Wenn jemand sich jahrelang als Verkörperung des Indie-Geistes inszeniert hat und dann zum Major wechselt, muss genau hingehört werden. ISOLATION BERLIN hatten mit Alben wie Geheimnis die Verweigerung gelebt. Jetzt sagen sie Ja zum Business. Oder unterwandern sie hier nur die neuen Erwartungen? In einem Indiesong stellt sich Frontmann TOBIAS BAMBORSCHKE als „Ratte“ vor, ähnlich wie das auch schon die Punker von KOTZREIZ taten („Ratten Im System“).
Im Opener „Echt Sein“ schwört der Berliner, er wolle kein Kritiker mehr sein, sondern ganz-ganz-ganz dolle authentisch sein. Man sieht geradezu beim Hören sein schelmisches Grinsen, wenn er sich hier selbst als moralistisch kritisiert. Auch „Liebe Tut Weh“ schließt fast nahtlos an die Vorgängeralben an, in denen er das Leid der Liebe genüsslich auseinandernahm.
Diese Doppelbödigkeit durchzieht den Popsong „Verliebt In Dieses Lied“: Einerseits zelebriert die Band hier bewusst die andauernde popkulturelle Retromanie wie beim Coming-of-Age-Film Mid90s (2019): „Der erste Kickflip noch das allergrößte Ziel, der erste Kuss unerreichbar wie ein Moonwalk auf dem Mond“ Diese Regression der Kindheitsglorifizierung erreicht mit Trends wie Kidcore immer neue Höhepunkte. Tobis Gesang scheint sogar darauf hinzuweisen, welches Lied denn gemeint ist. Ist das „Ah-huuu-uh“ aus „The Lion Sleeps Tonight“ (als Cover in Der König der Löwen, 1994)? Oder führt er uns auf die falsche Fährte? So rappten doch DIE BEGINNER 1998 von einem „Liebeslied“, das sich absonderte „von all den anderen Liedern prompt, die alle gleich ausseh’n und zu viel Schminke nehm’n, aus fünfzig Wörtern wähl’n, um das Gleiche zu erzähl’n mit Schönheitsoperation’n an digitalen Konsol’n.“
Ihren Lieblingsthemen Alk, Drogen und Affären bleiben Isolation Berlin weiterhin treu („Drugs“, „Der Trinker“), doch sie lassen es jetzt laufen: „Is‘ nicht Liebe, nein, das ist Chemie, Neurobiologie und ein Hang zur Manie.“ Dazu klimpern die Synthies in „Deine Mutter Schmiert Die Butter“ fröhlich.
Die Verwandlung von Menschen zu hirnlosen Automaten durch Affektmanipulation wird im kalten Post-Punk „Maschine“ vorgeführt. So bitter und einleuchtend blickten schon KRAFTWERK auf die digital verwaltete Welt: „Ich bin eine Maschine. Ich frag‘ nicht nach. Ich funktioniere.“ Die Band registriert diese Entwicklungen nur. Einen Ausweg aus diesem Dauerzustand gibt es nicht. Selbst die Romantik einer süßlichen Indiepopballade wie „Hinterm Vattenfallmond“ führt nur zur Nostalgie: „Ich träume immer noch von dir. Wir taten uns so gut und dabei schrecklich weh in unserer kleinen Galaxie.“ Oder soll man sich mit Tinder-Affären und Fakeprofilen trösten? Bamborschke und seine Band rasten hier im Outro von „Electronic Babies“ aus.
Indem Isolation Berlin bei ihren aktuellen Songs alles offen lassen, sind sie vielleicht effektiver weil Gedanken-anregender denn je. Sie haben ihren Stil in die Charts geführt, in die sie gar nicht passen. Denn was nutzt Gegenkultur, wenn die Szenen sich aufgelöst haben? Vielleicht ist ja das Internet doch zu etwas nutze?
Isolation Berlin
Electronic Babies
(Vertigo/Universal)
VÖ: 11.10.2024
Live
06.03.25, Rostock, Peter Weiss Haus
07.03.25, Hamburg, Knust
08.03.25, Hannover, Béi Chéz Heinz
09.03.25, Köln, Gebäude 9
11.03.25, Wiesbaden, Schlachthof
12.03.25, Freiburg, Jazzhaus
14.03.25, München, Strom
17.03.25, Stuttgart, Im Wizemann
18.03.25, Nürnberg, Z-Bau
19.03.25, Dresden, Beatpol
20.03.25, Leipzig, Conne Island
21.03.25, Berlin, Columbiahalle