Die Festivals MEYOUZIK und ROCK UM KNUEDLER stehen für World Music bzw. luxemburgischen Rock. POPTRAVEL zog es also ins einzige Großherzogtum der Welt – zu einem Wochenende voller Musik…
POPTRAVEL Unter diesem Namen berichten wir künftig in unregelmäßigen Abständen vermehrt von außerhalb Berlins, ja: außerhalb Deutschlands. Porträts, Interviews, Konzert- und Festivalberichte im berühmten Blick über den Tellerrand. Bereits zum zweiten Mal ging es nun nach Luxemburg…
Zu den letzten Poptravel-Stopps war uns der Sommer stets einen Schritt voraus gewesen – in Luxemburg holen wir ihn nun endlich ein. Kein Windhauch bewegt die wenigen Wolken über dem Großherzugtum, die Stadt schwitzt. Und sie tanzt. SUMMER IN THE CITY heißt die Reihe, in deren Rahmen das Stadtzentrum von Mitte Juni bis Mitte September an nahezu jedem Wochenende zur Freilichtbühne wird. Eintritt: gibt’s nicht. Zum Auftakt haben die Luxemburger Philharmoniker auf dem zentralen Platz der Stadt gespielt, dem Place Guillaume II, der im Volksmund Knuedler heißt. Ende Juli findet die „Blues ’n Jazz Rallye“ in den Stadtteilen Grund und Clausen statt, es gibt das Open-Air-Filmfestival „Summer Folies“ und das Straßenkünstler-Festival „Streeta(rt)nimation“. Dieses Wochenende steht ganz im Zeichen der Popmusik.
Den Auftakt macht am Samstag MEYOUZIK, das der World Music verschrieben ist. Afrikanische Künstler dominieren, doch auch Italien, Israel, Deutschland oder Brasilien (mit einer Capoeira-Truppe) sind vertreten. So vielfältig wie ihre Herkunft sind auch die Spielarten der aufgefühten Musik: Rock, Elektronik, Mambo, Rumba, Urban – und manchmal alles davon gleichzeitig. So verschmelzen etwa MOKOOMBA aus Zimbabwe im Süden Afrikas westlich geprägte Dynamik mit nahöstlichen Harmonien und traditionellen afrikanischen Rhythmen. Afro-Fusion wird das gern genannt.
Watcha Clan – Bild: Friedrich Reip
Die franko-maghrebinische Combo WATCHA CLAN schließlich, Headliner auf der großen Lion Stage auf dem Place Guillaume II, perfektioniert das Ganze: Mal entwickelt sich aus einer flirrenden Mischung aus UK-Garage, französischsprachigem Rap und einem Bluesgitarrensolo plötzlich eine lässige Ravepop-Nummer, mal münden klassiche Drums, mal Beatboxing in einen klassischen Big Beat-Countdown, über dem Sängerin SISTA K mit dem Mantra „the world is rising!“ wütet. Im Zugabenblock meint man schließlich die Schöpfung eines okzitanischen Gypsy-Chansons mitzuerleben – was auch immer das genau sein mag! Wer denkt, all das möge sich im gemütlichen Luxemburg fremd ausnehmen, irrt übrigens gewaltig: Fast die Hälfte der Bewohner des Großherzogtums sind keine Luxemburger, sondern kommen aus ganz Europa. Die mit Abstand größte Gruppe bilden die Portugiesen, Vertreter einer ihrerseits an der Reibung mit äußeren Einflüssen gewachsenen Nation. Eine bunte Mischung bilden auch die 3000 bis 4000 Besucher, die bis nach Mitternacht vor der Lion Stage zur Musik von WATCHA CLAN tanzen. So geil kann sich die Globalisierung anfühlen!
Der Sonntag bietet den regionalistischen Kontrast. Beim Festival ROCK UM KNUEDLER dominieren traditionellerweise einheimische Bands das Programm auf den drei über die Altstadt verteilten (allesamt in Fußwegnähe voneinander entfernten) Bühnen. Einzig der Headliner des 1991 erstmals ausgerichteten Festivals ist seit einigen Jahren von internationalem Renommee. In den vergangenen Jahren kam diese Rolle etwa den SIMPLE MINDS zu, GIANNA NANNINI, TOTO oder 2012 SUPERTRAM-Sänger ROGER HODGSON, in diesem Jahr sind es zum zweiten Mal nach 2005 die Kölsch-Rocker BAP. Während am Nachmittag die ersten Bands auf die Bühnen treten, macht es sich BAP-Sänger WOLFGANG NIEDECKEN im Open Air-Backstage-Bereich in einem Liegestuhl gemütlich. Er verpasst einige der Überraschungen am frühen Nachmittag
Porn Queen – Bild: Friedrich Reip
Zu diesen gehört etwa die Metalband LOST IN PAIN, die auf der kleineren Horse Stage ein strammes Thrash-Programm exerziert, das ganz augenscheinlich am Übervorbild Metallica geschult ist. Der Hit: Die Vocals sind verdammt nah dran an denen Hetfields, immerhin einer der besten Stimme im Metal überhaupt. Potenzial ganz anderer Coleur zeigen wenig später SAY YES DOG auf der Hauptbühne. Die drei Jungs haben noch am Vorabend in Berlin gespielt, wo sie mit ihrem zackigen Elektropop durchaus bestehen dürften. Ebenfalls auf der Lion Stage treten danach die Blues-Hardrocker von PORN QUEEN auf – unerwartetermaßen, denn der Sänger der für diesen Slot und Spot eigentlich eingeplanten OPEN SEAS wurde spontan zu seiner Frau in den Kreisssaal zitiert. PORN QUEEN nutzen die Chance auf der großen Bühne, im Verlauf des Abends sieht man im Publikum kein anderes Bandshirt so oft. Nachdem MUTINY ON THE BOUNTY auf der kleinen Clairfontaine-Stage ihr Mathrock-Zirkeltraining absolviert haben, ist es schließlich Zeit für BAP.
