Was ist Weiblichkeit? Was ist Männlichkeit? Welche gesellschaftlichen Erwartungen werden an unser Auftreten gehegt? Spitzfindige Analysen sozio-kultureller Verhaltensnormen zeigen JENNY HVAL auf Apocalypse, Girl als große Denkerin. Mit ihrem dritten Album nimmt die Norwegerin das Konstrukt Gender und Unsicherheiten im Umgang mit Körper und Identität in einem Spiel aus Fragen und Antworten unter die Lupe. Zwischen verzerrtem Chor-Gesang, Sci-Fic-Loops und Art-Pop macht sie die Künstlichkeit von Geschlechterdifferenzen und Tragweite von Sexismus bewusst. Das mag dystopisch klingen, ist textlich aber ein Spiegel realer Verhältnisse.
Zynisch beginnt die Platte mit „Kingsize“, auf dem Hval von Dichterin METTE MOESTRUP inspirierte Poetik erotisch vorträgt und pornographische Strategien der Wirtschaft als eigene Waffe nutzt. Was sexy ist, hat eben schon immer Beachtung gefunden. If you have a child, you better learn how to bake spottet sie zwischen rappelnder Elektronik und hinterfragt mit „Take Care Of Yourself“ sexuelle Stereotype und Kriterien eines gewissenhaften Ichs. Bedeutet für sich Sorge tragen nun Getting laid? Getting paid? Getting married? Getting pregnant? oder Shaping it all in the right place? „The Battle Is Over“ prognostiziert dann das Ende des Feminismus und deklariert: Statistics and newspapers tell me I am unhappy and dying / that I need a man and child to fulfill me / that I’m more likely to get breast cancer / and it’s biology.
Für Aussagen wie diese erhält die Sängerin derzeit viel Applaus. Das zeigt auch, wie wenig Beachtung die Dekonstruktion geschlechterspezifischer Rollen bisher in der Musik fand. JENNY HVAL schafft es, komplexe Kritik, die ansonsten vermutlich wenig Gehör gefunden hätte, in einem populären Kostüm zu verbreiten. Damit ist Apocalypse, Girl tatsächlich eine der bisher intelligentesten Platten des Jahres.
JENNY HVAL am Montag 22.06.15 live in Berlin / Berghain Kantine
JENNY HVAL
Apocalypse, Girl
(Sacred Bones / Cargo Records)
VÖ: 05.06.2015