MOBILÉ – Berliner Act des Monats Juli 2006

Uneindeutig, ohne Posen, Indie.



MOBILÉ sind bislang sicher eher ein Geheimtipp, obwohl sie fest in der Berliner Indie-Szene verwurzelt sind. Sie kommen aus dem Umfeld der Garage Pankow, teilen sich seit Jahren den Proberaum mit HUND AM STRAND, und ihr aktuelles Album Kartographie wurde größtenteils von DELBO-Gitarrist und KLEZ.E-Sänger Tobias Siebert gemischt. Nach Nennen wir es den Tag, dem schrammeligen Debüt aus dem Jahre 2003, ist Kartographie nun vielleicht ein wenig sperriger, aber auch ein hörbarer Schritt nach vorn, ein Schritt weg von den üblichen Hamburger Schule-Assoziationen. Sänger Peer, Gitarrist Marius, sowie das bayrischstämmige Bruderpaar Frank und Ralf (Bass/Drums) standen uns dazu Rede und Antwort.

BiB: Nach eurer Record Release Party ward ihre gerade auf Tour durch die Provinz. Wie war’s?

Peer: Das schönste Konzert war eigentlich in Freiburg, was kaum angekündigt war und kurzfristig noch verlegt wurde. Vielleicht auch deswegen waren nur 16 Leute da. Es gab keine Bühne, anfangs auch keine Mikros, und das Ganze war so eine Art Partykeller… Aber eigentlich haben wir uns da am wohlsten gefühlt, alle waren mitgerissen, und Marius kam auf die Idee, alte Setlisten zu verteilen und auf Zuruf zu spielen…
Frank: Ein Meilenstein in der Geschichte interaktiver Konzerte!

BiB: Stellt ihr Unterschiede in der Rezeption fest, wenn ihr außerhalb Berlins spielt?

Frank: Unser Lieblingszitat stammt von einem Konzert in Wien: Eine große Stille trat ein, wahrscheinlich wurden Gitarrensaiten gestimmt, und man hörte aus dem Off nur: „Mei, soan die liab!“ … Was aber auf jeden Fall auffällt: Je kleiner die Stadt, desto mehr geben sich die Leute die Kante. Also in Lüneburg oder Landau, da sind am Ende einfach alle breit. Das passiert einem in Berlin oder Köln nicht!



BiB: Ihr ward mit LOCAS IN LOVE aus Köln unterwegs, die euch auch schon bei eurer Party unterstützten. Wie kam es zu dieser scheinbar recht innigen Beziehung?

Peer: Ich habe Björn, den Sänger der LOCAS vor fünf Jahren mal interviewt, und dann haben sie in Berlin gespielt und bei mir übernachtet. So hat sich eine Freundschaft entwickelt. Letztes Jahr war ich mit ihnen auf Tour, als Solo-Vorband und Gast-Bratsche. Jetzt war aber die erste richtige gemeinsame Tour von LOCAS und uns.

BiB: Haben euch LOCAS IN LOVE auch zum neuen Label Sitzer Records gelotst?

Frank: Eigentlich weniger. Wir haben auf so einem kleinen Indoor-Festival in Köln gespielt, wo auch Leute vom Label waren und uns gut fanden. Und natürlich hatten denen die LOCAS von uns erzählt. Es war auch kein Wechsel im Streit mit dem alten Label Loob Musik. Es war einfach klar, dass Loob zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage ist, noch eine Platte rauszubringen neben DELBO und KLEZ.E, um die sie sich auch wirklich kümmern könnten.

BiB: Kommen wir zur neuen Platte Kartographie. Zumindest die Single ‚Solitär‘ klingt für mich schon so ein bisschen nach DELBO. Wie groß war da der Einfluss von Tobias Siebert?

