Libera – Apart But Together EP

Was nützen Kirchen, wenn sie nicht Seelsorge leisten und was ein Knabenchor, der nicht singt? Das international bekannte Projekt LIBERA sollte am 6. Juni in der Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit von Ely in Cambridgeshire auftreten, was Corona vereitelte. Stattdessen wurden sie in sechs Split-Screen-Videos ins Netz gestellt.

Libera ist seit Mitte der 1980er eines der international beliebtesten Kulturprodukte Großbritanniens. Die gefällige Aufmachung von Kirchen- und Nationalliedern durch Komponist ROBERT PRIZEMAN war immer teil davon, sowie die professionelle Produktion von Musikvideos. Als einlullendes Kitschprogramm kann es zu allen möglichen ideologischen Zwecken eingesetzt werden, zum Vergessen des katholischen Missbrauchskandals in Irland etwa, zur Rechtsfertigung des Klassensystems („All Things Bright And Beautiful“) oder zur Stärkung des US-amerikanischen Selbstverständnisses als führende Nation des Westens (Libera-Angels Sing – Libera in America, 2015).

Alle fünf Jahre muss freilich die eine Jungsgeneration einer jüngeren Platz machen. Jede bringt neue Solistensterne hervor, von denen jedoch kaum welche so strahlten wie die goldene Generation Mitte der 2000er (Angel Voices, 2006) mit überragenden Talenten wie TOM CULLY, JOSH MADINE, MICHAEL HORNCASTLE und ED DAY. Dieses Level ist von den aktuellen Knaben nicht zu halten, die im vergangenen Jahr das dritte Libera-Weihnachtsalbum (Christmas Carols with Libera) veröffentlichten. Wenn alle paar Jahre die Songs von jemand anderem gesungen werden, zwingt sich der Vergleich auf.

So macht LUCA BRUGNOLI seine Sache bei „Deep Peace“ solide, kommt aber nicht an STEFAN LEADBEATER vor 10 Jahren heran. DOMINIC CLARKE singt „O For The Wings“ und ist etwa gleichauf mit OLIVER PUTLAND, der 1992 „O For The Wings Of A Dove“ sang. Geradezu unfair im Vergleich zur goldenen Generation ist auch die Wahl einer weitaus unmelodischeren „Ave Maria“-Version. Und „Smile“ soll in der Coronakrise Mut machen, doch VICTOR WIGGIN unterliegt selbst seiner eigenen Generation, aus der GABRIEL COLLINS vor drei Jahren authentischer klang. Der musste im Video noch einen armen Jungen im 19. Jahrhundert spielen.

Schlimm gerät zum Abschluss die christliche Hymne „Joyful Joyful“ von Henry van Dyke, wohlgemerkt nicht mit dem Text der europäischen Ode „An Die Freude“. Als multikultureller Chor sollen Libera den liberalen Traum einer nicht-rassistischen EU verkörpern, der mit tausenden Toten im Mittelmeer und hunderten Angriffen auf Flüchtlingsheimen in den letzten Jahren eigentlich ausgeträumt sein sollte. Warum schreibt eigentlich niemand einen anklagenden Titel über das Lager Moria statt über die Jungfrau Maria für die Jungs?

 

LIBERA
Apart But Together EP
(Libera Music/Invisible Hands Music)
VÖ: 26.06.2020

http://www.libera.org.uk

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