Martin Tetzlaff | Die Wertigkeit von Kunst

Im Dezember erschien mit „Worthless String Of Ones And Zeros“ die via Bandcamp erhältliche, mit britisch gefärbtem Indie-/Songwriter-Pop bestückte neue EP des umtriebigen Berliner Musiker-Urgesteins MARTIN TETZLAFF, der am Samstag (09.01.) zur achten Ausgabe seiner rauschenden Geburtstagsrevue ins Kaffee Burger lädt.

Kurz vor der im Rahmen von Popmonitor Live stattfindenden, unter dem Motto „The Champagne For Real Rock“ stehenden diesjährigen Partynacht mit zahlreichen (Live-) Gästen wie u.a. KITTY SOLARIS, NACHLADER oder dem Poetry Slammer TOM MARS, Martin himself zusammen mit THE BEAUTY REGIME und einer kleinen Indie-Supergroup sowie diversen DJs trafen wir Martin noch zu einem ausführlichen Interview.

Im Dezember erschien deine neue EP „Worthless String Of Ones And Zeros“. Was hat es mit dem Titel auf sich und wie entstehen generell Themen und Texte?

Ich habe in den letzten Jahren extrem viel Erfahrungen mit dem Internet und vor allem auch mit der Wertigkeit von Kunst an sich gemacht. Inzwischen konsumiert unsere Gesellschaft Kunst und Kultur als auch Kommunikation vollkommen digital. Die CD stirbt aus und auch die Vinyl-Platte ist in Gefahr, auch wenn dieses Medium gerade eine Renaissance erlebt. Ich bin noch jemand, der Musik, die mir wirklich etwas bedeutet, in physischer Form in der Hand haben möchte. Ich liebe den Geruch von Booklets, die auf recyceltem Papier gedruckt wurden, und vor allen Dingen ist das Artwork auch ein künstlerischer Ausdruck der Bands und Musiker. Diese Kulturgüter, wie auch das Buch, das von Amazon wohl am liebsten ausgerottet werden sollte, sind in Gefahr.
Vor ein paar Jahren nahm die Band „I Like Trains“ einen Tee in ihr Merchandisesortiment auf und brachte einen extrem witzigen Werbeclip dazu heraus. Dort sitzt der Sänger der Band wie ein Landlord in einem alten Sessel und spricht bei einer heißen Tasse Tee von Dingen, wie etwa Tee, die man nicht digitalisieren kann und weswegen die Band sich nun entschied, ins Tee-Business einzusteigen. Dann sagte er den entscheidenen Satz „Digitisation is the process by which you transfer something which once had value into a worthless string of ones and zeros“. Mir blieb dieser Satz hängen und ich fand, dass er ein witziges Statement zu meiner eigenen Musik ist. Künstler haben den Hang, nicht über sich lachen zu können, aber meine eigenen Songs als „Worthless string of ones and zeros“ zu bezeichnen, weil sie nur digital erhältlich sind, fand ich schlicht urkomisch und gleichzeitig auch kritisch, in Zeiten, in denen Leute keine Plattenschränke mehr haben und Musik kaufen, die sie mit einem Knopfdruck einfach wieder auslöschen können. Und das Vernichten von Musik oder Kunst generell hat für mich einfach einen faden Beigeschmack, wenn ich da so an die deutsche Vergangenheit denke.

Ist ausschließlich eine digitale Veröffentlichung geplant? Oder beabsichtigst Du auch eine physische VÖ inkl. Label und Vertrieb? Wie stehst Du generell zu diesem Thema?

Ja, die EP erscheint vorerst nur digital, weil ich mir tatsächlich einen physischen Release im Moment nicht leisten kann und wie ich eben schon sagte, geht die Zahl der Leute zurück, die sich eine CD oder Vinyl kaufen, geschweige denn einen neuen Song im Internet, oder gar ein ganzes Album, in Ruhe anhören und nicht oberflächlich so nebenbei.
Ein Label suche ich nicht und glaube auch nicht, dass mich eins ansprechen wird. Das ist zum einen schade, weil ich dadurch mit meinen Songs kein wirklich größeres Publikum erreichen werde, aber das gibt mir auch die Freiheit das aufzunehmen an Musik, was ich will und vor allem wann ich will und wie ich will.
Die vier Songs meiner EP lagen teilweise Jahre in der Schublade und ich war mir unsicher, ob ich sie veröffentlichen sollte, aber Ende Dezember habe ich mir selbst etwas Druck gemacht, weil ich jedes Jahr mindestens einen Release schaffen will, und habe die Songs fertig gemacht. Eine Besonderheit war, dass ich den Song „Undergrowth“ 6 Stunden bevor ich die EP auf Bandcamp, was eine tolle Webseite ist, erst angefangen habe aufzunehmen. Das war schon total verrückt zu sehen, wie schnell man, wenn man frei ist, Musik auf und in die Welt bringen kann. Ich fand das extrem faszinierend. Diese Freiheit finde ich kostbar. Meine Aufnahmen, die ich komplett alleine mache, sind keine Hi-End-Produkte und technisch nichts für Studiofrickler, aber ich bewahre mir mit meiner Arbeitsweise eine Intimität und Eigenständigkeit, die in den Tonstudios verloren geht. Und ich mag es, einen gewissen eigenen Sound zu haben, auch wenn Experten über diesen wohl die Nase rümpfen werden.

