MELT! Festival vom 14. bis 16. Juli 2006 in Ferropolis bei Gräfenhainichen

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Trotz neuem Besucherrekord und damit verbundenen Schlangen war und ist das MELT! ein echtes Highlight des Festivalsommers.



Es ist acht Uhr abends vor der Medusa Mainstage. Einige tausend Besucher stehen in freudiger Erwartung des exklusiven Auftritts von AND YOU WILL KNOW US BY THE TRAIL OF DEAD in der noch immer brütenden Hitze. Wer jetzt den Einlass durchschreitet, wollte eigentlich schon THE KOOKS und WE ARE SCIENTISTS sehen, hat die letzten Stunden dann aber doch in Schlangen verbracht. Ob nun am Gästeliste-Schalter, beim Bändchentausch oder direkt am Einlass: Überall stehen Massen von Schnelleren, die vor einiger Zeit vermutlich den gleichen Anblick genießen durften. Drinnen angekommen verfliegt die kleine Verstimmung aber recht schnell. Alle Bagger sind noch da, beeindruckend wie in den Vorjahren, und auch das versammelte Besuchervolk sieht wieder entzückend und sympathisch aus. Also: Position einnehmen und AND YOU WILL KNOW US BY THE TRAIL OF DEAD genießen. Wie schon erwähnt, scheint zu diesem Zeitpunkt noch die Sonne – keine idealen Umstände für eine Band, bei der man von der Lichtshow hypnotisiert und von der Musik an einen anderen Ort getragen werden möchte. Auch der Sound kommt etwas mager daher. Trotzdem, und das spricht für die Texaner, bereitet das Konzert große Freude.



Genauso verhält es sich mit ART BRUT, die gegenüber …TRAIL OF DEAD einige Vorteile haben. Zum einen spielen sie bereits mit der Dämmerung, und das Publikum gibt sich schon mehr dem Treiben auf der Bühne hin. Zum anderen ist der Sound jetzt besser, obwohl das verglichen mit den weitaus filigraneren und vielschichtigeren …TRAIL OF DEAD bei ihnen gar nicht so wichtig ist. ART BRUT, allen voran Sänger EDDIE ARGOS, sind Meister einer anderen Disziplin: dem Rock ’n’ Roll-Entertainment. Ihre Songs kommen auch an diesem Abend stets auf den Punkt und laden zum Mitspringen ein. Selbst der ruhigste und passivste Besucher vor der Bühne lässt sich von diesem Treiben anstecken. Zu hören gibt es beinahe das gesamte [i]Bang Bang Rock ’n’ Roll[/i]-Album sowie einige neue Stücke.

Weg von der Hauptbühne und ab in das Zelt, der Gemini Stage. Hier ist es brechend voll, während die MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER zeitweise in Glitteranzüge verpackt und auf dem Bühnengerüst kletternd ziemlich Abgehen. Das Publikum bedankt sich und tut es ihnen gleich.

Sprung zurück zur Hauptbühne und dem Headliner des Festivals. Es gibt unter den heutigen Festivalbesuchern sicherlich nicht allzu viele richtige Fans der PET SHOP BOYS. Auch ich würde mich nicht als solcher bezeichnen, diese Ikonen der Popmusik einmal live zu erleben, ist aber ein echter Gewinn für den Festivalsommer.
Mit der erwartet bunten Show und dem erhofften Best-Of-Set erfüllen NEIL TANNENT und CHRIS LOWE dann auch alle Erwartungen. Massig bunte Tänzer tummeln sich auf der aufwändig und zu jedem Song (um-) dekorierten Bühne. Die Musiker selbst gingen bei all dem Pomp beinahe unter, wären sie nicht zeitweise überlebensgroß in die Deko eingearbeitet.



Bei Hits wie ‚It’s A Sin‘, ‚Suburbia‘, ‚West End Girls‘, ‚Where The Streets Have No Name‘ und ‚Go West‘ denkt man an seine ersten Kontakte mit Popmusik, an seine frühe Jugend also, und ist doch gefangen im Moment. Ein tolles Erlebnis.
Diese Beschreibung trifft auch und immer wieder auf DEICHKIND-Konzerte zu. Die Bergedorfer verstehen es wie kaum eine andere Band, ein Konzert zu einem Happening zu machen. Vier Uhr morgens ist es mittlerweile, die Sonne vertreibt die erste MELT!-Nacht 2006 und DEICHKIND geben sich als „die Veranstalter“ aus und eröffnen das Festival eigenmächtig noch mal. Das noch immer zahlreich vertretene Publikum freut dieser Umstand, und ab geht die Post. „Yippie yippie yeah, yippie yeah, Krawall und Remmidemmi“ eben. Die DEICHKINDer springen in Mülltüten mit Pyramiden auf dem Kopf durchs Publikum und auf der Bühne, soll heißen auf Sofa oder Hüpfeburg, herum. Dazu gibt’s beatlastige Versionen ihrer Hits, inklusive 2UNLIMITED-Einschub bei ‚Limit‘.



