Hamburger Band mit starkem Debütalbum voll leidenschaftlicher Rock’n’Roll-Perlen.
Wäre ich DJ in einem guten Indierock-Club, ich würde diese Platte komplett durchlaufen lassen, einmal wenigstens – sollen die Gäste doch mal für 44 Minuten ihre allwöchentlichen Floorfiller vergessen und mich bitte hinterher fragen, wer denn um Himmelswillen diesen tanzbaren, lässigen und manchmal auch schwelgerischen Garagenrock gezaubert hat, zu dem man gerade noch so selbstvergessen durch den Raum torkeln konnte.
Dass es sich dabei um eine Band aus Hamburg, ja überhaupt aus Deutschland handeln könnte, darauf kämen wahrscheinlich die wenigsten – dafür schwitzt diese Musik zuviel Rockgeschichte aus, erzählt sie zu dandyesk von einem Leben zwischen Bordstein, Nachtbus und Bierbar.
Jüngere Menschen mögen aus dem zum Teil herrlich abgefuckten (Doppel-) Gesang vielleicht die Libertines und aus der gesamten Soundästhetik der Platte andere, aktuelle Lofi-Produktionen heraushören, der Rest kann sich insbesondere aus den 60er und 70er Jahren Beat- und Blues-Rock Einflüsse aussuchen, die diese Band inspiriert haben könnten.
JAN PETSCHAT, MARCUS SCHNEIDER, CHRISTIAN BATT und CHRISTIAN HAKE sind nach zehn Jahren Bandgeschichte und zum Teil fast lebenslanger Freundschaft bei Plattenvertrag und Debütalbum angekommen – diesen langen, erfahrungsreichen Weg hört man der Platte an. Man muss der Band und ihrem Produzenten Swen Meyer, der schon mit Tomte und Kettcar aufnahm, dazu gratulieren, mit nur vier Instrumenten und zwei Stimmen eine derart dichte und mitreißende Platte gemacht zu haben, die aufgrund des guten Songwritings keine Sensationen oder großes Brimborium gebraucht hat.
Obwohl uns NICE BOY MUSIC mit ihrem Bandnamen, dem Albumtitel und Songs, die ‚This Is Disco‘ heißen, auf eine falsche Fährte locken wollen – echte Hits gibt es hier dennoch: Die Selbstfindungshymne ‚Wait‘, das leidenschaftliche ‚Hunger‘ und das schräge, aber dennoch eingängige ‚Coming Up‘ hadern mit dem Dasein, zelebrieren diesen Zustand aber auch und ziehen aus Textzeilen wie „come on and loose your soul/ in the back seat of my car/ on a morning cold and grey/ i got good times in my head“ eine greifbare Schönheit. Bis zum Schluss – das ruhige ‚Lavender Tavern‘ versinkt in romantisch-traurigen, ja existenziellen Gedanken – reibt sich poetische Größe an erdiger Musik, stehen romantisch-hedonistische Bilder („goat cheese and wine“) neben geradezu lebensmüder Rast- und Ratlosigkeit. So ging doch Rock’n’Roll, oder?
NICE BOY MUSIC
Twist
(Virgin/ EMI)
VÖ: 28.07.2006
Autor: [EMAIL=heiko.bartels@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Heiko Bartels[/EMAIL]