Neben deinen Soloaktivitäten gab und gibt es parallel auch immer weitere (Band-) Projekte wie aktuell bspw. die Berliner Band The Beauty Regime, mit der Du dich einem dynamischen Indie-Folk/Postrock verschreibst (und mit der Du auch am Samstag im Kaffee Burger auftreten wirst). Wie unterscheidet sich die Arbeits- und speziell auch die Herangehensweise hinsichtlich deines Songwritings? Liegt die Priorität generell auf deiner Soloarbeit oder wie ist die Gewichtung?

Die Prioritäten wechseln ständig und je nach Bedarf. 2015 war kein Beauty Regime-Jahr, weil es für fünf Vollzeitangestellte schwer ist, sich zum Musizieren zu treffen oder gar zu touren. Letztes Jahr hatten alle Bandmitglieder viel zu tun, wurden Eltern, heirateten und arbeiteten hart, was aber auch okay so war, weil die Band nicht gegründet wurde, um damit Karriere zu machen.
Letztes Jahr habe ich auch eher ein ruhiges Solojahr gehabt, aber dank meiner unabhängigen Arbeitsweise konnte ich zumindest meine EP machen oder ein paar handverlesene und wunderbare Gigs spielen. Dann hatte ich mir eine Loop Station gekauft und versuche nun, etwas Eigenständiges damit zu kreieren. Bei The Beauty Regime entstehen die meisten Songs aus Fragmenten, die in die Band gestellt und um- oder ausgebaut werden. Selten machen wir komplett fertige Songs, und auf diese Art kann sich auch jeder von uns mit unserer Musik identifizieren. Bei meinen eigenen Liedern darf ich natürlich der Diktator sein, der alles macht, worauf er Lust hat, und deswegen ist meine Musik keine homogene und immer ähnlich klingende Arbeit, sondern ein bunter Strauß an Rock, Indie, Elektro, Singer-Songwriter und was auch immer. Bei meiner Band darf ich nicht so ein Despot sein und habe dafür das Glück, etwas Neues miterschaffen zu dürfen, was ich alleine so nie hinbekommen könnte.

Wie entstand die Idee für deine alljährlich stattfindende Singer/Songwriter-Geburtstagsrevue, die an diesem Samstag bereits zum achten Mal zelebriert wird, und wie hat sich diese über all die Jahre entwickelt?

Im Jahr 2008 feierte ich runden Geburtstag und hatte so die Vision, im Zosch mit einer anderen Band ein Konzert zu spielen, um meinen Feiertag angemessen zu begehen. Martin und Mila von mum Entertainment und Fucking Pop haben mich zu der Zeit immer beraten und meinten, dass so ein Anlass nicht mit so einer popeligen kleinen Veranstaltung begangen werden sollte und sie rieten mir, etwas größer zu denken und organisierten mir einen Abend im King Kong Klub, den es ja leider seit 2014 nicht mehr gibt. Da ich ja zu einem gewissen Größenwahn neige, habe ich für diesen Abend insgesamt neun Künstler und Acts eingeladen, die jeweils drei Lieder zum Besten geben durften. Der Abend war ein voller Erfolg, und ausnahmslos alle Beteiligten von den Künstlern, über die DJs bis zur Inhaberin der Location waren restlos begeistert. Als ich Mila und Martin den überlangen Titel des Events „The Sensational Martin Tetzlaff Birthday Singer-Songwriter Show Night“ präsentierte, protestierten die beiden, aber ich fand diese selbstironische Eigenüberhöhung großartig und seitdem heißt die Revue so.
Über die ganzen Jahre ist die Revue auch für Künstler, die jedes Jahr mitmachen, schon fast ein fester Termin geworden und ich konnte wirklich großartige Leute auf die Bühne bekommen, die mir jedes Jahr ihre Auftritte quasi zum Geburtstag schenken.

