POLAROID LIQUIDE – Berliner Act des Monats September 2007


Call it Free Pop.



Update: POLAROID LIQUIDE am 04.12.08 live im NBI/Kulturbrauerei bei popmonitor.berlin.live (+ .COMPUTER..)

Bereits seit 2002 verschreibt sich das Berliner Quartett POLAROID LIQUIDE zielstrebig seiner Vision eines ungemein facettenreichen „Free Pop“ (Eigenbezeichnung) und vermengt souverän Versatzstücke aus Indie, Postrock und Singer/Songwriter zu einem homogenen Ganzen zwischen experimentellem Low-Noise und eingängig-melodiösem Post-Pop. Dabei soll Free Pop auch weniger Genrebezeichnung, als vielmehr Ausdruck für den sich insbesondere durch interpretatorische Freiheit in Entstehung und Ausübung kennzeichnenden musikalischen Ansatz der Band sein.

Anlässlich der anstehenden Veröffentlichung ihres bislang lediglich im Eigenvertrieb erschienenen Debütalbums beim Kölner Indielabel Tumbleweed Records im Oktober begeben sich POLAROID LIQUIDE, die ja in den vergangenen Jahren bereits nachhaltig als äußerst umtriebige und leidenschaftliche Live-Sympathen auf sich aufmerksam gemacht haben, ab Anfang September 2007 erneut auf eine ausgedehnte Deutschlandtour inkl. Abstechern nach Österreich, Frankreich und die Schweiz.

Im Interview gab uns das Quartett u.a. ausführlich Auskunft über die Bandanfänge, die mit dem anstehenden Labelrelease verbundenen Hoffnungen und Veränderungen sowie ihre (Tour-) Erfahrungen im In- und Ausland.

BiB: POLAROID LIQUIDE gibt es ja bereits seit 2002. Erzählt doch etwas zu Euren Anfängen, wie habt Ihr zusammengefunden, wart Ihr vorher schon musikalisch aktiv, spielt Ihr seit 2002 in der aktuellen Besetzung?
POLAROID LIQUIDE: Drei Viertel der Band kennen sich schon lange – Antje und Britta sind Schwestern und waren zusammen mit Nico auf einer Schule. Damals begannen sie auch, gemeinsam sporadisch Musik zu machen. Einige Jahre später lernten sich Nico und Vince kennen und spielten sich einen kalten Winter lang in einem dunst-geschwängerten Wohnzimmer ihre Songideen vor. Schnell entstand die Idee, eine Band zu gründen. Anfänglich spielten wir zusammen mit Antje am Schlagzeug und einem Bassisten aus England, aber polaroid liquide in dieser Form gibt es erst, seitdem er aufgrund von fehlendem Engagement ausgestiegen ist und durch Britta ersetzt wurde.

Hattet Ihr von Anfang an eine bestimmte musikalische Vision, kamen alle Bandmitglieder dbzgl. schnell auf einen Nenner, unterschieden sich Eure ersten Songs noch von denen, die auf dem Debütalbum enthalten sind bzw. hat sich erst mit der Zeit so etwas wie ein Trademark-förderlicher Bandstil entwickelt? Oder wollt Ihr das mit der Eigenbezeichnung Eures Stils als „Free Pop“ ohnehin bewusst vermeiden?
Unsere Musik war am Anfang einfacher strukturiert und zugänglicher. Im Laufe der Bandgeschichte haben sich die Songs immer mehr zu dem entwickelt, was wir heute free pop nennen. Free pop meint dabei weniger ein Genre im klassischen Sinne, sondern eher Freiheit in Interpretation und Ausübung.
Wir sehen auch keinen Bruch zwischen altem und neuem Material, sondern die Veränderung war fließend. Unsere unterschiedlichen musikalischen Einflüsse führen dazu, dass der Songwriting-Prozess für jeden einzelnen sehr überraschend ablaufen kann. Es ist schwer vorhersehbar, wie die anderen Bandmitglieder auf den jeweiligen Input reagieren. Dadurch ist schon im Moment des Song-Schreibens eine gewisse Bewegung vorhanden. Wir achten dabei nicht auf einen Trademark-förderlichen Bandstil, sondern auf das, was uns gefällt.