Deren Auftritt braucht allerdings fast anderthalb Stunden, um so richtig in Fahrt zu kommen. Es ist angenehm dunkel und kühl, als Niedecken für „Amerika“ einige Luxemburger Bläser zur Unterstützung auf die Bühne bringt und die Band danach mit ihrem Megahit „Verdammt lang“ das Hauptset beschließt. Der Zugabenblock dauert eine volle Stunde, man merkt Niedecken an, dass er gern hier ist. Er verabschiedet sich schließlich mit dem Dank, in Luxemburg habe man ihm in den 30 Jahren der Karriere von BAP stets das Gefühl gegeben, seine (kölschen) Texte zu verstehen. Er übersieht dabei allerdings die prächtige Ironie, die diesem Wochenende in Luxemburg erst seinen ganzen Stolz verleiht: Am Ende von zwei Tagen Musik aus aller Welt vor einem Publikum aus aller Welt spielt ausgerechnet eine Band, die niemand so richtig versteht – und doch jeder ein bisschen.
www.summerinthecity.lu
www.meyouzik.lu
www.rockumknuedler.lu
Übernachtung:
Wer nach Luxemburg fährt, muss ein paar Scheinchen extra einstecken, so viel steht fest. Das gilt erst recht, wenn man im Herzen der Altstadt übernachten möchte – wo es abends aber lange laut bleibt. Etwas abgelegener (was in Luxemburg knapp 15 Minuten Fußweg vom Zentrum entspricht) liegt das Le Grand Ducal von Sofitel. Das Haus der Luxus-Kategorie ist überraschend poppig eingerichtet – ein frischer Akzent in einer Stadt, die sich ansonsten gern gediegen gibt. Highlights: die Bar, durch deren Panoramafenster man über die ganze Stadt schauen kann – und die überdimensionalen Resin-Kirschen in der Lobby!
www.sofitel.com/de/hotel-5555-sofitel-luxembourg-le-grand-ducal/index.shtml
Nightlife:
Nur wenige Fußminuten vom Place Guillaume II konzentrieren sich in der Rue du Marché-aux-Herbes die Bars. Deren Räumlichkeiten bleiben allerdings im Sommer leer: Man feiert auf der Straße, die dadurch auch schon mal nahezu komplett verstopft ist. Im (bequemerweise über einen Fahrstuhl erreichbaren) Tal liegen die Rives de Clausen, ein geschlossenes Party-Areal. Die Mainstream-Clubs sind allerdings nicht jedermanns Sache. Der beste Club der Stadt indes macht dicht: Nach sieben Jahren gehen Ende Juli im d:cliq die Lichter aus. Wer vorher noch nach Luxemburg kommt, sollte unbedingt vorbeischauen!
Und sonst so:
Viele Luxemburger kokettieren mit der Aussage, die Stadt habe den Vorteil, dass man schnell wieder weg ist, wenn es einem nicht gefällt. Abneigung muss allerdings keineswegs der Grund sein, sich in der Großregion umzusehen: Das wunderschöne Metz in Frankreich mit seiner phänomenalen Kathedrale ist genauso einen Abstecher wert wie Trier, das mit der Porta Nigra und der Konstantinsbasilika zwei weltberühmte Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Beide Städte erreicht man mit dem Auto mühelos in weniger als einer Stunde. Etwas weiter hat man es ins ehemalige Eisenwerk VÖLKLINGER HÜTTE, das mit einem spannenden Kulturprogramm lockt. Zu diesem gehört neben einer Reihe von Ausstellungen auch das „Electro-Magnetic“, eines der größten Elektrofestivals Deutschlands, bei dem in diesem Jahr u.a. BOYS NOIZE, MOONBOOTICA und WANKELMUT auftraten.
Bild: Friedrich Reip