Moddi | Lieder mit Wirkungskraft

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Am 16. September 2016 veröffentlicht der norwegische Singer/Songwriter PÅL MODDI KNUTSEN sein nunmehr viertes Album. Unsongs, entlehnt dem englischen Adjektiv „unsung“ für „unbekannt“ und „unbesungen“, beinhaltet zwölf Interpretationen von zwölf Liedern aus zwölf Ländern, die auf verschiedene Art der Zensur unterlagen oder dies noch immer tun. Gründe dafür gab es viele. Die Auswirkungen wiederum zogen sich vom einfachen Radioverbot bis hin zu einer durch die Regierung angeordneten Ermordung eines Künstlers. Und MODDI hat genau die Worte aufgegriffen, die dazu führten. MODDI übersetzte die Lieder und schrieb sie zum Teil unter der Prämisse um, das Element, wegen dem die Lieder ursprünglich zensiert wurden, beizubehalten…

Du hast schon viel Erfahrung mit Konzeptalben, und auch bei Unsongs handelt es sich um ein solches. Auf welche Art und Weise unterscheiden sich deine Alben?

Bei meinen ersten beiden Alben entstand das Konzept mit den Liedern und das Konzept waren ich, meine Emotionen und meine Innensicht. Das dritte Album hatte ein ganz spezielles Thema, denn alle Lieder waren entweder in oder über Senja geschrieben, meine Heimatinsel. Das Konzept von Unsongs ist zensierte Musik und ich wollte Lieder sammeln, die verschiedene Perspektiven auf Zensur aufzeigen. Auf dem Album gibt es etwa einen Narcocorrido, ein Tribut an die Drogenschmuggler in Mexiko, was ich natürlich keineswegs unterstütze. Auf der anderen Seite ist der algerische Aktivist LOUNÈS MATOUB vertreten, der in seinem Lied zum gewaltsamen Aufstand gegen das algerische Regime aufruft. Es gibt Themen auf dem Album, die ich nicht unterstütze, aber auch in diesen Fällen sollte die freie Rede das Bedürfnis nach Stabilität übertrumpfen.

Kannst du mir in dem Zusammenhang etwas zum Album-Cover erzählen? Handelt es sich dabei um Symbole aus den Ländern, in denen die Lieder zensiert wurden?

Das Cover setzt sich explizit aus den illegalen Symbolen der Lieder zusammen. Da sind etwa Sonne, Mond und Sterne zur gleichen Zeit am Himmel, wie in Josephs Traum in der Bibel. Du findest den Papagei, die Ziege und den Hahn, die Marihuana, Kokain und Heroin in Mexiko symbolisieren. Das Cover an sich ist auch verboten, da es von einer iranischen Frau gemalt wurde. Als solche genießt sie nicht den gleichen Schutz wie ich und traute sich daher nicht, im Album erwähnt zu werden. (Das Cover ist am Ende des Interviews abgebildet, Anm. d. Red.)

Das ist ziemlich furchterregend.

Es ist furchterregend! Aber das hier ist auch kein harmloses Album. Es gibt viele Menschen, die an dem Album gearbeitet haben, deren Namen darin nicht auftauchen dürfen.

Wie war es dir überhaupt möglich, dich auf diese zwölf Lieder festzulegen?

Als ich anfing, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, habe ich festgestellt, dass die Lieder, über die wir als „verboten“ sprechen, nur die Spitze des Eisbergs sind. Es gibt zehntausende Lieder in der Weltgeschichte, die auf die eine oder andere Weise verboten wurden. Ich erstellte eine Liste mit Liedern und wählte zwölf davon aus. Dann fing ich an zu übersetzen, zu interpretieren, zu verstehen und die Lieder zu meinen eigenen zu formen.

Hat dich ein Lied besonders berührt?

Da kann ich nicht ein einzelnes auswählen. Diese zwölf Aktivisten haben fantastische Kunst geschaffen. Ihre Lieder und Geschichten und die Art, wie Kunst kontrovers wird, indem sie mit einer Wahrheit verbunden wird – das ist eine große Inspiration für mich. Egal, wohin man schaut, überall wird von der Flüchtlingskrise, vom Terror und der Eskalation von Konflikten gesprochen. Und dann machst du das Radio an und was hörst du? Es ist gerade so, als würden Musiker heutzutage auf einem völlig anderen Planeten leben. Sie singen über die ewigen Dinge, aber das alles hat so wenig mit der Zeit zu tun, in der wir leben. Ich habe bisher auch diese Art von Musik gemacht, also kritisiere ich mich selbst damit. Die zwölf Lieder von Unsongs handeln explizit von einer Situation in einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Kontext. Es inspiriert mich, dass es noch immer Lieder gibt, die Macht haben.

Hast du jemals selbst Zensur erfahren?

(überlegt eine Weile) Es gab Vorfälle, bei denen es mir nicht erlaubt war, in der Kirche zu fluchen, aber das ist in Ordnung. (überlegt erneut) Nein.

Kann Zensur jemals etwas Positives mit sich bringen?

