Pocket Symphonies – Spaziergänge durchs Leben


Der Komponist SVEN HELBIG in Portrait und Interview zu seinem neuen Album „Pocket Symphonies“…



Mit dem Album „Pocket Symphonies“ (Deutsche Grammophon) ist Mitte Februar ein echtes Kleinod zeitgenössischer Klassik erschienen – eine Zusammenstellung von zwölf Sinfonien im sprichwörtlichen und titelprägenden Hosentaschenformat, flüchtig jedoch nur in ihrer chronologisch messbaren Spieldauer (von maximal fünf Minuten), nicht aber in ihrem emotionalen Nachhall. Komponiert für Klavierquartett und Orchester, wurde das Album mit strahlend namhafter Unterstützung eingespielt: Gemeinsam mit dem FAURÉ QUARTETT und dem ältesten deutschen Radio-Orchester Deutschlands, dem MDR LEIPZIG RADIO SYMPHONY ORCHESTRA, realisiete SVEN HELBIG seine Vision einer in der Rezeption mühelos in den Alltag zu integrierenden modernen Klassik.

Es liegt auf der Hand, dass Helbig, der schon mit so populären wie unterschiedlichen Künstlern wie POLARKREIS 18, SNOOP DOGG oder RAMMSTEIN zusammengearbeitet hat, so auch Hörer abholen möchte, die sich in den sich gern exklusiv gebenden Gefilden klassischer Musik (noch) nicht so gut auskennen. Er bringt es folgendermaßen auf den Punkt:

„Wenn man eine dreieinhalbminütige Sinfonie schreibt, entsteht automatisch ein Song. Es gibt da eine genetische Verwandtschaft. Damit meine ich das Kräftespiel von zwei dominanten Melodien. Viele gute Songs verdanken ihre starke Wirkung der polaren Spannung des Strophen- und Refrain-Themas. Oft kann man in solchen Songs sogar die Bestandteile eines Sonatenhauptsatzes ausmachen. Es gibt die Themen, die Durchführung, manchmal eine Modulation, Reprise. Natürlich ist es eine entfernte Verwandtschaft, aber wenn man eine Sinfonie in allen Dimensionen von Länge, Dynamik und Affekten staucht, bleibt ein Song übrig. Insofern sind die ‚Pocket Symphonies’ tatsächlich sinfonische Songs.“

Doch wer ist Sven Helbig, woher kommt er? Noch zu DDR-Zeiten im brandenburgischen Eisenhüttenstadt geboren und aufgewachsen, zieht er zum Musikstudium nach Dresden. Danach, kurz nach der Wende, verschlägt es ihn nach New York, wo er im Greenwich Village Schlagzeug spielt. Zur Gründung der Dresdner Sinfoniker kehrt er zurück an den Ort seiner Ausbildung, wo er auch heute noch lebt. Der Spannungsbogen zwischen Klassik und Moderne zeichnet sich also auch in seiner geografischen Biografie ab. Dass sich Helbig dieses Zusammenhangs voll bewusst ist, verdeutlicht der Song „Urban Perfume“. Helbig schildert die Hintergründe:

„‚Urban Perfume’ beschreibt in meinem Falle das Sehnsuchtspendel zwischen Amerika und Europa. Ich sehne mich nach einigen Wochen in New York nach Deutschland, nach europäischer Lebenskultur. Ich fühle mich wund am ganzen Körper und kann selbst die englische Sprache nicht mehr ertragen. Aber nach wenigen Tagen zu Hause geschieht das Gleiche umgekehrt. Ich ersticke im deutschen Temperament und will sofort nach New York zurück. Wenn ich dann dort ankomme, mit dem Taxi Manhattan erreiche, dringt ein unbeschreiblicher, süßlicher Duft in meine Nase und macht mich glücklich – Urban Perfume. Und in dem Lied sind noch mehr Dinge versteckt, die das ewige Kreisen zwischen Deutschland, Amerika und England beschreiben, die fidnet man aber am besten selbst heraus.“

Helbigs Worte illustrieren die Bildhaftigkeit seiner Arbeit – auch wenn sich derlei persönliche Hintergründe ohne unterstützende Erklärung nicht unmittelbar erschließen mögen. Andererseits verweist auch nicht jeder Titel explizit auf seine Geschichte: Stücke wie das zärtliche „Am Abend“, das tatsächlich eisig klirrende „Frost“ oder das mit überraschender Dynamik lustvoll provozierende „Urban Perfume“ laden den Hörer zu ganz eigenen Assoziationen ein – zum sprichwörtlichen Kopfkino. Der Weg zur Filmmusik ist nicht weit, zumal Helbig über explizite Erfahrung in Sachen Filmmusik verfügt: Im Jahr 2005 nahm er gemeinsam mit dem Pop-Duo Pet Shop Boys den Soundtrack zu Sergei Eisensteins 20er-Jahre-Stummfilm-Klassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ (CD-Titel „Battleship Potemkin“, Parlophone/EMI) auf. Zum Thema sagt er:

„Sobald man eine schöne Melodie schreibt, die zudem noch reflektiert, was man als heutiger Künstler empfindet, entsteht die Assoziation zum Film. Viele Komponisten wären total verunsichert, wenn man ihre Musik mit Filmmusik vergleichen würde. Ich finde das hingegen schön, denn diese Stücke sind kleine Spaziergänge durchs Leben.“

SVEN HELBIG
Pocket Symphonies
(Deutsche Grammophon / Universal)
VÖ: 22.02.2013

http://www.svenhelbig.com

Autor: [EMAIL=friedrich.reip@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Friedrich Reip[/EMAIL]

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