Kein Jahr mehr ohne Metoo

Langsam erobern sich die Rechten in der Öffentlichkeit wieder das Thema Vergewaltigung von den Feministinnen zurück, um nur über Migranten und Flüchtlinge reden zu können. Rückschläge wie die Beendigung mehrerer Verfahren gegen RAMMSTEIN-Musiker haben die #Metoo-Bewegung kleingemacht.

Doch sie hat in den letzten Jahren viel erreicht: Zum ersten Mal in der jüngeren Zeitgeschichte ahnen Millionen Menschen, dass die Musik, die sie konsumieren, möglicherweise von Tätern stammt – und zwar nicht nur von schwarzen Rappern sondern auch von weißen Rockern. Dass Popkultur oft „rape culture“ ist, wird aber achselzuckend hingenommen. Diese Amoral ist die selbe, wie Fleisch gequälter Tiere zu essen, Kleider von Kinderhand zu tragen oder menschenverachtende Parteien zu wählen. Es ist das zynische Privileg der Nicht-Betroffenen. Das Leid anderer ist Teil des Konsums, weshalb Konsumkritik hier nichts ändert. Die Produktion muss geändert werden.

In diesem Jahr erschienen zwei Platten von Musikern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: TILL LINDEMANN ist ein raubeiniger 60jähriger Rockstar, der 27jährige BØRNS ein Indiesänger. Und doch einen das Album Zunge und die Suddenly EP, dass hier zwei Männer singen, die öffentlich als Täter sexueller Straftaten vermutet wurden.

Nachdem Till für sein Side-Project LINDEMANN der Partner PETER TÄGTGREN weggelaufen war, erschien Anfang November Zunge und schon der gekränkte Titeltrack reagiert auf die Kritik an seiner Person, die als PC-Kritik zurückgeworfen wird: „So viele Worte nicht so gemeint, so viel Sprache, so gemein. So viele haben so viel geweint. Meine Zunge hat keinen Knochen und so sag ich, was ich will. Ach, mein Herz, das ist gebrochen, doch es schlägt noch, steht nie still.“ In „Tanzlehrerin“ zeigt er sich sogar geläutert: „Was nicht will, kann man nicht zwingen, nein. So fing ich einfach an zu singen.“

Ähnlich verletzt präsentierte sich BØRNS schon Ende Juli. Im Titelstück der EP „Suddenly“ klagt er, die Vorwürfe gegen ihn hätten seine Karriere zerstört: „And suddenly all the music was erased, didn’t even leave a trace of harmony. Yeah, they tried to take a part of me and I’m looking at the time, but I don’t think I’ll ever get it back.“

Dass beide Herren nicht vor Gericht standen und problemlos weiter Platten produzieren, muss betont werden. Dass ein so zartbeseideter Künstler sich ähnlich ängstlich äußert wie ein millionenschwerer Weltstar, ist ebenfalls verständlich. So kamen 2019 die zwei K-Pop-Stars JUNG JOON YOUNG und CHOI JONG HOON ins Gefängnis, weil sie wegen Vergewaltigung verurteilt wurden.

Und tatsächlich bricht die Zahl der Skandale nicht ab: Dem deutschen Rapper CR7Z aus dem Umfeld des Soulpoppers und Verschwörungsideologen XAVIER NAIDOO wurde Gewalt gegen Frauen vorgeworfen. In der HipHop-Szene wunderte man sich im Herbst zudem kaum über mehrere Vergewaltigungsklagen gegen P-DIDDY, sondern diskutierte lieber, ob 50 CENT recht hat und P. DIDDY hinter dem Mord an 2PAC steckt. Unter anderem warfen DIDDY seine Ex-Freundin, die Sängerin CASSIE, Vergewaltigung vor und eine anonyme Frau, die auch den Singer/Songwriter AARON HALL beschuldigt. Ebenfalls im November warf eine Frau dem GUNS N’ROSES-Frontmann AXL ROSE Vergewaltigung vor 30 Jahren vor. Alle diese Musiker haben aber den Beschuldigungen widersprochen. Es vergeht also kein Jahr mehr ohne Vorwürfe und das ist offenbar nötig.

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