Als krönenden Abschluss lassen sie die Bühne auch noch vom Publikum stürmen. Beweisvideos gibt’s

Dem Geschmack sei Dank sind solche Befürchtungen auch beim MELT! wieder völlig unbegründet. Tausende vor der Bühne singen den ‚Apfelmann‘ und werfen bei ‚Die Diktatur Der Angepassten‘ die Fäuste in die Höhe – sind also voll dabei. So soll es sein, so war’s erdacht.
Als hätten die Veranstalter des MELT! den Zeitplan nur für diese textliche Überleitung gemacht, stehen als nächstes TOMTE auf der Bühne. Eigentlich hat man zu dieser Uhrzeit die Qual der Wahl zwischen ihnen und PETERLICHT, der im MELT! Klub in der Orangerie zu sehen ist, doch die Schar derer, die vergeblich darauf warten, in das übervolle Gebäude zu kommen, nimmt einem die Entscheidung ab. Ähnliche Bilder gab es unter anderem auch bei DIE STERNE am Vortag und wird es später bei KANTE geben.
TOMTE sind nicht zum ersten Mal beim MELT! und so kann THEES locker einen Akustik-Song über Gräfenhainichen improvisieren. Auch berichtet er, der in letzter Zeit bei ‚Du Bist Den Ganzen Weg Gerannt‘ gern eine Zeile aus ART BRUT’s ‚Emily Kane‘ einbaut, sehr stolz, dass er mit deren Sänger EDDIE ARGOS Handynummern getauscht hat. Das Konzert selbst unterscheidet sich kaum von anderen Festivalgigs, die TOMTE in diesem Jahr gaben – es macht trotzdem Spaß.



Nur wenige Tage vor dem MELT! hing über dem Auftritt von THE STREETS plötzlich ein Fragezeichen. Sänger LEO THE LION hatte, zumindest für uns außenstehende überraschend, die Band verlassen, nachdem er eine eigene TV-Show bekommen hat. Die komplette Tour wurde daraufhin gecancelt, nicht aber der Auftritt beim MELT!. Hier kam MIKE SKINNER mit seinem früheren Sänger KEVIN MARK TRAIL im Gepäck, um das Festival zu rocken. Ergebnis: Gelungen. Die beiden spielten nicht nur ihre Songs, sondern auch mit dem Publikum. Immer wieder hieß es auf Kommando hinsetzen und wieder aufspringen, was überraschend gut funktionierte. Eine Fußballanspielung gab es, anders als bei seinem letzten MELT!-Auftritt, wo er sogar von der Bühne aus mit einem Ball gegen das Publikum spielte, in diesem Jahr nicht. Woran das bei einem Engländer wohl liegen kann?
Nach THE STREETS wird es, mit Ausnahme des schon erwähnten KANTE-Andrangs, elektronischer auf dem Gelände. Auf der Hauptbühne steht weit hinten in einer Ecke ein Tisch, an dem sich APHEX TWIN betätigt. Der Rest der Bühne ist leer, wird aber während des sehnlich erwarteten Sets mehrmals von dem zur Show gehörenden Rollstuhlfahrer genutzt.



APHEX TWIN fängt sein Set mit sehr ruhigen Songs an, so dass es eine Weile braucht, bis die Kunde „Es läuft schon“ die Runde macht. Dieser Setaufbau ist eventuell auch als Aussiebungsprozess gedacht, denn einige ziehen weiter zu einer der anderen Bühnen, ehe APHEX TWIN zu härteren, festivaltauglicheren Sachen übergeht.
Die Weitergezogenen können zu diesem Zeitpunkt auf der Gemini Stage, die an diesem Abend von Radio SOULWAX präsentiert wird, die Hausherren selbst bewundern. SOULWAX NITE VERSION ist das versprochene Schmankerl, das die Band dem MELT! versprochen hat. Was das bedeutet? Sie remixen ihre eigenen Songs, machen sie elektronischer, partytauglicher. Wie das ankommt? Fulminant. Im und um das Zelt sind Scharen von tanzenden, teilweise ekstatischen Besuchern, die jeden Ton herbeisehnen und –schreien. SOULWAX, ganz in weiß gekleidet, bekommen das freilich mit, und es ist offensichtlich, dass es ihnen einen Riesenspaß bereitet.



Nach SOULWAX ist irgendwie auch vor SOULWAX, denn zu späterer Stunde gibt’s an gleicher Stelle noch ein Set der 2MANYDJ’S zu bewundern.
Und selbst danach ist, obwohl es langsam wieder hell wird, noch lange nicht Schluss. Wer möchte, kann eine Sonne weitertanzen – bis in die Nacht zum Montag also. Für BiB-Redakteure, die in der Nacht zum Montag auch gerne wieder im Berliner Bett liegen, ist das aber nichts. Für die ist nach dem 2MANYDJ’S-Set vor dem MELT! 2007. Dann, das haben die Veranstalter versprochen, wird nicht mehr so viel Schlange gestanden. Man war in diesem Jahr vom Besucherrekord mit 13 000 Gästen einfach überrascht. Vom Veranstalter nicht explizit erwähnt, aber dennoch recht klar ist, dass es auch im nächsten Jahr wieder ein Fest wird, wenn sich Freunde der Rockmusik, mit Freunden der Popmusik, mit Freunden der elektronischen Musik treffen, feststellen, dass sie Freunde der Musik sind, Freunde werden.
Freundschaftliche Grüße.

www.meltfestival.de
www.ferropolis.de

Fotos: Roland Bauch (www.ronzhas.net) und Alexander Eckstein
Autor: [EMAIL=alexander.eckstein@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Alexander Eckstein [/EMAIL]

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