Der Geburtstagsrevue wohnt in diesem Jahr das Motto „The Champagne For Real Rock“ inne. Was erwartet die Besucher im Kaffee Burger?

Wie das Motto verrät, werden wir den ganzen Abend Motörhead hören und dabei in einem Ozean an Schampus ersaufen! Nein, Quatsch natürlich. Es gibt einen Song von Edwyn Collins, der „The Campaign For Real Rock“ heißt, den ic wirklich unendlich liebe, und ich wollte das eigentlich als Motto nehmen, aber Katha von Beauty Regime machte den Scherz mit dem Wortspiel und schon stand der Name! Gemäß dem Motto wird es dieses Mal keine wirkliche Singer-Songwriter-Show werden, sondern wir lassen die E-Gitarren heulen und haben richtige Bands auf der Bühne.
Wie jedes Jahr eröffne ich, quasi als Vorband meiner Gäste, die Revue um Punkt 20 Uhr, weil der Zeitplan unbedingt eingehalten werden muss. Nach mir folgen die anderen Musiker und etwa in der Mitte der Show kommt mein guter Freund Tom Mars auf die Bühne und liest wie jedes Jahr Texte vor. Tom ist Poetry Slammer und für eine Viertelstunde bitte ich das Publikum um absolute Ruhe, damit man ihm richtig zuhört. Das ist jedes Mal ein wirklich magischer Moment, wenn es Hunderte schaffen, wirklich bewusst zuzuhören. Einfach toll! Nach Tom geht die Musik weiter, und wenn die letzte Note verklungen ist, legen meine guten und langjährigen Freunde Wolf (DJ Igelknie), Jan (poshpop) und Erik und Dirk (A Design For Life-DJ-Team) bis zum Morgengrauen auf und wir feiern alle zusammen wie die Wahnsinnigen!
Noch eine kleine schöne Anekdote am Rand: 2014 im King Kong Klub war es so voll, dass die Bar tatsächlich um 4 Uhr kein Bier mehr hatte und deswegen am Sonntag dann nicht öffnen konnte. Wenn es dieses Mal wieder so gut besucht wird, dass die Bar zufrieden ist, dann bin ich es erst recht.

Am Samstag spielst Du einige deiner Solosongs seit Längerem mal wieder im Bandformat. Wie kam es zu dem Entschluss und wie habt Ihr zusammengefunden?

Ich habe immer wieder Gastmusiker mit dabei, weil es einfach ein schöneres Erlebnis ist, die Bühne mit anderen Leuten zu teilen. Und weil es dieses Mal um Rockmusik geht, habe ich Bernd und Guido von meinen alten Bands Phonetic und Paul is dead als Drummer und Bassisten gewinnen können. Dann gesellten sich schnell Julia an der Geige und Katha als Backingsängerin von The Beauty Regime dazu. Zu guter Letzt kam Franz von der Band „Deltawelle“ an Bord, und nun habe ich eine echte Supergroup beisammen und wir spielen meine bekanntesten Songs und haben als letzten Song noch eine megageheime Coverversion dabei, die mir unendlich viel bedeutet. Leider wird das nur ein einmaliges Vergnügen sein und die Band nach Samstag wieder Geschichte.

Wo würdest Du dich selbst innerhalb der Berliner (Indie-) Szene verorten und wie wichtig sind Dir Kollaborationen und Vernetzungen mit anderen Musikern?

Oh, das ist eine schwierige Frage. Berlin ist ja eine sich ständig verändernde Stadt und dauernd ziehen Leute her und wieder weg. Als ich vor 18 Jahren anfing Konzerte zu spielen, gab es eine stimmige Musikszene aus Berlinern und Brandenburgern. Man kannte sich und traf sich gegenseitig mehr auf Konzerten anderer Berliner Bands. In dieser Zeit traf ich viele Leute und Künstler und diese wiederum kennen mich auch vor allem aus dieser Zeit. Damals gab es den Dolmen Club und dort gingen alle hin, die den Karrera Klub nicht mochten, und es gab einen großen Kreis an Leuten, Fans und Musikern.
Inzwischen ist Berlin internationalisiert, was ich gesellschaftlich toll finde, aber als Berliner Musiker, der ich ja bin, ist es unfassbar schwer geworden, überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Wenn man sich heute diese ganzen Bands ansieht, die sich Berliner Bands oder Künstler nennen, dann stellt man fest, dass da keiner mehr aus Berlin stammt, sondern nur zugereist ist und die wenigsten bleiben in der Stadt. Das macht es auch schwer sich mit anderen Künstlern zusammen zu tun, aber es gibt einige Leute, die nicht Berliner sind, aber hier inzwischen sesshaft geworden sind, die ich, auch durch die Geburtstagsrevue, immer wieder sehe und mit ihnen zusammen arbeite, spiele und treffe, wie etwa Klabunde, Kitty Solaris oder die Leute aus meiner Band The Beauty Regime.

