Interview mit NAKED LUNCH am 26.04.04

Bei ihrem Gig spielten Österreichs bekannteste Indie-Rocker in bester Sonic Youth-Manier ja lediglich etwas lustlos die Songs des neuen Albums herunter, im Interview präsentierten sie sich dagegen absolut sympathisch und auskunftsfreudig.

Was Anfang der 90er mit ungestüm-kantigem Indierock und emotionalem Grunge sowie Touren in den USA und England noch so hoffnungsvoll begann, endete spätestens mit dem Verlust von Plattenvertrag, Management und Agentur nach ihrem nicht weniger grandiosen, mit stellenweise hymnischem Gitarrenpop bestückten 99er Album Love Junkies ja doch eher tragisch, so dass die Band nach zehn Jahren wieder völlig am Anfang stand. Nach langer Pause und Auflösungsgerüchten erschien im März diesen Jahres nach langwierigen und mühevollen Aufnahme-Sessions mit dem großartigen Songs For The Exhausted dann doch ein fast nicht mehr für möglich gehaltenes neues Album, auf dem neben einem ziemlich lässigen Gitarrensound verstärkt elektronische und insgesamt leisere Töne Einzug gehalten haben.

Wir sprachen mit Sänger/Gitarrist OLIVER WELTER und Keyboarder STEFAN DEISENBERGER am 26.04.04 vor ihrem Gig im Knaack.



BiB: Ihr seid seit einigen Wochen in Österreich und Deutschland auf Tour. Seid ihr mit der Resonanz bislang zufrieden, insbesondere in Deutschland?
OLIVER: Wir sind ganz zufrieden. Natürlich ist das regional verschieden, in großen Städten wie Köln, Hamburg oder München läuft es generell eindeutig besser, zuletzt in Leipzig kamen immerhin auch so um die 100, in Magdeburg aber nur 30-40 Leute. Sicher gibt es auch einige Orte auf der Tour, die wir von vornherein nicht spielen sollten, aber wir dachten, das hätte sich mittlerweile auch bis Heidelberg herumgesprochen… Aber insgesamt gesehen kommen hier zwischen 50 und 350 Fans, was schon okay ist. In Österreich hat das dann natürlich noch eine ganz andere Dimension, gerade auch jetzt im Zuge der Veröffentlichung der neuen Platte, da kommen locker viermal so viele Leute zu den Gigs. Wenn wir dort einen Gig spielen, wie neulich in Wien, ist das kulturell inzwischen sogar von gewisser Bedeutung, dann berichten schon mal die Tagesnachrichten darüber, was uns selbst ziemlich erstaunt.

BiB: War für euch nach der langen Pause seit der letzten Platte das relativ große Medieninteresse insbesondere auch in Deutschland eigentlich überraschend, oder habt ihr damit gerechnet bzw. euch überhaupt Gedanken darüber gemacht?
OLIVER: Wir haben überhaupt nicht darüber nachgedacht. Es ist so viel Zeit verstrichen, und wir haben uns ganz lange nur mit dieser Platte beschäftigt und überhaupt nicht weitergedacht. Irgendwann im Stadium des Produzierens haben wir schon gemerkt , dass das mehr werden könnte als nur eine weitere Platte, und das hat sich im großen Medienecho ja jetzt auch bestätigt.
STEFAN: Dennoch waren wir schon positiv überrascht, wir hatten schon latent die Befürchtung, dass das keinen Menschen interessieren würde, in dem Ausmaß sind schon echt tolle Feedbacks gekommen, damit haben wir nicht unbedingt gerechnet.
OLIVER: Es ist halt auch so, dass man in einem gewissen Alter bzw. wenn man länger dabei ist, die Erwartungen eher zurückschraubt und niedrig hält, wir sind einfach mit einer bewusst geringen Erwartungshaltung an alles herangegangen.

BiB: Man könnte den Eindruck gewinnen, gerade wenn man auf eurer Website die Gast-Einträge liest, dass ihr ein sehr inniges Verhältnis zu euren Fans habt (bzw. umgekehrt). Empfindet ihr das auch so, oder liegt das nur an der langen Pause, also in dem Sinne, dass ihr einfach schrecklich vermisst wurdet?
OLIVER: Ja, es gibt schon in Teilen Deutschlands und Europas und natürlich ganz Österreich eine gewachsene Fan-Crowd und auch viele, die immer mitziehen. Das haben wir uns natürlich auch durch das viele Live-Spielen über die Jahre erarbeitet. Aber was die Fan-Betreuung betrifft, sind wir eine total schlechte Band, wir haben nie Newsletter geschrieben oder so was in der Art, das liegt uns einfach nicht. Vielleicht ist es aber auch einfach gut, sich generell rar zu machen.

