So klingen die Gegenwart und Zukunft der Popmusik.
Da sind wir also wieder, wir ca. dreißig Jährigen und grübeln einmal mehr über das Wie und Wann, stieren Gedanken verloren in den kalt gewordenen Kaffee, stecken uns noch eine Zigarette an und schauen dem aufsteigenden Rauch hinterher. Eigentlich sollten wir längst erwachsen geworden sein, heißt es… Doch zwischen dem nun endlich beendeten Langzeitstudium, Jobsuche, Kinder kriegen, Wohnungs- und Beziehungswechsel findet die eigentliche Katastrophe statt – die Furcht vor dem Trott, der Schiss vor dem Gewöhnlichen, die Angst vor dem Alltag, in den uns BLUMFELD (‚Kommst Du mit in den Alltag’ auf Old Nobody (1999)) mitnehmen wollten und den uns TOMTE in aller Ausführlichkeit und entwaffnend vor Augen hielten (Hinter All Diesen Fenstern (2003)).
Vorhang auf! also für das neue KANTE-Album. Vier Jahre vergingen nach dem fast unbeachteten Debüt Zwischen den Orten (1997) als mit Zweilicht (2001) ein Meilenstein deutschsprachiger Popmusik erschien. Diese Platte hat für mich bis heute nichts an ihrer Faszination verloren, betört mich in ihrer Atmosphäre, Dichtheit und mit ihren Geschichten immer wieder aufs Neue.
Für Zombi ließen sich KANTE wiederum drei Jahre Zeit. Es entstand im Electric-Avenue-Studio Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Produzenten TOBIAS LEVIN (u.a. TOCOTRONIC, TIED AND TICKLED TRIO, SURROGAT) und dem Mischer OLAF OPAL (u.a. THE NOTWIST, MILES). Lang erwartet und heiß ersehnt hat auch das dritte Album der Hamburger Band das Zeug zum Meilenstein, sprengen doch KANTE auf Zombi einmal mehr den musikalischen Rahmen des gewöhnlichen Pop und bieten einen virtuosen Entwurf jenseits aller Eindimensionalität und voller Eindringlichkeit.
Zombi ist ein musikalisches Experiment und stets ist das Besungene nur schwer greifbar. ‚Moon, Stars and Planes‘ – wie ein Vorspann zum Hauptfilm – eröffnet die Reise, ein beinahe Instrumental ist klar wie ein Nachthimmel, tröstlich und entspannend wie seine Finsternis.
„Ein schwaches Gift, das langsam wirkt“ dringt in den Körper (‚Schwaches Gift‘), eine Hymne von orchestralem Ausmaß mit MASSIVE ATTACK-Anleihen. Diese dunkle, teils verstörende Atmosphäre zieht sich wie ein roter Faden durch die CD, unterbrochen von rockigen, aber immer noch berauschenden Tracks wie dem Titelstück ‚Zombi‘ und erreicht ihren definitiven Höhepunkt mit dem Depri-Hammer ‚Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen‘. Angekommen an der Null-Punkt-Entscheidung, in der Ausweglosigkeit, Bewegungslosigkeit, Stillstand: „Ich will die Nacht an allen Tagen“. Das ist dunkel-eleganter Pop in Perfektion mit obligatorischem Krachpart in KANTE-geliebter Überlänge. PETER THIESSENs Gesang ist von einer glasklaren Monotonie und entwickelt sich zu einer drängend majestätischen Stimme eines verlorenen und einsamen Erzählers.
Musikalisch ist Zombi ausgesucht geschmackvoll, stilsicher, geschichtsbewusst wie auch eigenständig. KANTE zelebrieren ihre Vorbilder und geben ihren Einflüssen, allen voran die des Jazzers ROBERT WYATT viel Raum (‚New Babylon‘). Lang gezogene Bläsersätze schälen sich auch in ‚Baron Samedi‘ erhaben aus Junglesounds und kulminieren im Free-Jazz.
Bedingungslose Liebe, romantischer Realismus (‚Wo die Flüsse singen‘), Sex (‚Warmer Abend‘), ein Klangteppich aus Stimmengewirr, Tierlauten und Instrumenten scheint die Stadt zu überziehen (‚New Babylon‘)… Die Platte neigt sich dem Ende zu. Immer noch sitzen wir da, in einem endlos verlängerten Schwebezustand, in einer Welt zwischen Tag und Nacht, zwischen Ein- und Ausatmen: die unerträgliche Leichtigkeit des Seins…
Vorhang zu. Alle Frage offen. Das Spiel beginnt von vorn.
KANTE
Zombi
VÖ: 23.08.2004
Autor: [EMAIL=jana.schuricht@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Jana Schuricht[/EMAIL]