Frank: Kein Arrangement ist erst beim Aufnehmen entstanden, nur zwei Instrumentstimmen hat Tobi angeregt und selbst eingespielt: das Klavier bei ‚Solitär‘ und die Slide-Gitarre bei ‚Rotebeetesalat (Igel stehlen)‘.
Peer: Aber insgesamt ist sicher bei ‚Solitär‘ ein DELBO-Einfluss zu hören, weil wir halt großartig finden, was die machen.
Marius: Der Song hatte sogar einmal den Arbeitstitel ‚Delbo‘.
Frank: Und was den Sound angeht, ist der Einfluss des Mischers natürlich immens.
Peer: Die Aufnahmen haben sich über anderthalb Jahre hingezogen, und ich bin froh, dass wir’s jetzt hinter uns haben. Kartographie ist das beste Album, was wir je gemacht haben… (alle lachen) Wir wollten uns einerseits treu bleiben…
Frank: … aber auch nicht unsere Wurzeln verraten… um jetzt mal die Sätze zu nennen, die wir nie wieder in einem Bandinfo lesen wollen…



BiB: Worum drehen sich die Texte auf Kartographie? Typische Mittzwanziger/Studenten-Themen?

Peer: Für mich ist das relativ offen gehalten, nicht nur für Jungs Ende 20, die aus dem Bildungsbürgertum kommen. Die Texte beschreiben Grenzbereiche, z.B. zwischen Jugendlichkeit und Älterwerden, mit all den Zwängen, die auf einen wirken. Zimmeraufräumen ist immer ein Thema… Frank hat mal als einen zentralen Satz entworfen: „Lange nicht mehr eindeutig gewesen“ (‚Solitär‘).
Frank: Das scheint mir auch als Weiterentwicklung weg vom Punk, der Wut und Verzweiflung über die Welt. Die Vermeidung von Posen ist einem jetzt schon sehr bewusst.
Peer: Es geht um Situationen, die nicht so einfach einzuordnen sind. Es ist uninteressant, einfach nur ein Liebeslied zu schreiben.
Frank: Es gibt halt ein interessantes Spannungsfeld zwischen dem Ringen um Authentizität und dem gleichzeitigen Wissen, dass Authentizität nicht das ist, was in Kunst produziert wird.

BiB: Kartographie kommt in einer zusätzlichen Papphülle daher. Warum?

Peer: Wir wollten nicht einfach nur ein Jewelcase, sondern etwas Handgemachtes. Wenn die CD jetzt bei uns bestellt wird, kommt außen die Adresse drauf, und mit Briefmarke und Stempel kriegt dann jeder sozusagen sein persönliches Exemplar.
Frank: Das trägt auch -auf einer Indie-Ebene- der Digitalisierung von Musik Rechnung. Solange die Musikindustrie nicht erkennt, dass sie eine Verpackungsindustrie ist, wird sie ewig ein Problem mit illegalen Downloads haben. Das haptische Erlebnis und schönes Aussehen sind wichtig.



BiB: In welche stilistische Schublade würdet ihr euch mittlerweile einordnen?

Peer: Früher gab es immer die TOCOTRONIC-Assoziation, jetzt vielleicht TOMTE oder sogar HUND AM STRAND. Aber wenn wir englisch singen würden, kämen sicher ganz andere Vergleiche auf. Wenn wir nur auf Hamburger Schule reduziert werden, ist das sicherlich nicht gut hingehört.
Marius: Wenn man als Abklatsch gilt, nur weil man die gleiche Sprache spricht und vielleicht manchmal so krachig klingt, wie früher TOCOTRONIC, dann ist das schon ärgerlich. Außer Ralf hört jetzt eigentlich keiner mehr die aktuellen Sachen von TOCOTRONIC, und selbst die alten Platten haben zwar ihren Wert für uns, aber wir hören sie kaum noch. Bei manchen lauten Sologitarren von Peer gibt es z.B. einen ganz klaren PIXIES-Bezug, aber da kommt natürlich niemand drauf, weil die PIXES nicht deutsch singen.

BiB: Und wohin wird es musikalisch noch gehen?

Frank: Musikkabarett.
Marius: Rockopern.
Frank: Peer will ja mit von Niklas von LOCAS A Night At The Opera als Zwei-Mann-Projekt neu auf die Bühne bringen.
Marius: Im Moment haben wir fast alle unsere Lieder auch auf Platte aufgenommen, insofern ist die Frage noch völlig offen.
Peer: Vielleicht weniger Rock? Ich schwanke noch. Ich glaub, ich fänd Chöre schön…

Das Album:

MOBILÉ
Kartographie
(Sitzer Records/ Broken Silence)
VÖ: 06.06.2006

www.lemobile.de
www.sitzer-records.de

Fotos: © MOBILÉ
Autor: [EMAIL=sebastian.frindte@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Sebastian Frindte [/EMAIL]

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