BiB: Umso erstaunlicher, dass ihr bei solch einem Rückhalt und Erfolg in Österreich nach Love Junkies vor fünf Jahren dann plötzlich ohne Plattenvertrag und Management dastandet und wieder komplett bei Null anfangen und sogar teilweise auf der Straße leben musstet, obwohl ich auch hier in Deutschland den Eindruck hatte, dass es ein recht großes Feedback gab und euer Video zu ‚Closed Today‘ wurde ja auch auf Viva Zwei rauf und runter gespielt. Hat sich das alles so wenig rentiert?
OLIVER: Für uns ist die Rentabilität ja eine andere als für die Plattenfirma, die haben halt andere Erwartungen. In den hedonistischen 90ern wurde ja noch mit Geld nur so um sich geschmissen, da hat die Plattenfirma sehr viel Geld in uns investiert, was wir auch dankend angenommen haben, doch der finanzielle Input stand in keiner Relation zu den Verkäufen. Man hätte das gleiche damals vermutlich auch mit weniger finanziellem Input erreichen können, zumal das Feedback nicht so stark war wie jetzt mit der neuen Platte, dann wäre es vielleicht finanziell aufgegangen. Aber den Deal haben wir ja nicht nur wegen der mauen Plattenverkäufe verloren, sondern das bedingte sich ja auch gegenseitig, d.h. wir haben den Rauswurf auch dankend in Kauf genommen, weil wir einfach nicht mehr so viele Kompromisse eingehen wollten, was wir eigentlich eh schon zu sehr gemacht hatten. Und die waren halt auch moderatere Bands gewohnt, die zu allem Ja und Amen gesagt haben. Dann wurde uns natürlich auch mangelnde Kooperationbereitschaft vorgeworfen. Der Rausschmiss kam dann aber dennoch überraschend, weil die Platte erst zwei Wochen veröffentlicht war. Und dann schon zu behaupten, dass sie floppt, ist natürlich schon ein Scherz.

BiB: Mit eurer neuen Platte seid ihr ja nun bei Motor unter Vertrag. Seid ihr mit dem Deal zufrieden, habt ihr da einigermaßen eure Freiheiten oder müsst ihr auch wieder zähneknirschend vertraglich festgelegte Kompromisse eingehen?
OLIVER: Wir haben in dieser Hinsicht zwei Glücksgriffe getätigt. Der eine war die Entscheidung, die Platte komplett fertig zu produzieren, also auch mit dem Artwork und unserem Erscheinungsbild, das wir transportieren wollten. Genauso wie man das Album jetzt kennt, hat es die Plattenfirma bekommen, so dass uns da schon mal keiner reinreden konnte, was vielleicht auch der Grund dafür war, dass wir so lange suchen mussten, um eine Plattenfirma zu finden.

BiB: Schon erstaunlich, dass das so schwierig war…
OLIVER: Ja, es waren gerade mal ein oder zwei Labels interessiert, aber das hat letztlich aus ziemlich seltsamen Gründen nicht geklappt, grundsätzlich wollte diese Platte einfach keiner machen.

BiB: Bei Motor lief das ja dann über Patrick Wagner. Wie kam das zustande, kanntet ihr ihn, oder war das einfach Zufall?
OLIVER: Das war der zweite Glücksfall. Wir kannten ihn nicht, und er fand die Band bis dahin auch komplett scheiße, was er uns auch ganz ehrlich so ins Gesicht gesagt hat, was natürlich schon mal ein guter Start war… Aber okay, dann war das schon mal geklärt, und diese offene Art mag ich einfach. Aber er fand halt das neue Album gut, und wie gesagt, der zweite Glücksgriff hieß Patrick Wagner.

BiB: Wie habt ihr die Zeit in den letzten Jahren überbrückt? Oliver, du hast ja eine Zeit lang aus dem Auto auf der Straße gelebt…
STEFAN: Nein, das war ich…
OLIVER: Ja, beide eigentlich, eine Zeit lang.

