Libera – Angels Sing. Christmas In Ireland

Libera

Zur Einstimmung auf die Weihnachtszeit Kirchenmusik im scheinbar modernen Gewande hören? Damit lässt sich kräftig Geld für „gemeinnützige Zwecke“ verdienen, wie das neue Album des berühmtesten Knabenchors der Welt, LIBERA, beweist. Angels Sing. Christmas In Ireland erscheint mitsamt einer Live-DVD aus der St. Patrick’s Cathedral im irischen Armagh, zwei Jahre nach der ersten reinen Weihnachtslieder-CD. Die Pop-Vermarktung segnet die erzkatholische Haltung zu Kindern ab.

Wer sind LIBERA überhaupt? 1970 übernimmt der Komponist ROBERT PRIZEMAN die Leitung des Knabenchors der anglikanischen Saint Philipps-Kirche in Süd-London. Er vertont lateinische und englische Kirchenlieder, Requiems und Choräle für sie. 1984 werden sie zum ersten Mal kommerziell eingesetzt, als Begleitung des englischen Sängers SAL SOLO. Schon 1987 erscheint die erste eigene Chor-Single ‚Sing Forever‘ und spielt für die Kampagne „Children In Need“ beachtliches Geld ein. Von dem Erfolg begeistert, nimmt PRIZEMAN mit den Jungs ein Jahr später das Album Sing For Ever auf. Schon hier fällt die poppig-süßliche Rhythmik in der Vertonung der Gesangsklassik auf. Die Idee dazu nimmt er möglicherweise vom postmodernen Komponisten John Rutter auf.

Das gemeinnützige Charityprojekt anrührender Kindergesänge lohnt sich jedenfalls finanziell. In den 90ern folgen weitere fünf Alben nunmehr unter dem Chornamen ANGELS VOICES. Beteiligungen an Filmmusik wie an William Shakepeare’s Romeo + Juliet (‚Everybody’s Free (To Feel Good)‘, 1996) und Kooperationen wie mit ELTON JOHN (‚The Big Picture‘) machen den Chor immer bekannter. Es folgen mehrere Teilnahmen an TV-Shows. Einzelne Solisten wie LIAM O’KANE finden persönliche Anhängerschaft. Der Chor wächst auf rund 40 Mitglieder an. Dutzende Videos werden produziert, die die Sänger in einer mythisch verbrämten Atmosphäre von Kathedralen und Höhlen zeigen. Trugen sie als Kirchchor noch klassisch englische Uniformen, erhalten sie ab Ende der 80er weiße Umhänge, die sie als Engel verkitschen. Der typisch katholische Fokus auf den süßen, unschuldigen Ministranten an der Seite des Priesters wird betont, erst recht als PRIZEMAN den Chor nach dem katholischen Lied und gleichnamigen Album in LIBERA umbenennt.

Mit einer neuen Generation aus Chorknaben gelingt in den 2000ern der internationale Durchbruch. Die Kinder werden für den christlichen Markt in Japan, den USA und den Philippinen produziert, wo sie vorrangig auftreten und selbst in den Mainstream-Top 10 auftauchen. Als LIBERA werden nicht weniger als 16 Alben released und re-released. Im Sommer 2008 singt der Chor vor dem damaligen Papst Benedikt XVI., vor jenem Mann also, der noch als Chef der vatikanischen Glaubenskongregation einen gewaltigen Anteil an der Vertuschung von sexuellem Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche hatte. 2010 deckte der deutsche Missbrauchsskandal auch die Verbrechen bei den Regensburger Domspatzen und im Leipziger Thomaner-Chor auf. Davon war kein Wort zu hören im Thomaner-Werbefilm Das Fliegende Klassenzimmer (2003) oder in der letztjährigen Doku Die Thomaner. Auch in der Vatikan-Doku Francesco und der Papst (2011) lebt das Ideal des braven Chorknaben mit der Engelsstimme weiter.

Es ist darum auffällig, dass LIBERA fast überall dort auf Tour gehen, wo es zu Missbrauchskandalen kam, in diesem Jahr also in Irland. Hier, wo die katholische Kirche rund zwei Milliarden Euro zur Wiedergutmachung von tausenden Missbrauchs- und Misshandlungsfällen zahlen muss, traten in den letzten zehn Jahren viele Katholiken aus. LIBERA sangen im letzten Sommer in der besagten irischen St. Patrick’s Cathedral neben „alten Hits“ wie ‚Sanctus‘, sowohl Weihnachtslieder von ihrem 2011er Christmas Album – etwa ‚Joy to the World‘ und ‚Carol of the Bells‘ – als auch andere: Mit dem irischen ‚The Wexford Carol (Carúl Loch Garman)‘ verbeugen sie sich vor dem Gastgeberland. Rund 30 Jungs zwischen sieben und 16 Jahren (bereits die dritte Generation) lassen das urkatholische ‚In Dulci Ci Jubilo‘ und das moderne ‚Have Yourself a Merry Little Christmas‘ erklingen. Begleitet werden sie von Orgel, Streichern, Schlag- und Blasinstrumenten. Erneut werden sie als himmlische Engel in weißen Gewändern präsentiert, die die Musik zur Bescherung in die guten Stuben tragen. Ihre Fans können sich berauschen und die Realität vergessen. Am Klarsten wird die aufgelegte Rolle dann, wenn der kleine, blasse ISAAC LONDON als Solist das Stück ‚Danny Boy‘ anstimmt.

LIBERA
Angels Sing. Christmas In Ireland
(Warner Classics)
VÖ: 05.11.2013

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