One Sentence. Supervisor – Acedia

Am 13.09.2019 erschien das neue Album der Schweizer Psychedelic Pop-Band ONE SENTENCE. SUPERVISOR, dessen Songs die Band exklusiv für Popmonitor kommentiert hat – am 10.10.19 wird „Acedia“ auch live in Berlin @ Zukunft am Ostkreuz vorgestellt (komplette Tourdaten sie unten).

Tuning

…per Zeitraffer in die Gegenwart.

Acedia

…entstand als erster Song für das neue Album, im Sommer 2018. In halb Europa brannten die Wälder, die Klimaerhitzung frass sich in das europäische Bewusstsein. In einem Zeitungsinterview sprach ein Soziologe davon, wie sich die Natur mit dem Klimawandel wieder als unberechenbarer Faktor bemerkbar mache in unserem Alltag. Dies, nachdem wir dank Wohlstand und Wachstum jahrzehntelang dem Irrglauben aufgesessen seien, wir könnten unser Leben einfach an der Natur vorbei planen. Er sprach von psychischen Reaktionen auf diese Erkenntis. Irgendwann war die Rede von einer im Mittelalter verbreiteten Mönchskrankheit, «Acedia». Sie beschreibt ein Gefühl der Ohnmacht, eine lähmende innere Zerissenheit. Die Mönche spürten Zweifel am System, in dem sie lebten, konnten diesem aber nicht entfliehen – die psychologische Macht der Kirche und der eigenen Gewohnheiten waren zu stark. Durch ihr Nichthandeln stützten die Mönche damit letztlich ein System, an welches sie gar nicht mehr glaubten. Dieser Zustand der Ambivalenz erinnerte mich an ein eigenes Ohnmachtsgefühl gegenüber dem destruktiven Wirtschaftssystem, das uns gerade straight in den ökologischen Kollaps führt. Und dies erst noch unter der Prämisse der individuellen Entfaltung. Dieser muss scheinbar alles untergeordnet werden – selbst wenn es die eigene Lebensgrundlage ist.
Im Song geht es auch um die Frage, ob man Acedia im heutigen Kontext nicht als Krankheit, sondern eher als moderne Widerstandsform deuten sollte. Sich mit Apathie und Untätigkeit dem «Du musst performen»-Imperativ zu widersetzen, scheint zumindest einigermassen radikal.

Double You I

…entfaltete sich aus diesem angespannten Gitarrenriff, welches sich durch den ersten Teil des Songs zieht.
Die Melodie und das nervöse Echo lösten Rastlosigkeit aus. Manchmal, wenn ich mein iPhone über Tage zu konsequent mit mir rumtrage, fühle ich mich ähnlich.
Ich stelle mir das Smartphone vor als Defibrillator. Die Vibrationen in der Hosentasche – Pushs, Likes, Ratings – sind wie kleine Stromstösse, die den Puls hochjagen. Aber sie wirken auch wie eine schlechte Partydroge: Kurzes High, langes Low, schleichendes Bedürfnis nach Mehr. Ein dateninduzierter Zustand der Dauererregung. Gefördert bis gefordert ist die laufende Optimierung, der durchökonomisierte Alltag. Mehr Content. Mehr Engagement. Mehr Performance. Das Rad dreht dreht sich 24/7, 365 Tage im Jahr. «Effizienz» ist das digitalkapitalistische Totschlagargument der Stunde, «Optimierung» ein Garant für anhaltende Beschäftigung und Ablenkung von der Frage, ob wir uns eigentlich auf einen bestimmten Zustand hin verbessern wollen.

Double You II

Wie wird es sich anfühlen, in einer Welt gross zu werden, in der künstliche Intelligenzen die Entwicklungen eines Menschen bereits von seiner Geburt an mitverfolgen und kategorisieren? So richtig, mit Nanobots in den Blutbahnen und Sensoren unter der Haut. Wenn also bereits deine ersten Herzschläge entweder in oder ausserhalb einer Norm liegen, wenn bereits aus deinen ersten gesprochenen Worten Rückschlüsse gezogen werden über potentielle Nach- oder Vorteile in deinem späteren Leben. Wenn du nicht nur einen GPS-Sender in dir trägst, damit du nicht verloren gehst, sondern die Daten aus deinem Körper deinen Eltern auch gleich mitteilen, dass du gerade zum ersten Mal Sex hast, deiner Krankenversicherung verraten, dass du gerade Alkohol trinkst, obwohl du noch nicht volljährig bist, den Amazons und Googles überliefern, auf welche sinnlichen Eindrücke dein Körper am zuverlässigsten reagiert.
Was bedeutet es für die persönliche Entwicklung, nie alleine gewesen zu sein?

