Es war ein Karrieren-Aus wie ein Wetterleuchten: Am 16.8. veröffentlicht MANUELLSEN, der offizielle HipHop-Botschafter Mülheims, seinen letzten Track ‚Ihr Bringt Mich Dazu‘ und verkündet darin, das Raphandwerk niederzulegen. So gewaltig es auch klingt, damit folgt Deutschland dem amerikanischen Ende des Gangsta Rap seit 50CENT‘s Fall im letzten Jahr, und der Traum vom anspruchsvollen Straßenrap stirbt.
Quasi als Beweis dafür und zum Trost schenkt MANUELLSEN seinen Fans sein neues Album Geschichten, Die Das Leben Schreibt (Gratis-Download auf www.pottweiler.de) und damit ein paar seiner bisher besten Songs. Es ist Zeugnis für das Ende einer deutschen Musikepoche.
Der heute 29-Jährige beginnt mit 15 Jahren zu performen und schreibt jahrelang Texte für R’n’B-Sänger. 2004 holt ihn EKO FRESH zu German Dream und lässt ihn auf dem Labelsampler German Dream Allstars auftreten, auf dem auch dessen größter Fehler ‚Die Abrechnung‘ zu hören ist. Nachdem ihn KOOL SAVAS mit dem Über-Antworttrack ‚Das Urteil‘ in Grund und Boden gedisst hat, trennen sich seine und MANUELLSENs Wege. Dieser hat ewig auf die Veröffentlichung seines Hoodalbums warten müssen und veröffentlicht es kurzerhand selbst auf seinem neu gegründeten Label Shrazy Records. Damit wird er zusammen mit SNAGA & PILLATH zum Vertreter des „Neuen Pott“.
Bei einem Gastauftritt beim Bundesvision Songcontest 2005 lernt er SAMY DELUXE kennen, der ihn beim nächsten Treffen vorschlägt, auf seinem Tape Big Baus Of The Nauf zu rappen. Daraufhin geht MANUELLSEN zu Deluxe Records, wo er 2006 sein Album Insallah und im März dieses Jahres das Mixtape Das Ist Meine Welt, Ihr Lebt Nur… releasen kann. Nebenbei kümmert er sich um sein Team „Pottweiler“. Trotz teurem Marketing stellt sich jedoch der Erfolg nicht ein. Warum soll anhand des neuen qualitativ hochwertigen Albums geklärt werden, das, wie der Rapper kurz vor seinem Karriere-Aus erklärt, nicht bei Deluxe Records erscheint.
Orientalische Klänge erklingen auf dem ‚Intro‘ vom dritten und letzten MANUELLSEN-Album und werden es beherrschen. Der Beat bleibt ebenfalls meist flockig. Mit „Das ist die Welt, an der ihr gerne vorbei seht“ schließt er gedanklich an seine letzte EP an.
Seine geliebte Street-Credibility beschwört der in Kreuzberg Geborene erneut auf dem flüssigen ‚Überall zu Hause‘. Es ist die Neuauflage von ‚I Represent‘ vom Album Insallah, so wie ‚Wir halten durch‘ von ‚Das Leben ist ein Knast‘. ‚Wir halten durch‘ ist besser geraten als sein Vorbild und featuret erneut SAW. Die Lyrics der Rapper sind klüger geworden und warnen erneut vor der Zukunft einer drogensüchtigen, perspektivlosen Migranten-Jugend.
Erst mit ‚Bausaudewest‘ zeigt MANUELLSEN, dass er das Spitterhandwerk nicht verlernt hat. Er liefert einen seiner besten Battleraps ab, auf jeden Fall auch den lässigsten. Auch hier bleiben die Beats wohltemperiert und angenehm zu hören. Diese Ruhe bleibt jedoch nicht bestehen. Melancholisch klingt ‚Das Ist Meine Welt‘, ‚Peoples Champ‘ dagegen frustriert und verzweifelt. Das Klavier klimpert nervös, die Beats werden härter. Die Durchhalteparolen und Gebete betreffen den Herren selber. ‚Ihr Bringt Mich Dazu‘ kündigt sich hier schon an. „Guck, ich hab nie an mich selber gedacht… was hab ich jetzt davon? Nichts!“ Die Rap-Szene, die ihn nicht rein ließ, wird hier schon angeklagt.
Songs wie das souverän gute Feature mit JONESMAN ‚Warum Ich So Bin‘ und das fantastische ‚Karma‘ machen klar, was für ein Talent Deutschrap hier entgangen ist. „Zeit ist wie Make-up. Es verdeckt nur die Narben.“ – Solche Weisheiten wurden früher mal „deepes Zeug“ genannt.
Den einzigen Disses seiner Karriere (MASSIV und BUSHIDO) fügt er wieder keine hinzu. Wie EKO FRESH scheute er immer Beef, wollte lieber Musik machen. „Insallah war ein Album ohne Hass, nur mit Liebe und Herz. Kein Album, um die Szene zu schocken.“ Ja, das ist der Hauptgrund, warum der Mann scheitern musste: HipHop wird in Deutschland nicht erwachsen. Gangster müssen über Sex, Drugs, Gewalt und andere Rapper rappen; Backpacker über Gott und die Welt. Jemand, der alles kann und tut, passt nicht rein.
Zudem konnte MANUELLSEN trotz Hype kaum Geld mit seiner Musik verdienen. Nicht nur EKO FRESH, auch das Label seines Konkurrenten KOOL SAVAS, Optik, und dessen Brutstätte Royal Bunker mussten aufgeben, weil illegales Downloaden bei den HipHop-Fans beliebt ist. Und gerade MANUELLSEN stellte viel von sich ins Netz.
Dass er sich auch noch mit SAMY DELUXE verwarf, der auf dem Album noch als der Einzige gepriesen wird, der an ihn glaubt, hat MANUELLSEN sicher die letzte Lust am Rappen verdorben. Sicher ist, dass er schlicht zu sehr Straße für Deluxe Records mit seinem geschäftstüchtigen Boss war. Zwischen Erfolgsanspruch und Ghetto zerrissen, tat MANUELLSEN das, was er sich auf Geschichten, Die Das Leben Schreibt! noch auszureden versucht: Er gab auf.
Vor kurzem (‚Ruhrpott Love‘ auf Insallah) behauptete MANUELLSEN noch, er könne nicht singen, was er auf dem neuen Album selbst widerlegt. Seine Stimme klingt reif und soulig. Er hat angekündigt, nach dem Rappen vielleicht noch zu singen. Das kann man sich nur wünschen.
MANUELLSEN
Geschichten, Die Das Leben Schreibt
(Eigenvertrieb)
VÖ: 27.08.2008