Ende des Jahres warst Du in New York und bist dort auch live aufgetreten. Wie kam es dazu?

Ich habe meinen Wahlbruder Karl in New York bzw. in Brooklyn leben. Der wiederum kennt alle Leute in der Stadt oder er spricht einfach wahllos Fremde an, um sie kennen zu lernen. Er hat einen guten alten Freund, der wie er in Boston zur Schule ging. Dieser Freund heißt David Redbranch und ist selbst Musiker, der extrem viel in New York Konzerte spielt und der 2014 auch auf eigene Faust eine Europatour spielte. Und wir organisieren uns gegenseitig Konzerte, wenn der andere im Land ist. Er besorgte mir auch den Gig in Brooklyn in Freddy’s Bar, und dort spielte ich mein derweil drittes Konzert in den USA. Es kommen tendenziell sehr wenige Leute zu den Gigs, weil tatsächlich alle 50 Meter eine Bar mit Livemusik steht. Aber wenn ich sehe, wie wenig Leute im Oktober die belgische Band Balthazar in Manhattan sehen wollten, die der Opener von insgesamt acht Bands waren und um 20 Uhr vor 60 Leuten spielten, dann habe ich gemessen an meinem Bekanntheitsgrad und der Zuschauer im Verhältnis einen äußerst erfolgreichen Abend gehabt. Es ist wirklich ein unfassbares Privileg, in New York Konzerte spielen zu dürfen, und es ist extrem aufregend, in deren Muttersprache als Nicht-Native-Speaker zu singen und Ansagen zu machen.

Was waren deine musikalischen Highlights im zurückliegenden Jahr? Gab es Bands/Künstler, Alben oder Konzerte, die Dich besonders beeindruckt haben?

Für mich war die Entdeckung des Jahres die Band „Balthazar“ aus Belgien, die ich tatsächlich noch nicht kannte und die mich mit ihrem Sound, der Bühnenpräsenz und Intensität total umgehauen hat. Ich bin sogar extra nach Leipzig gefahren, um sie dort zu sehen, und in New York bin ich durch echt finstere Gegenden gelaufen, um ihren 25-minütigen Auftritt erleben zu können. Alben, die mich sehr berührt haben, waren „Darling Arithmetic“ von den Villagers, „Thin Walls“ von Balthazar, das Comebackalbum von Blur und dann habe ich eine kuriose Platte zugesteckt bekommen von einer peruanischen Indianerband von 1973. Das Album heißt wie die Band „We All Together“ und klingt wie Tame Impala meets The Byrds meets The Beatles in ihren letzten Atemzügen. Ein Anspieltipp ist „It’s Sin To Go Away“, der wirklich wie Tame Impala klingt, nur 40 Jahre vorher.

Mein Konzert des Jahres war zweifelsfrei „Mercury Rev“ im Postbahnhof Anfang November. Ich bin da nur mit meinem Freund hingegangen, um ihm eine Freude zu machen und hatte absolut keine Erwartungen. Ich konnte nicht ahnen, dass ich eines der 5 besten Konzerte meines Lebens sehen würde, obwohl der Sound wirklich mies war, aber dieser Ausdruck der Band und die Energie, die das Publikum überrollte, waren nicht von dieser Welt.

Ein kurzer Ausblick auf 2016: Wie geht es für Dich nach dem 09.01. in musikalischer Hinsicht weiter, gibt es bereits Pläne hinsichtlich neuer Aufnahmen/Veröffentlichungen, Touren, Festivals…?

Nein, im Moment nimmt mich die Organisation für meine Revue am Samstag vollkommen ein und danach mache ich mal ein paar Waldspaziergänge und freue mich auf meinen Urlaub in der Provence im Frühling. Danach wird es wohl im März ein Konzert im Ä geben, wo ich wahnsinnig gerne spiele und freue mich schon auf das aufmerksame Publikum dort. An neuer Musik arbeite ich ja stets nebenher und habe Musik für drei Alben hier auf dem Rechner, was ich nur Mal aufarbeiten muss. Hehe, vielleicht mache ich ja ein Doppelalbum daraus, um meinem größenwahnsinnigen Gemüt zu entsprechen.

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