BiB: Okay, gab es denn auch andere musikalische oder sonstige Projekte? Damals hörte man beispielsweise auch infolge eures grandiosen Videos zu ‚Closed Today‘ von einem Filmangebot…
OLIVER: Das war ein Fake, da haben uns schon viele drauf angesprochen. Das war damals ein Spiel mit ROCCO KLEIN, der bei Viva Zwei die Nachrichten moderierte und immer News brauchte. Da haben wir ihm immer mal was geschickt, wovon er auch nicht wusste, ob das wahr ist oder nicht. Wir haben das aber dann später auch aufgelöst, schließlich sind wir ja nicht OASIS…. Ansonsten haben wir noch andere Musik gemacht, Stefan und ich viel Theatermusik, Herwig (Zamernik, Bass) hat sein eigenes Tonstudio und produziert viel, außerdem hat er eine zweite Band am Start. Ich spiele auch auf anderen Platten mit und Stefan und ich haben jetzt gerade den Soundtrack für einen Film gemacht, der sogar in Cannes laufen wird, was uns natürlich sehr freut.

BiB: Ich habe auch von einem Projekt mit Tobias Kuhn (von MILES und MONTA) gehört. Wie weit ist das fortgeschritten?
OLIVER: Ja, wir werden nach dieser Tour Akustik-Shows spielen, ich mit NAKED LUNCH- und er mit den MONTA-Sachen, im Herbst wollen wir dann zusammen eine Singer/Songwriter-Platte aufnehmen.

BiB: Kommen wir zurück zur neuen Platte. Stand trotz der schwierigen Zeit immer für euch fest, dass ihr auf jeden Fall eine Platte machen wollt, d.h. die Chemie untereinander stimmte und die Leidenschaft war trotz diverser Rückschläge immer vorhanden?
OLIVER: Dass wir eine Platte machen, stand trotz der Umstände nie außer Frage, im Gegenteil, wir hatte diese ‚Jetzt erst recht’-Haltung, alles läuft schief, also machen wir eine Platte. Was aber nicht heißt, dass wir uns nicht auch ordentlich die Meinung gegeigt hätten und es nicht auch zu Streitigkeiten gekommen wäre, die natürlich auch ganz konstruktiv sein können. Aber wir pflegen schon eine harte, manchmal auch schon recht grenzwertige Streitkultur, doch letztlich ziehen wir doch an einem Strang, und das ist natürlich auch das Schöne daran.

BiB: Auf der Platte finden sich ja verstärkt elektronische Anteile, sie klingt insgesamt melancholischer und düsterer. Hattet ihr von Anfang an ein Konzept bzw. eine genaue Vorstellung davon, wie die Platte klingen sollte, oder hat sich das im Laufe der Zeit so ergeben, auch bedingt durch die Lebensumstände oder neue musikalische Einflüsse von Bands, die ihr neu entdeckt habt?
OLIVER: Es hat schon mit allem zu tun, was du gesagt hast, aber am wenigsten mit einem Plan. Dadurch, dass wir in einem eigenen Studio arbeiten konnten, hatten wir im Gegensatz zu früher die Möglichkeit, anders an die Sache heranzugehen, d.h. es gab eine Rohfassung vom Song, meist nur Gitarre und/oder Stimme, und dann haben wir mal gesehen, was so entsteht. Wir haben die klassische Rollenverteilung auch aufgebrochen und einfach experimentiert, also nicht jeder hat jetzt stur sein eigentliches Instrument gespielt, sondern auch mal andere, und gerade an die elektronischen Parts sind wir, außer Stefan, der sehr versiert ist, eher spielerisch und naiv herangegangen, so dass es auch teilweise fünf Versionen von einigen Songs gab. Außerdem gab es auch Überlegungen, Antipole zu schaffen, also was Rockiges oder Tanzbares zu integrieren, was wir aber zugunsten der Grundatmosphäre dann schließlich wieder verworfen haben. Genau diese Entscheidungsfindung hat uns aber schon extrem lang beschäftigt. Am Ende kam dann auch Olaf (Opal) noch dazu, der seine Ideen einbrachte oder die Songs auch einfach so beließ, wie sie waren. Außer dem Motto, eine Form der Verlorenheit über die Songs zu transportieren, gab es aber sonst keine Vorgaben.

