Geborgenheit und Vertrautheit gibt. Das ist essentiell, um seelisch gesund zu sein und zu bleiben.

[B]BiB: Wie beurteilst du die aktuelle politische Lage in Deutschland?[/B]

J.W.: Die Bevölkerung muss lernen, den aufrechten Gang zu gehen, nicht alles, was ihnen vorgesetzt wird, zu schlucken.

Sie reagiert geradezu apathisch auf soziale Ungerechtigkeiten. Sie schluckt ALLES! Wenn es keine Gewerkschaften gäbe, würde man wahrscheinlich gar keinen Protest mehr verspüren. Dieses Duckmäusertum hat den wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten in diesem Land entscheidenden Vorschub geleistet!

Die Menschen, denen Macht gegeben ist, müssen sehr viel früher intensiv merken, dass der Missbrauch längst erkannt ist. Es muss in wirtschaftlichen Bereichen einfach mehr Kontrolle und entsprechende Gesetze geben, die die arbeitende Bevölkerung vor Willkür schützt. Für mich ist diese kapitalistische Fratze längst ausgereizt!

Wir müssen zu einer umfassenden Demokratie finden, in der sich die Menschen endlich wieder wohler fühlen können! Man darf sich diese Erniedrigungen einfach nicht gefallen lassen!

[B]BiB: Wie verstehst du deine Aufgabe, Mission, Berufung als Musiker, und hat sich daran im Laufe der Zeit etwas im Vergleich zu früher geändert?[/B]

J.W.:Ich bin sehr viel engagierter und direkter geworden. Was ich früher gedacht habe, spreche ich jetzt aus.

[B]BiB: Welchen Bezug hast du persönlich zu Berlin?[/B]

J.W.:Berlin ist innerhalb kurzer Zeit zu meiner Lieblingsstadt geworden. Ich liebe diese Ungezwungenheit des Strassenbildes.

Dieses, den Anderen machen lassen. Ich mag die Weitläufigkeit und die Großzügigkeit der historischen Gebäude und ich mag auch sehr das Theater, an dem ich im Moment spiele. Das Maxim Gorki Theater!

[B]BiB: Gibt es etwas, das du jungen Newcomerbands mit auf den Weg geben würdest?[/B]

J.W.: Bei den ersten Erfolgen nicht gleich durchdrehen und sich zu den Mitmenschen beschissen verhalten, denn dann ist alles bald zu ende.

Das geht schneller, als Du denkst! Zu schnell aufgeben ist auch schlecht! Langer Atem ist wichtig und eine gesunde Selbsteinschätzung!

Disziplin im Umgang mit sich selbst und anderen! Bemüht Euch, einen eigenen Stil zu finden und nicht den hundertsten Aufguss von etwas zu machen! Dann könnt ihr bei Begabung weit kommen! Vor allen Dingen, habt Freude an dem, was ihr macht!

[LEFT]www.joachimwitt.de

Fotos: © Joachim Witt

Autor: [EMAIL=alex.lorenz@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Alex Lorenz[/EMAIL][/LEFT]

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