And The Rat Feels Nirvana

…antwortete der Forscher, als er gefragt wurde, ob er denn keine Bedenken habe bei diesem Experiment. Eine Gruppe von Forschern der State University in New York hatte es hingekriegt, die Gehirnströme von Laborratten so zu beeinflussen, dass sie deren Bewegungen steuern konnten. Roborats nannten sie die. «Turn her left». «Send him up». Die ethische Kurzsichtigkeit seiner Antwort hat mich verstört.
Diese Ich-weiss-was-gut-ist-für-dich-Mentalität liess mich ans Silicon Valley denken. Entrepreneurs wie Mark Zuckerberg werden nicht müde zu betonen, sie seien doch die Guten und ihre Plattformen würden den Menschen objektiv ein besseres Leben ermöglichen. Wie aber kommt ein Konzern dazu, für alle anderen bestimmen zu wollen, was ein «gutes Leben» ist, was «meaningful experiences» sind? Ich singe aus dem Kopf eines Entrepreneurs, der besessen ist von der Idee, die ultimative Lösung gefunden zu haben – und damit doch nur plumpen ideologischen Imperialismus betreibt.

Seems Less Seamless

Aufwachen nach einer langen Nacht. Zu müde um aufzustehen, zu wach, um wieder einzuschlafen. Ich öffne Social Media und lasse mich in den Stream of Recommendations fallen, folge Empfehlungen, ein einziger Strom von Content-Fetzen, von Headline zu Headline, jede eine Keule, sie werden schriller und abgedroschener, je weiter ich mich vom Konsens entferne. Ihre beabsichtigte Wirkung setzt schnell ein: Aufgekratzt und paralysiert liege ich da, ohnmächtig in Anbetracht der Tollwut. Nichts passiert mehr an diesem Tag. Auf der anderen Seite des Kanals freuen sich ein paar Werbebetreiber über mehr engagement.

Don’t Be Alarmed

…entstand aus dem wiederkehrenden Traum, unter Wasser vor Wellen flüchten zu müssen. Die Wellen waren aus Öl und lachten hämisch.

***

…bedauert die krude Allianz von Klimaleugnern und Alt-Rightlern. Ihre Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien scheint jede noch so abenteuerliche Theorie zu legitimieren, solange sie eben die Privilegien verteidigt. Im Song frage ich mich, ob diese alten wei(s)sen Männer den Klimawandel insgeheim gar nicht leugnen, sondern ihn viel mehr forcieren. Sehen sie in ihm vielleicht ihre letzte Chance, die Schneeflocken zu eliminieren?
Der Begriff «Snowflake» etablierte sich mit dem Roman, resp. dem Film Fight Club als Beleidigung für Männer, die Verletzlichkeit zeigen oder einfach nicht dem Bild des Mackers entsprechen wollen.
Der Song wird getragen von einer feierlichen Melodie, weil die Alt-Right-Bewegung und ihr verzweifeltes Aufbäumen nur bezeugen, dass wir daran sind, diese Stereotypen endlich zu überwinden.

Who’s Whose

…entstand aus «Europe» und «Wosch nochli bliebe», zwei Songs der Band Jeans For Jesus. Beide beschäftigen sich mit Vorstellungen, Wünschen und Ängsten, die an die Idee «Europa» geknüpft sind. Zusammen mit Jeans For Jesus-Sänger Mike Egger haben wir eine weitere Perspektive entwickelt. Der Song fragt, wer eigentlich dazu legitimiert ist, zu bestimmen, wer und was als europäisch gelten darf – und wer nicht.

Sadah

…dreht sich um wiederkehrende Erinnerungen, die man pflegt wie alte Bekanntschaften.

ONE SENTENCE. SUPERVISOR
Acedia
(Irascible Records)
VÖ: 13.09.2019

www.onesentencesupervisor.com
One Sentence. Supervisor auf Facebook

Tourdaten One Sentence. Supervisor 2019
27.09.19 – Wien, Waves Vienna
04.10.19 – Yverdon, L‘Amalgame
05.10.19 – Baden, Royal
08.10.19 – München, Milla
09.10.19 – Nürnberg, Z-Bau
10.10.19 – Berlin, Zukunft am Ostkreuz
12.10.19 – Hamburg, Molotow
15.10.19 – Mainz, Schon Schön
16.10.19 – Aachen, Musikbunker
25.10.19 – Nancy, L’Autre Canal
14.11.19 – Winterthur, Kraftfeld
15.11.19 – Luzern, Neubad
06.12.19 – St. Gallen, Palace
07.12.19 – Genf, La Graviere

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