HASSE MYDTSKOV und RUNE PEDERSEN über ihr Debütalbum, Kritikervergleiche, MySpace und die skandinavische Musikszene.
Wenn eine Band aus dem beschaulichen Odense, die gerade mal ein Album veröffentlicht hat, ihr Konzertdebüt in Deutschland gibt, dann ist das für gewöhnlich nicht mehr als eine kleine Randnotiz. Wenn diese Band allerdings von der britischen Presse bereits als „this year’s jawdroppers“ (The Guardian) und ihr Album als „the debut album of the year so far“ (The Independent) gefeiert wird, dann kann man sich schon mal fragen, was hinter den großen Vorschusslorbeeren steckt, mit denen THE KISSAWAY TRAIL zur Popkomm anreisen.
Im News-Archiv ihrer Webseite findet sich noch eine kleine Mitteilung, in der die Band erste Gespräche mit dem dänischen Label Playground Music Scandinavia ankündigt – mit dem hoffnungsvollen Zusatz, das könnte etwas Größeres sein. Inzwischen, ein Jahr ist vergangen, haben THE KISSAWAY TRAIL Verträge für Europa, Japan und Australien abgeschlossen, ihr Debütalbum veröffentlicht und halb Europa bereist – allein in diesem Jahr stehen gut 50 Konzerte vor allem in Großbritannien und Skandinavien zu buche. Ganz nebenbei haben sie noch ein paar der großen Festivals wie Roskilde und Wireless mitgenommen, einen Überseeabstecher mit Dates in Kanada und den USA absolviert und schicken sich nun an, auch hierzulande bei einem der größten Clubfestivals ihre Duftmarke zu hinterlassen.
Als wir Schlagzeuger HASSE MYDTSKOV und Bassist RUNE PEDERSEN vor ihrem Gig im Postbahnhof treffen, fragen wir uns, ob die Musiker am Ende einer so langen Tour überhaupt noch Lust auf Interviews haben. Aber die Befürchtungen sind unangebracht, und die beiden erweisen sich als höfliche Gesprächspartner, die aufmerksam Rede und Antwort stehen.
BiB: Wenn ihr ein Jahr zurückblickt: Ist diese Entwicklung, die der märchenhaften Feder eures Landsmannes Hans Christian Andersen entsprungen sein könnte, wirklich so aufregend, wie sie sich liest, oder in erster Linie erstmal eine Menge Arbeit? Welcher Aspekt überwiegt inzwischen?
HASSE: Es ist schon überwältigend. Uns allen war von Anfang an klar, dass das genau das ist, was wir machen möchten und dass wir bereit sind, entsprechend darauf hin zu arbeiten. Darum ist es immer noch sehr aufregend. Hoffentlich wird es nie langweilig, wir wollen vermeiden, irgendwann in so eine abgeklärte Routine zu verfallen. Auch kleine Shows vor wenigen Leuten machen uns viel Spaß, den wollen wir uns erhalten.
RUNE: Oft sogar mehr Spaß. Wir freuen uns natürlich darauf, nach diesem Auftritt mal eine Woche zu Hause zu sein. Aber nach zwei Tagen wird man schon wieder unruhig und möchte weitermachen.
BiB: Der erste Kontakt zu eurem Label Bella Union erfolgte über eure MySpace-Seite. Etch n Sketch, die nun für den Vertrieb in Australien und Neuseeland zuständig sind, sind sogar von selbst auf euch zugekommen. Welche Möglichkeiten bringen die Mechanismen der so genannten „Digitalen Revolution“ für aufstrebende Bands mit sich? Seht ihr auch Nachteile?
HASSE: Ich denke bislang überwiegen die Vorteile. Einfach weil alles noch so neu ist.
RUNE: MySpace ist so riesig, da können gute Bands natürlich auch untergehen. Aber die Möglichkeiten sind offensichtlich. Früher musste man den Labels Demotapes schicken…
HASSE: …die sich dann niemand angehört hat. Über MySpace kann man einen besseren Eindruck von sich selbst vermitteln. Bella Union haben wir unser Profil zukommen lassen, das konnten sie nicht einfach wegwerfen und so haben sie es sich angehört.
BiB: Für euer Debutalbum habt ihr euch den gerade erst zwanzigjährigen Produzenten Niels Høg ins Studio geholt. Die eigenen Songs aus der Hand zu geben, ist ja häufig erstmal mit einem mulmigen Gefühl verbunden. Welches gewisse Extra konnte die Zusammenarbeit mit Niels euren Stücken letztlich hinzufügen?
HASSE: Das Gute bei Niels ist, dass wir nie das Gefühl hatten, etwas aus der Hand zu geben. Wir haben sehr eng zusammengearbeitet, so als sei er selbst Teil der Band. Dadurch konnten wir uns gegenseitig inspirieren und am Ende ist etwas ganz anderes herausgekommen, als wir es uns vorher vorgestellt haben.
RUNE: Niels ist ein Freund, den wir schon länger kennen. Seine Jugend war dabei ein absoluter Vorteil für uns. Er hatte keine Regeln, keine eingefahrenen Abläufe im Kopf und den Mut, auch mal Grenzen zu überschreiten. Bei etablierten Produzenten, kann man Gefahr laufen, in eine Schublade gesteckt zu werden, weil sie alles schon hundertmal gemacht haben.
