Im VA-Tipp vor einigen Tagen intuitiv vorausgeahnt: Österreichs tragische Indie-Helden präsentieren ihr neues Album. Tragisch, dass sie sich dann tatsächlich darauf beschränkten…
Man hatte sie schmerzlich vermisst, die gebrochenen Indie-Slacker aus Klagenfurt. Fünf lange Jahre musste sich die Fangemeinde gedulden, bis sich PATRICK WAGNER (SURROGAT) ihrer annahm und sie nach zwischenzeitlichem Verlust von Plattenvertrag und Management und damit einhergehend gar teilweise fester Wohnsitze bei Motor Music eine neue Heimat fanden, die das bereits seit längerem fertig produzierte Album akzeptierten und im März diesen Jahres veröffentlichten.
Das recht zahlreich erschienene und erwartungsfroh gestimmte Publikum wurde zunächst Zeuge eines ziemlich durchgeknallten, aber irre sympathischen Auftritts des den Abend eröffnenden österreichischen Elektro-Irrwischs SIR TRALALA. Entrückt lächelnd sonderte er zu den verstörerischen Klängen aus seinem Laptop ziemlich sonderbare Textzeilen ab und machte sich scheinbar seinen ganz privaten Spaß aus seiner ‚Performance’, katapultierte sich dabei scheinbar ständig in andere Bewusstseinsebenen, um gegen Ende dann auch noch ‚The Mercy Seat‘ von NICK CAVE zu ‚covern’.
Die Mannen um OLIVER WELTER starteten nach kurzer Pause dann zu ihrer intensiven, leider aber auch etwas humorlosen Tour durch ihr großartiges aktuelles Album Songs For The Exhausted, und das von Start bis Ziel, sprich in identischer Abfolge der Songs, worauf ich immerhin durch das vorausgegangene Interview seelisch vorbereitet war.
Spätestens nach den ersten drei, vier Songs wurde dann auch den letzten, zunächst noch zaghaft nach Hits wie ‚Closed Today‘ verlangenden Fans bewusst, dass – zunächst, wie man glaubte – kein Platz für ältere, die Homogenität des Albums auch in der Bühnenpräsentation störende ältere Stücke sein sollte.
Diese Vorgehensweise mag generell etwas seltsam und ungewöhnlich anmuten, doch nötigte sie in der konsequenten Fokussierung auf den aktuellen Schaffensstand auch uneingeschränkten Respekt ab, und schließlich offenbarten die Songs in der Live-Umsetzung auch andere oder stärker hervorgehobene Facetten, so dass trotz des relativ schnell zu notierenden Spannungsverlusts infolge der Vorhersehbarkeit des Sets andere Mechanismen greifen sollten und der Verzicht auf eingestreute ältere Stücke durchaus gerechtfertigt war.
Der fulminante Opener ‚God‘ brach sich also gewaltig und bedrohlich lawinenartig Bahn, und den folgenden Songs wurden im Vergleich zu den Albumversionen oftmals kraftvollere und längere Gitarrenparts (‚In Your Room‘ oder der mächtige Refrain in ‚Solitude‘) und schöne ebenso wie knarzende Elektronikflächen (‚Lost It All‘, ‚Man Without Past‘) zugefügt, oder die Struktur der Songs wurde wie im sich ständig verlangsamenden und reduzierenden Fade-out des wundervollen, beatleesken ‚The Deal‘ variiert („Love Is All You Need“).
Insgesamt erfuhren die Songs größtenteils also diese andere, aufregende Live-Interpretation, die ja im besten Falle auch die Albumversionen später in einem anderen, noch helleren Licht erstrahlen lassen.
Nach knapp einer Stunde wurde vom bis dahin nicht besonders redseligen Frontmann OLIVER WELTER dann der letzte Song des Albums bzw. des Gigs, ‚The Retainer‘, angekündigt, um danach mit einem –immerhin doch noch- leise hervorgepressten ‚Danke’ die Bühne samt Band zu verlassen und …diese nicht wieder zu betreten. Nach durchaus lautstarken, minutenlangen Zugabe-Forderungen gingen Musik und Licht an, und der Gig hatte sein überraschendes und ziemlich abruptes Ende gefunden, und das, obwohl man im Vorfeld schon von ganz anderen Auftritten auf der aktuellen Tour mit beinahe fast zwei kompletten Sets, oder doch zumindest einem ausgedehnten Zugabenblock mit vielen älteren Stücken gehört und gelesen hatte.
So begegneten NAKED LUNCH also mit der ausschließlichen Konzentration auf ihre Songs For (From?) The Exhausted der coolen Hippness der Hauptstadt mit einem ihrer Ansicht nach unglaublich coolen Gig, dessen Ansatz zweifelsohne interessant und überraschend war und der – die vorherrschende Album-Thematik um Verzweiflung, Einsamkeit und Liebe kongenial musikalisch umsetzend – gleichermaßen energiegeladen und berührend war.
Viele (neue) Freunde haben sie sich allerdings mit der von ihnen an diesem Abend durchgängig kultivierten, etwas zu sehr betonten Bohemien-Attitüde und dem Verzicht auf wenigstens zwei, drei Zugaben in Berlin nicht unbedingt gemacht.