BiB: Nervt euch eigentlich der ständige NOTWIST-Vergleich?
STEFAN: Nein, das nervt eigentlich nicht. Was nervt ist, wenn irgendwelche Menschen schreiben, dass wir originale GRETSCHMANN-Sounds und NOTWIST-Samples klauen, die aber offensichtlich nicht wissen, was ein Sample ist.
OLIVER: Das entsteht halt in erster Linie durch Olafs Produzenten-Tätigkeit, aber die Vergleiche kommen mal, mal auch nicht, uns ist das letzlich auch völlig egal. Blöde ist halt, wenn wir als Plagiatoren hingestellt werden wie in einem Internet-Magazin, dann aber gleichzeitig bei denen unsere Platte Album des Monats ist. Das kann ich dann gar nicht nachvollziehen.

BiB: Ein Song auf der neuen Platte sticht vom Sound her ja doch schon etwas raus…
BEIDE: … ‚The Deal’…

BiB: Ja, auch, aber ich meinte jetzt speziell den Opener ‚God‘, der ja sehr an den Sound von MY BLOODY VALENTINE erinnert. Absicht oder Zufall?
STEFAN: Zunächst war das schon ein ziemlicher Weichspüler-Song und Olaf gab dann den Anstoß, da doch eine andere Komponente einzubringen…
OLIVER: Man muss auch dazu sagen, dass speziell Olaf und eigentlich auch die ganze Band große MY BLOODY VALENTINE-Fans sind, und genau in diesem Fall wollten wir einfach diesen charakteristischen Sound erzeugen, und haben überlegt, wie hätte KEVIN SHIELDS das gemacht.
STEFAN: Wir haben dann schon viel experimentiert, interessanterweise sind das auch gar keine Gitarren, sondern durch allerlei Effekte verfremdete Geigen und Stimmen, die unglaublich laut vor Verstärker-Türmen aufgenommen wurden, so laut, dass glatt die Polizei im Studio auftauchte…Das war schon geil. Als wir den Sound dann hatten, wussten wir auch, dass nur ‚God‘ der Opener der Platte sein kann.

BiB: Wie sieht es mit euren Ambitionen aus, nochmal in England oder den USA oder überhaupt im europäischen Ausland Fuß zu fassen. Sind in näherer Zukunft Auftritte geplant?
OLIVER: Auftritte sind vorerst nicht geplant, doch wird die Platte über Motor/Universal schon in einigen Ländern veröffentlicht. Wir stehen dem ganz offen gegenüber und warten mal ab, was sich da so ergibt.

BiB: Wie sieht es mit eurer Beziehung zu Berlin aus? Habt ihr Kontakt zu Berliner Musikern oder mögt ihr irgendwelche Berliner Bands?
OLIVER: Berlin mögen wir schon, ich hatte auch vor einigen Jahren überlegt, nach Berlin zu ziehen, es ist dann aber nicht dazu gekommen. Von den bekannteren Bands mögen wir MIA und haben auch Respekt vor den BEATSTEAKS, die ja seit Jahren ihr Ding machen und jetzt so richtig durchstarten. Anfang April haben wir in Berlin beim Intro Intim gespielt, da gefiel uns auch die MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER. Aber konkreten Kontakt zu Berliner Musikern haben wir jetzt nicht.

BiB: Abschließend noch kurz zu euren Live-Gigs: Versucht ihr Spaß und Spannung aufrecht zu halten, indem ihr euer Set von Auftritt zu Auftritt variiert, oder spielt ihr immer dieselben Songs?
OLIVER: Eigentlich spielen wir zwei Sets, das erste besteht aus dem neuen Album, das wir von vorne bis hinten durchspielen. Wir haben auch schon versucht, die neuen Songs mit älteren in der Abfolge zu kombinieren, aber das hat nicht so richtig funktioniert und wird auch der Stimmung und Atmosphäre des Albums nicht wirklich gerecht, so dass sich meist ein komplett zweites Set mit alten Stücken an den ersten Teil anschließt, als Zugabe sozusagen. Vielleicht tragen wir aber heute der Coolness des hippen Berlin Rechnung und sind selber einfach so cool, dass wir nur die Songs des neuen Albums spielen und mehr nicht, mal sehen… (was sie dann –leider- auch taten, T.S.).

BiB: Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für den Gig.
BEIDE: Danke, auch für dich alles Gute.

Das Interview führte Thomas Stern.

http://www.nakedlunch.de

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