PLACEBO am 22.11.2009 in der Arena Treptow


„Let me take you for a ride…“



Vor inzwischen mehr als 12 Jahren war es, da stand man – selbst noch reichlich grün hinter den Ohren – zusammen mit einer Handvoll Anderen in diesem kleinen Club und wartete auf eine Band, die trotz ziemlich gelungenem Debütalbum doch eher als Geheimtipp galt. Die Bühne konnte kaum als solche bezeichnet werden, die drei Jungs, die darauf standen, schienen fast schon am meisten davon überrascht, was um sie herum passiert. Und trotzdem, oder möglicherweise auch gerade deshalb, war der Abend so einzigartig, dass er selbst über eine Dekade später noch im Herzen verankert ist, als hätte er erst vor einigen Monaten stattgefunden.

Man nehme also eine gute Portion Erinnerung und wage ein Experiment, denn einiges ist seitdem passiert. Den Club hat beispielsweise kurze Zeit später das Zeitliche gesegnet, das Publikum sich in alle Winde zerstreut und die Band ist inzwischen meilenweit von kleinen, intimen Auftritten entfernt. PLACEBO bewegen sich in ganz anderen Dimensionen, das wird bereits bei der Ankunft an der Berliner Arena klar, vor deren Türen sich so viele Menschen stauen, dass es einem fast schon angst und bange werden kann. Bunt gemischt ist alles da – von kleinen, adrett zurecht gebürsteten Teenies bis hin zu der Altersklasse, in welche man sich auch selbst mittlerweile einordnen kann und die vermutlich ebenso fasziniert (und vielleicht auch ein wenig irritiert) den Wandel von Brian Molko, Stefan Olsdal und nun Steven Forrest, der 2007 die Drumsticks von Steve Hewitt übernahm, verfolgen konnte. Und als man sich schließlich in die Halle gekämpft hat und noch der Vorband EXPATRIATE lauscht, die leider in dem ganzen Tumult etwas untergeht, beschleicht einen das Gefühl, dass man in seiner persönlichen Placebo-Konzert-Pause deutlich mehr verpasst hat, als man bisher dachte.

Allein die Bühne hat nichts mehr mit dem gemein, was da noch allzu lebendig vor dem inneren Auge tanzt, sondern sich sowohl quantitativ als auch qualitativ um ein Vielfaches verbessert und ihren Namen inzwischen mehr als verdient. Als Pausenprogramm werden auf den Leinwänden links und rechts davon nette, wenn auch phasenweise verwirrende Kurzfilme, anmoderiert durch die Herren selbst, gezeigt (mehr dazu hier: http://filmfestival.placeboworld.co.uk), bis gegen viertel nach Neun erneut das Licht erlischt. Dass postwendend ein Applaus aufbrandet, der jegliche Fremdunterhaltung absolut unmöglich macht, überrascht spätestens an dieser Stelle nicht mehr und so begnügt man sich vorerst damit, über die eigene Ganzkörpergänsehaut zu streicheln. Viel zu sehen ist von der gewählten Position leider eh erstmal nicht, aber vor der brennenden Sonne im Hintergrund lassen sich dann doch die drei Köpfe ausmachen, auf die hier jeder wartet.

„Come on lay with me, ‚cause I’m on fire… I tear the sun in three, to light up your eyes“ – ‚For What It’s Worth‘ eröffnet einen Abend, der mit seinem musikalischen Querschnitt durch sämtliche Veröffentlichungen eine Reise in die eigene Vergangenheit anstößt und definitiv auch unzählige andere Augen zum Leuchten bringt. Und während man auf die Mélange aus Liveaufzeichnungen und künstlerischen Visualisierungen blickt, die inzwischen auf die Leinwände projiziert wird, folgt auch schon die nächste Erkenntnis des Abends: Brian Molko hat eine verblüffende Transformation hingelegt. Aus dem kleinen, noch dezent unsicheren und schüchternen Knaben ist ein ausgewachsener Musiker geworden, der zusammen mit den anderen nicht nur einfach so auf dieser riesigen Bühne steht, sondern sie für sich einnimmt und beherrscht. Dass spätestens zu ‚Every You, Every Me‘ der Saal vor Begeisterung kocht und nur zu gerne jeder Aufforderung der Band zu Bewegung und Gesang folgt, ist insofern schlicht die logische Konsequenz.

Mist, denkt man sich da – wo sind die Jahre hingeflogen? Und fühlt sich doch zugleich in seiner Verzückung wieder so jung und lebendig, dass es eigentlich egal ist. PLACEBO sind hier und dort, damals wie heute, vor 20 oder 2000 strahlenden Besuchern vor allem eines: eine verdammt gute (Live-) Band, die sich mit viel Geduld und Spucke ein reichhaltes Repertoire an fantastischen Liedern erarbeitet hat. Und denkt man dann nochmal an diesen Abend damals zurück, ärgert man sich zwar vielleicht kurz, dass man dazwischen so einiges verpasst zu haben scheint, am Ende dominiert jedoch eindeutig die Freude darüber, dass man eine weitere, schöne Erinnerung mit nach Hause nehmen kann, die das mehr als wettmacht.

http://www.placeboworld.co.uk
http://www.myspace.com/placebo

Autor: [EMAIL=verena.gistl@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Verena Gistl[/EMAIL]

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