Ein äußerst buntes Publikum traf sich am Karfreitag in der Volksbühne. Das Motto war „die Bühne als Dancefloor“.
Der Dancefloor wurde wiederum zur Bühne für eine kleine Schar linker Demonstranten, die an den Ordnern vorbei stürmte und so ihr Recht auf „Unterhaltung umsonst“ einforderten. „Le Tigre umsonst? Berlin Umsonst! Treffpunkt 21.30 Uhr vor der Volksbühne!“ war auf Flyern zu lesen, die in einschlägigen Kneipen auslagen. Eine Aktion von www.berlin-umsonst.tk – doch dies nur am Rande.
Ansonsten war es ein ganz normales Konzert in der für solche Sachen nicht unbedingt geeigneten Volksbühne. Die erdrückende dunkelbraune Vertäfelung im Wandelgang, schlechte Luft weil man nur dort rauchen durfte, beklemmende Hitze im Konzertsaal, nur zwei Getränkestände und ein ständiges kommen und gehen des Publikums. Immerhin – die Befürchtungen, man müsse sich LE TIGRE sitzend anhören, bestätigten sich nicht. Man hatte gewissermaßen eine Bühne-auf-der-Bühne installiert, was noch genügend Raum auf dem riesigen Podium für stehendes und tanzendes Publikum ließ. Die imposante Raumhöhe hinter der Band wurde als überdimensionale Projektionswand genutzt und für die, die trotzdem auf den Rängen des Auditoriums Platz nahmen, waren zwei weitere Leinwände angebracht worden.
Schließlich haben LE TIGRE nicht nur was zu sagen, sondern auch was zu zeigen. Sie sind als politische Band bekannt, Frontfrau Kathleen Hanna war Anfang der Neunziger zusammen mit Tobi Vail Gründungsmitglied der Band BIKINI KILL und der Inbegriff des Riot Grrrls. Man sagt wohl heute eher wieder Feministin, dennoch zur Erinnerung einige Auszüge aus dem Manifest der RGs:
Riot Grrrl weil
– wir wissen, dass leben mehr sein kann, als bloß physisch zu existieren und uns bewusst ist, dass die Idee des Do-it-yourself im Punkrock zentral für die kommende wütende Grrrl-Rock-Revolution ist, die die psychischen und kulturellen Welten von Mädchen und Frauen in ihren eigenen Begriffen zu retten versucht.
– das Machen/Lesen/Hören von coolen, uns selbst wertschätzenden und herausfordernden Dingen uns helfen kann, die Stärke und den Gemeinschaftssinn zu entwickeln, die wir brauchen, um herauszufinden, was Scheiße wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Diskriminierung aufgrund des Alters, der Spezies, der Sexualität, des Gewichts, der Klasse oder körperlicher Behinderungen in unserem Leben anrichten.
– wir Kapitalismus in all seinen Formen hassen und weil es unser zentrales Ziel ist, Informationen zu teilen und wir nicht den herrschenden Standards entsprechend nur Geld machen oder cool sein wollen.
– wir wütend sind auf eine Gesellschaft, die uns sagt, Mädchen = blöd, Mädchen = böse, Mädchen = schwach.*
Jawoll. Das war gestern. Heute haben wir PEACHES die sagt: ‚Shake yer dix‘ und ‚Fatherfucker‘. So ändern sich die Zeiten.
Wie auch immer – es machte Spaß, den sympathisch-aufmüpfig-quengelnden Damen von LE TIGRE zuzusehen, die auf ihren beiden Alben Feminist Sweepstakes und Le Tigre und der EP From the Desk of Mr. Lady stets humorvoll Protest, Politik und Punk verbunden haben.
Live bewiesen sie Sinn für Party – als Opener interpretierte man ‚I’m so exited‘ von den Pointer Sisters um. Die meisten Songs stammten vom 99er selbstbetitelten Album und den Smash-Hit ‚Deceptacon‘ hob man sich (inklusive Video) bis zum Schluss auf, um den Bühnen-Dancefloor dann doch noch mal richtig abgehen zu sehen.
Kathleen Hanna hat ihre eigene Ansicht über Bühnen: „Die Bühne ist notwendig, damit die Leute den Star sehen können. Während die Menschen zu dir raufschauen, sehen sie die Menschen neben sich nicht, mit denen sie vielleicht reden sollten. … Ich glaube, das ist im Kapitalismus begründet, der alle zu Robotern degradiert.“*
(*aus ‚Lips.Tits.Hits.Power?‘ von Anette Baldauf und Katharina Weingartner, Folio Verlag)