Das Internet-Phänomen der „Backrooms“ ist eine Urban Legend, die einen Widerhall in der Popmusik findet. Kein Wunder, dass sich das englische Lofi-Label The Jazz Hop Café daran gemacht hat, in einer Compilation Titel zu diesem Thema zusammenzustellen. 23 instrumentale Tracks sind hier versammelt worden.
Doch der Reihe nach: Wovon reden wir? 2019 wünschte sich ein User des Imageboards 4chan unheimliche Fotos nach einer bestimmten Ästhetik zu sammeln (siehe Cover-Bild). Sein Post vereinte zwei Dinge:
Erstens „Liminal Spaces“, also Orte des Übergangs zwischen Räumen (Flure, Parkplätze, …) oder Zeiten (Spielplätze, Klassenräume, …). Diese müssen künstlich-zeitlos oder verfallen-heruntergekommen aussehen, auf jeden Fall aber menschenleer sein. So wird etwas Normales unheimlich. Anonyme Nichtorte werden interessant.
Zweitens stellte er sich bereits vor, die Welt sei ein Videospiel, aus dem man herausfallen („no clipping“) und in leeren, sinnlosen Labyrinthen landen könnte, also in unendlichen Liminal Spaces. Diese Idee wurde dann von vielen Usern zur Creepy Pasta und Verschwörungstheorie ausgebaut. Was, wenn die US-Regierung eine Art Paralleldimension gebaut hätte, um unendlich viel Lager- und Wohnraum zu haben, quasi als gigantischen Bunker für den III. Weltkrieg? Diese Theorie wurde dann von dem 16jährigen Regisseur Kane Parsons (KANE PIXELS) aufgegriffen, der 2022 auf Youtube einen Found Footage-Horrorfilm namens The Backrooms einstellte, in dem ein junger Mann in diese Lagerraum-Dimension fällt und dort von einem Robotermonster (einer „Entität“) gejagt wird. Durch seinen großen Erfolg angestachelt, hat Kane bereits mehrere Filme und Soundtracks veröffentlicht. Weitere Video- und Spiele-Produzenten folgten seinem Beispiel und brachten Videos, Mods und Spiele heraus. Das Internetphänomen ist schließlich Ausgangspunkt für einige Musiker gewesen.
Was ist nun zu hören? Anders als der Name des Labels vermuten lässt, gibt es hier keinen Jazzhop sondern Lofi HipHop und Vaporwave auf die Ohren. Das hat auch Kane Pixels so gemacht. Die Musik ist freundlich, seltsam bis gefährlich.
Los geht’s mit „Apple Pie“ von HØSDE. Zu verschrobenen Beats hört man Kinder kichern und spielen. Offenbar wohnt der Hörer einer Teeparty bei, doch sind es vielleicht Geister von Kindern? BACE drückt in „Where Did You Go“ mit zarter Synthiemusik Alleinsein aus. Auch hier wispern Kinder.
„Let Me Out“ von DIVINT oder „Office Daze“ von ODEM MEDO bestechen dagegen mit nostalgischen, schläfrig machenden Melodien. So sind diese Backrooms ja durchaus keine Orte des Schreckens sondern auf seltsame Weise vertraut und sicher.
„Inside“ von NAUTE oder „Disturbed Mind“ von WEVIIS & ATAMATOKI klingen zunächst unpassend fröhlich mit ihrem generischen Vaporwave. Es sind die schräg und alt gewordenen Werbejingles für die Backrooms, die die US-Regierung ja angeblich ihren Bürgern als Arbeits-, Verkaufs- und Wohnstätten anbieten wollte. Manche Künstler wie Weviis sind übrigens mehrmals auf der Compilation vertreten.
Mit „Where1AM“ von MYCELIUMBUG und „Forgotten Corridors“ von DENISSKY wird es dann langsam unheimlich. EVA GOMI TENSHI & THATLOFIGUY liefern mit „We’re All Doomed“ dann einen echten Horrorsoundtrack ab.
Die zahlreichen Backrooms-Filme drücken ein Unbehagen an der Postmoderne aus, das nicht leicht zu beschreiben ist. Die vorliegenden Tracks liefern einen guten Beitrag dazu.
V.A.
Lost In The Backrooms
(The Jazz Hop Café)
VÖ: 06.01.2025