Vor zwei Jahren kam ein überragendes Debüt in die Musikmärkte. Die Transfrau ETHEL CAIN stellte sich nicht als „Son Of A Preacher Man“ (DUSTY SPRINGFIELD) sondern als Preacher’s Daughter vor. Das Konzeptalbum machte sie nach ein paar EPs zu einer Diva, die spielend leicht Pop, Rock, Sadcore, Folk und Ambient beherrschte, mit denen sie auch noch eine schockierende Geschichte zu erzählen vermochte. Den Hörern versetzte sie dabei mehrmals lyrische und musikalische Schläge in die Magengrube. Nun erscheint der Nachfolger Perverts, der weitgehend auf Pop und Rock verzichtet. Das zweite Studiowerk wirkt damit eher wie eine 90minütige Ambient-EP.
Das neue Konzeptthema sind Perversionen. Schon im Auftakt, dem 12-minütigen Titelstück, erklingt mit der Kirchenhymne „Nearer My God To Thee“ erneut ihr Gegenspieler: das bigotte, fundamentalistische US-Christentum. Man bedenke, dass in kaum einem Land der Erde so viele Menschen in Kinderehen gezwungen wurden und werden. Und jenes zur Ideologie gewordene Christentum erklärte Ethel nun als Kind, wer die Perversen waren: nicht missbrauchende Prediger sondern die Nicht-Heterosexuellen; nicht gewalttätige Ehemänner und Väter sondern Frauen und Minderjährige, die frei über ihre Sexualität bestimmen wollten. So verbot es die Masturbation (Gen 38), aber nicht den Kindesmissbrauch. Nach diesem Statement folgt lange Zeit nur Ambient.
Dann beginnt der Slowcore-Track „Punish“ mit Gestöhne und Klavier. Hier singt Ethel bitter hinein. Ihr Text versucht die verrückte Sicht eines Pädophilen einzunehmen, der vom Vater seines Opfers niedergeschossen wurde: „Only God would believe that I was an angel, but they made me leave. They made me leave. I am punished by love.“ Der in den USA stark diskutierte Selbstjustiz-Fall Plauché von 1984 wurde auch in der Michael Moore-Doku Bowling for Columbine (2004) erwähnt.
Geradezu unhörbar ist der über 13 Minuten lange Drone-Track „Housofpsychoticwomn“ geworden. Er ist nach dem Buch House of Psychotic Women von Kier-La Janisse benannt, das sich mit weiblichen Neurosen in Horrorfilmen beschäftigt. Die enervierenden Drones erinnern an Interferenzen und damit an das kaputte White Noise-Radio im neu aufgelegten Horrorgame Silent Hill 2. Und auch der Ambient-Track „Onanists“ könnte aus AKIRA YAMAOKAs Soundtrack dazu stammen. In diesem Spiel gab es die Nebenfigur Angela, die ebenfalls von ihrem Vater missbraucht worden war (vgl. „Vacillator“) und diesen dafür kastrierte und tötete (vgl. „Punish“). Man könnte also ganz modern und psychoanalytisch sowohl Preacher’s Daughter als auch Perverts als Traum-Arbeit, als symbolische Bestrafungen, ja Kastrationen des Vaters lesen.
Auch der Folk wird nicht vergessen („Etienne“) und „Amber Waves“ ist eine bizarre Mischung aus Slowcore, Noiserock und Shoegaze. Hier spielt MADELINE JOHNSTON (MIDWIFE, MARIPOSA, SISTER GROTTO) die Gitarre.
Diese Platte ist noch schwerlicher verdaulich als ihre Vorgängerin. Die Gefangenheit in der schwarzen Vergangenheit wird zementiert. Auch wenn Ethel am Ende des letzten Titels beteuert: „I’ll be alright, I’ll be alright, I’ll be alright.“ Man glaubt ihr nicht.
Ethel Cain
Perverts
(Daughters of Cain/AWAL)
VÖ: 08.01.2024