Regressive Popkultur? Miley Cyrus und Ghostbusters

Das hat sie nicht verdient! MILEY CYRUS wurde im letzten Jahr für ihr Album Plastic Hearts kritisiert und in einen Topf geworfen mit der Retromanie der aktuellen Kinoproduktionen. Sie und andere Popsängerinnen würden die 80er Jahre genauso ausschlachten wie heutige Regisseure. Aber es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen Plastic Hearts und etwa der neuesten Ghostbusters-Verfilmung.

Klar, kann man enttäuscht sein von dem einstigen Disney-Star, wenn man geglaubt hat, der Ausflug in den Indie-Bereich Miley Cyrus & Her Dead Petz (2015) stünde für ein grundsätzliches Erwachsenwerden. Entsprechend interpretierte man ihre Rückkehr zu Country (Younger Now, 2017) und Retro-Poprock (Plastic Hearts, 2020) als Regression zu ihrer Teeny-Identität HANNAH MONTANA. Identitätspolitisch warf man ihr vor, schwarze und queere Minderheiten wieder hinter sich zu lassen und sich erneut der Normal-Bevölkerung zuzuwenden.

Doch hier verkennt man ihre integrative Rolle als Popstar, der sich nachträglich in die Popgeschichte einschreiben muss. Ihre Feature-Kollegin DUA LIPA („Prisoner“), hat 2020 mit Future Nostalgia sich am Synthiepop der 80er bedient und DAYGLOW in diesem Jahr mit Harmony House ebenfalls. Miley macht mit „Midnight Sky“ nichts grundsätzlich anderes, vielleicht etwas weniger kreativ. Und sie macht auch keinen „Kinderzimmerpunk“ wie RANDALE, sondern verhandelt erwachsene Themen wie freie und doch verantwortungsvolle Sexualität.

Sie stellt auf diese Weise zudem alte Helden wie BILLY IDOL („Night Crawling“) und JOAN JETT („Bad Karma“) der neuen Generation vor. Wenn sie BLONDIE („Heart Of Glas“) oder die CRANBERRIES („Zombie“) covert, macht sie es LADY GAGA nach, die ja als überdeutliche MADONNA-Kopie auftrat („Alejandro“). Derartige Retro-Trends sind unverzichtbar, um weiter in den Charts zu bleiben. So kann es also sein, dass Miley nach dieser Pflichtübung in zwei Jahren wieder mit Trap, Neopsychedelia oder Hyperpop experimentieren kann. Vielleicht geht’s dann auch in die 90er. Ihr aktuelles Cover „Nothing Else Matters“ von METALLICA deutet es an. Hier arbeitete übrigens ELTON JOHN mit, genau wie vor ein paar Jahren noch mit Gaga („Your Song“).

Kinoposter © Sony Pictures Releasing

Anders sieht es dagegen im Falle der Bereicherungsökonomie im derzeitigen Filmbusiness aus. Ganz ehrlich, niemand brauchte ernsthaft eine Prequel-Serie zu Der Dunkle Kristall, eine weitere Star Wars-Triologie oder neue Teile von 80er-Filmen wie Indiana Jones, Tron, Der Prinz aus Zamunda oder Ghostbusters. Die Risiko-Furcht Hollywoods vor neuen Geschichten macht jetzt aus jedem alten Erfolg ein Franchise, eine Marke. All diese Neuauflagen sind als Familienfilme angelegt, die mehr als die heutigen Kinder deren Eltern abholen sollen, welche sich an ihre 80er-Jahre-Kindheit erinnern sollen.

Als Mit-Auslöser dieser Retromanie gilt die Netflix-Serie Stranger Things mit FINN WOLFHARD, die sich an 80er-Hits wie Die Goonies, E.T., Stand by Me, Poltergeist, Shining und Zurück in die Zukunft bediente. Die Neuverfilmungen von Stephen Kings Es schlossen daran an. Schlüpfte Wolfhard in Stranger Things bereits ironisch ins Ghostbusters-Kostüm, ist es im neuen Sequel Ghostbusters: Legacy tatsächlich ernst gemeint. Die neuen Kinder und Jugendlichen in diesen Retro-80er-Filmen sind Identifikationsfiguren für heutige Erwachsene. Sie ermöglichen tatsächlich eine Regression: Die Überforderung des krisenhaften 21. Jahrhunderts sorgt für den Wunsch, in die Übersichtlichkeit der 80er Jahre zurückzukehren. Und tatsächlich steht ein neuer Kalter Krieg ins Haus: USA vs. China.

 

Miley Cyrus
Plastic Hearts
(RCA Records)
VÖ: 27.11.2020

www.mileyworld.com

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