Es ist eine gute Frage, aber ich weiß nicht, ob es eine gute Antwort gibt. Lass es mich so formulieren: Bei den meisten Liedern auf dem Album verstehe ich aus dem historischen Kontext heraus, wieso sie zensiert wurden. Es ist für mich politisch korrekt, ein Song von Pussy Riot aufzunehmen. Aber ich habe auch einen Song einer russischen Neo-Nazi Band lange in Erwägung gezogen. Aber schließlich entschied ich, dass es zu schmerzvoll ist, dieses Lied zu singen.

Die Berichterstattung im TV filtert regelmäßig Gewalt. Auf der einen Seite ist das positiv, weil wir von weniger Brutalität umgeben sind, auf der anderen Seite entsteht so der falsche Eindruck einer friedlicheren Welt.

Ja klar, da kann man zwei Seiten sehen. Ich werde auch immer gefragt, ob es Lieder gibt, die zensiert werden sollten. Um ehrlich zu sein, habe ich darauf keine gute Antwort. Aber obwohl ich vielleicht dem islamphobischen Lied nicht zustimme, glaube ich trotzdem, dass es sehr falsch ist, dass der algerische Sänger von der Regierung ermordet wurde. Das ist nicht der richtige Weg, damit umzugehen.

Als du mit dem Projekt anfingst, sagtest du: „Schweigen kann stärker als Musik sein.” Später hast du diese Aussage umgekehrt…

Es ist eine Entwicklung und es stimmt definitiv beides. Das Zitat entstand, nachdem ich mein Konzert in Israel abgesagt habe. Plötzlich wurde mein Konzert Teil des herrschenden Konflikts. Ich habe zu dem Zeitpunkt meinen Glauben in die Musik als Medium zu einem gewissen Grad verloren, da die bloße Tatsache, nicht auf der Bühne zu stehen, ein stärkeres Signal war als alles, was ich mit meiner Musik hätte ausdrücken können. Der ganze Prozess des Albums hat meinen Glauben in die Musik wiederhergestellt. Musik ist definitiv, oder zumindest in diesen zwölf Fällen, stärker als Schweigen.

Deshalb erfüllt dich dieses Thema auch mit Hoffnung, wie zu lesen war?

Ja, definitiv. Wenn du Liebeslieder singst, wählst du ein universelles Thema, aber gleichzeitig schaust du weg von absolut allem, worüber du sprechen solltest. Und diese zwölf Menschen haben definitiv auf etwas gezeigt, worüber mehr gesprochen werden sollte. Das Aufzeigen von Konfliken und Dingen, die uns Unbehagen bereiten, sind sehr oft ein viel besserer Weg, einen Dialog zwischen Menschen zu beginnen. Um einander zu verstehen, müssen wir auch über unsere Verschiedenheit sprechen.

Gibt es etwas, worauf du dich in der nahen Zukunft besonders freust?

Wir haben zwei Jahre an diesem Album gearbeitet, und es war eigentlich schon im November letzten Jahres fertig. Aber anstatt es einfach auf den Markt zu bringen und zu sagen „das war’s“, wollte ich den Menschen die Geschichten hinter den Liedern zeigen. Wir haben die Musiker getroffen, sprachen über ihre Musik und ihre Lieder. Und wir machen daraus eine kleine Video-Dokumentation, die wir mit dem Album veröffentlichen. So kann man die Menschen kennen lernen und auch die Originale hören. (Die Dokumentation wird digital auf www.unsongs.com abrufbar sein, Anm. d. Red.)

Ich kann nicht aufhören, den Song „A matter Of Habit“ zu hören.

Ich auch nicht.

Die Melodie stimmt fast glücklich, aber sobald man auf den Text achtet, zerreißt es einem das Herz.

Das ist tatsächlich das erste Mal, dass ich das zu einer Journalistin sage, also sei vorsichtig mit meinen Worten! Ich habe nicht die Rechte, dieses Lied zu veröffentlichen. Es war mir nicht möglich, vom israelischen Sänger Izhar Ashdot eine Erlaubnis zu erhalten, meine Übersetzung seines Liedes zu performen, und ich weiß nicht, warum. Ich weiß, dass er meine Anfragen erhalten hat, dass er meine E-Mails las und ebenso sein Management. Vielleicht hat er Angst. Vielleicht will er nicht, dass sein Lied außerhalb Israels veröffentlicht wird. Vielleicht ist er einfach müde und will etwas anderes tun. Vielleicht unterstützt er das Projekt, aber will kein Blut an seinen Händen. Ich weiß es nicht. Dennoch finde ich dieses Lied sehr wichtig. Ich finde die Botschaft des Liedes so wichtig und glaube daran, dass es sich lohnt, es zu veröffentlichen – auch wenn ich dadurch ein Gesetz breche und das auch weiß. Das Album besteht bereits aus zwölf illegalen Liedern. Das Cover ist illegal. Warum nicht also eine weitere Straftat begehen? (lacht)

MODDI
Unsongs
(Propeller / H’Art)
VÖ: 16.09.2016

www.moddi.no
www.unsongs.com

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