KENT – Röd


Meine Damen und Herren: Kent.



Über KENT zu schreiben ist schwer, verdammt schwer. Nicht, weil die Musik so schlecht ist, dass einem nichts dazu einfallen würde. Oder die Band unsympathisch, dass man gar nichts über sie sagen möchte. Genau das Gegenteil ist der Fall – über die Vier aus Schweden lässt sich so unglaublich viel erzählen, dass es eigentlich jeglichen Rahmen sprengt und erst recht den einer CD-Rezension. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum im März 2010 ein komplettes Buch über sie veröffentlicht wird?

Schwupps, da geht’s schon los… während in Deutschland mit „Kent“ größtenteils die Grafschaft in England assoziiert wird, ansonsten die Standardreaktion wohl aber ein „kenn‘ ich nicht“ ist, sind sie in ihrer Heimat das, was dabei heraus käme, würde man alle hierzulande angesagten Bands zusammenschmelzen und auf die Bühne stellen. KENT sind die Band, DIE Band – und werden quasi schon als Nationalgut wie ABBA gehandelt. Allein einen Text ohne weitere Superlative zu verfassen, ist insofern wirklich eine Herausforderung und macht es dem deutschen Redakteur unter anderem so schwer zu erklären, warum es sich lohnen könnte, sich auf Röd und nicht sofort verständliche Texte einzulassen.

Vielleicht also einfach ein paar Fakten zum Einstieg? KENT sind weit entfernt davon, eine Eintagsfliege zu sein, sondern kredenzen mit der aktuellen Platte Veröffentlichung Nummer acht (sogar neun, rechnet man das Doppelalbum B-Sidor aus dem Jahr 2000 dazu), seit 1990 im schwedischen Eskilstuna die sagenhafte Geschichte ihren Lauf nahm. Sie schaffen es, innerhalb von fünf Minuten Onlineticketsysteme in den Tod zu schicken und allein in Stockholm zwei aufeinander folgende Abende der 2010 anstehenden „Röd-Tour“ in einer der größten Veranstaltungshallen der Stadt auszuverkaufen, so dass kurzum zwei weitere Termine nachgelegt werden mussten.

Warum es nun also außerhalb der skandinavischen Grenzen nicht so recht klappen wollte, bleibt Spekulation. Vielleicht waren sie zur falschen Zeit am falschen Ort, vielleicht liegt es daran, dass Isola und Hagnesta Hill zwar auch auf Englisch erhältlich sind, danach aber nur noch in der Muttersprache geträllert wurde. Oder KENT haben, wie so manch andere, eigentlich famose Band das „große Los“ gezogen, schlicht übersehen zu werden. Tatsache ist jedenfalls, dass Röd so viel mehr als eine weitere, hübsche Ergänzung im CD-Regal ist.

Ein wenig schwere Kost zugegebenermaßen, aber das ist bei KENT bewusster Standard. Spätestens seit dem 2005er Album Du & Jag Döden (Du & Ich Der Tod), das überschattet und geprägt von Ereignissen im Leben von Sänger und Songwriter Joakim Bergs reichlich düster ausgefallen ist, kann und darf man die Platten nicht mehr „einfach so“ einlegen. Die Schweden lassen sich Zeit und erwarten diese dann auch beim Empfänger. Erarbeiten muss man sie sich selbst als eigentlich eingefleischter Fan, aber das Endergebnis entschädigt für die Mühe – Röd wächst, wie seine Vorgänger, mit jedem Durchlauf und entfaltet schließlich allumfänglich seinen Charme.

Beim Opener ’18:29-4′ fragt man sich zwar erstmal kurz, ob aus Versehen die falsche CD in die Hülle gerutscht ist, schallen einem doch chorale Kirchenklänge entgegen. Ein Psalm, ein Lied? Man weiß es nicht, vergisst aber postwendend bei ‚Taxmannen‘ den Gedanken wieder, denn das schlägt ganz andere Töne an. Die guten, alten KENT sind wieder da, verfeinert und verzaubert mit erstaunlich treibenden Beats, sowie der einen oder anderen technischen Spielerei. Vor allem aber einem: Bergs eindeutig zweideutigen Texten, die dem Zuhörer nicht nur gedanklichen Zündstoff bieten, sondern auch – so denn gewünscht – wunderbar auf das eigene Leben anzuwenden sind. Und während man noch ganz gebannt überlegt, driftet es auch schon so nahtlos in ‚Krossa Allt‘ über, dass es fast wie ein einziges Lied klingt.

Durch eben jene Harmonie besticht das Album, sie ist gewissermaßen der rote Faden – denn hier hat sich jemand Gedanken gemacht, sehr viele. Sowohl musikalisch, textlich als auch beim Gesamtkonzept. Die Titel reihen sich aneinander, als wären sie in einem Guss geschrieben und aufgenommen worden, keine Spur von Holprigkeit, die einem als Hörer schon so manches, von der Grundidee eigentlich gutes Album verleidet hat. Und wer mit Röd auf den Geschmack gekommen ist, dem seien auch die anderen Alben wärmstens empfohlen – schon allein, weil auf dem Vorgänger Tillbaka Till Samtiden ein Titel namens ‚Berlin‘ zarte Bande über schwedische Grenzen hinaus zu uns knüpft.

KENT
Röd
(Sony Music)
VÖ: 06.11.2009

http://kent.nu
http://www.myspace.com/kentsweden

Autor: [EMAIL=verena.gistl@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Verena Gistl[/EMAIL]

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