BiB: Gegenseitige Inspiration, ist das vielleicht ein Grundmotto von THE KISSAWAY TRAIL? Ihr habt mit Thomas Fagerlund und Søren Croneliussen ja gleich zwei Songwriter an Bord. Wie funktioniert da die Bandarbeit: Werden die schon fertigen Songs in den Proberaum mitgebracht oder arbeitet man gemeinsam an den rohen Entwürfen?
RUNE: Mit zwei Songwritern gibt es natürlich einen höheren Output, mehr Material, an dem man arbeiten kann und eine klarere Linie. Bei den ersten Ideen von Thomas und Søren handelt es sich meist um grobe Skizzen, an denen wir dann gemeinsam arbeiten und schauen ob’s funktioniert.
HASSE: Der fertige Song, der am Ende steht, wird erst in der Zusammenarbeit der ganzen Band so möglich. Wenn Thomas beispielsweise zu Hause ein Lied schreibt, dann legt er nicht alle Details fest, sondern lässt uns die Freiheiten, unsere eigenen Vorstellungen einfließen zu lassen. Es kann natürlich passieren, dass wir einen Song zum ersten Mal hören und der uns so gut gefällt, dass wir ihn genau so lassen. Letztlich entscheidet die musikalische Qualität.
RUNE: Wir halten es so offen wie möglich. Jedes neue Lied muss natürlich eine ungefähre Richtung haben, aber die meisten fangen als großes Fragezeichen an.
BiB: Euer im Februar erschienenes Debutalbum wurde von der Musikpresse durchweg positiv aufgenommen. In fast jeder dieser Kritiken fallen Vergleiche mit Bands wie Arcade Fire oder Mercury Rev. Ist es schmeichelhaft, in einem Atemzug mit diesen Gruppen genannt zu werden oder nervt es, auf diese Vergleiche reduziert zu werden?
RUNE: Am Anfang war es natürlich sehr schmeichelhaft, aber irgendwann wird es dann etwas ermüdend. Ich habe natürlich Verständnis dafür, dass Musikjournalisten versuchen, unsere Musik durch Vergleiche einem Publikum greifbar zu machen. Aber letztlich sollte sich jeder sein eigenes Bild machen.
HASSE: Kritiker sind eben Kritiker und so wird es immer sein. Wie einzigartig und original man auch ist, sie werden einen immer vergleichen, und das ist auch sinnvoll so. Das heißt nicht, dass wir uns immer damit identifizieren müssen…
RUNE: …meistens tun wir das nicht…
HASSE: …aber wir haben beschlossen, uns davon nicht beeinflussen zu lassen. Wir wollen unser Ding machen und zusehen, dass wir selbst damit zufrieden sind.
BiB: In den letzten Jahren sind skandinavische Bands verstärkt in Erscheinung getreten – aus Dänemark beispielsweise Mew, Kashmir und die Raveonettes. Wir befinden uns ja heute auf der Danish Music Night und ihr werdet den Abend mit ein paar viel versprechenden dänischen Newcomern bestreiten. In welchem Zustand seht ihr die dänische Musikszene? Gibt es einen „typisch dänischen Sound“?
HASSE: Es gibt so etwas wie einen typisch skandinavischen, nordischen Sound, aber es entwickelt und erweitert sich. Es gibt immer neue Bands, die sich nicht auf einen Stil reduzieren lassen.
RUNE: Dänische Bands haben ein ganz neues Selbstbewusstsein gefunden. Sie tun einfach, was sie wollen.
HASSE: Musikmachen ist inzwischen ein regelrechter Modetrend in Dänemark geworden. Die Leute sind stolz darauf. Da hilft natürlich die schwedische Musikwelle der letzten Jahre, auf der diese Bands ein bisschen mitreiten können.
BiB: Ihr gebt heute euren Einstand in Deutschland. Ist das etwas Besonderes für euch oder nach so vielen Konzerten in diesem Jahr ein Auftritt wie alle anderen? Gibt es ein spezielles Programm?
HASSE: Das ist schon etwas besonderes wir freuen uns sehr auf das Konzert. Hey, immerhin ist Popkomm!
RUNE: Wir müssen uns an den engen Zeitplan halten und haben unser Programm etwas umgestellt.
HASSE: Es wird rockiger werden!
BiB: Wir haben am Anfang des Interviews das letzte Jahr Revue passieren lassen. Wenn wir nun ein Jahr in die Zukunft blicken: Ihr geht im Herbst mit den Editors auf große UK-Tour, spielt also vor noch größerem Publikum, gefolgt von einer weiteren eigenen Tour. In eurem Song ‚Tracy‘ gibt es die Textzeile: „If you don’t know where you’re going, you don’t know when you arrive“. Macht ihr euch Gedanken darüber, wo euch das alles noch hinführt und wo ihr mal ankommt?
RUNE: Erstmal gibt es wahrscheinlich noch mehr Editors. Wie es aussieht, supporten wir auch ihre Tour in Skandinavien. Eigentlich wollen wir gar nicht irgendwo ankommen, denn das würde ja das Ende der Entwicklung bedeuten. Wir nehmen es erstmal wie es kommt.
HASSE: Hm, gute Frage. Wir wissen nicht wann wir ankommen und nicht mal ob wir überhaupt ankommen. Aber jedenfalls wollen wir es alle und darum machen wir’s einfach.
Das Interview führte [EMAIL=arne.wellding@bands-in-berlin.com?Subject=Kontakt von der Website]Arne Wellding[/EMAIL]
www.thekissawaytrail.com
www.myspace.com/thekissawaytrail
Fotos: © THE KISSAWAY TRAIL