Man kommt ja nicht umhin, infolge des experimentellen Ansatzes mit (u.a.) Noise- und Jazz-Anleihen Euren Sound im weitesten Sinne als Postrock oder Noisepop zu bezeichnen, gewisse Parallelen – auch stimmlicher Natur inbes. zu Kim Gordon oder Lee Ranaldo – zu den Noise-Vorreitern Sonic Youth sind auch immer wieder auszumachen. Seht Ihr das ähnlich, orientiert Ihr Euch bewusst an Vorbildern wie Sonic Youth oder bestimmten anderen Bands (welche wären das dann?), nerven oder ehren Euch solche Vergleiche? Oder seht Ihr das selbst sowieso komplett anders?
Es gibt definitiv schlechtere Bands, mit denen man verglichen werden kann. Dennoch orientieren wir uns nicht bewusst an Vorbildern oder Schubladen und wundern uns oft etwas über bestimmte Vergleiche.
Wir haben den Begriff free pop auch ausgewählt, weil wir einerseits eine Bezeichnung für unsere Musik finden wollten, andererseits jedoch keine musikalischen Eingrenzungen ziehen wollten.
Stimmlich ergibt sich aufgrund der vielschichtigen Instrumentierung einfach ein zurückhaltender Ansatz, alles andere wäre zu affektiert und überladen.
Wir empfinden die Musik auch nicht als ausschließlich experimentell, sondern als eigentlich sehr eingängig – gerade auch wegen der Melodien. Wenn man nicht nur Strophe und Refrain erwartet und in unsere Lieder eintaucht, empfindet man die Wechsel und Brüche als zwangsläufig und nachvollziehbar.
Unsere musikalischen Einflüsse reichen unter anderem von Velvet Underground und den Doors über Blues und 90er Indie bis zu Krautrock und Songwriter-Geschichten.

Wie entstehen Eure teilweise ja recht verschachtelten, dann doch immer wieder auch mit schönen Melodien überraschenden Stücke, im gemeinschaftlichen Ausprobieren und Jammen, gibt es so bei Euch so etwas wie Songwriting bzw. einen „federführenden“ Songwriter im herkömmlichen Sinne, sind alle Mitglieder zu gleichen Teilen an den Ideen/Entstehung/Resultat involviert?
Wir reden oft ausführlich darüber, wo ein Song hingehen soll. Die Entscheidungen im Proberaum fallen meist einstimmig aus – einzelne Ideen werden dabei eingebracht und dann zusammen weiterentwickelt. Die Songs entstehen also eher durch gemeinsames Schreiben und Arrangieren, auch nach Monaten verändern wir noch kleine Details, die uns bei der Live-Umsetzung aufgefallen sind.

Euer im vergangenen Jahr im Eigenvertrieb erschienenes Debütalbum wird nun auf Tumbleweed Records inkl. professionellem Vertrieb veröffentlicht. Wie kam es zu dieser Kooperation, wer ist da auf wen aufmerksam geworden, was versprecht/erhofft Ihr Euch davon? Erscheint es 1:1, also mit identischen Songs und identischer Abfolge? Wurde dafür nachträglich etwas an der Aufnahmen/ der Produktion verändert/verbessert?
Wir haben von Beginn an alle organisatorischen Dinge selbst gemacht, vom Booking übers Artwork bis hin zur CD-Produktion. Der Anlass, nach einem Label zu suchen, ergab sich als ein natürlicher Schritt in Richtung Professionalität – vor allem in Sachen Vertrieb und Promotion. Man kann eine breite Öffentlichkeit nur über die Zusammenarbeit mit einem gut funktionierenden Label erreichen. Tumbleweed Records war daher eine sehr gute Wahl für uns, da wir weiterhin sehr selbstbestimmt arbeiten können – zum Beispiel in Sachen Artwork und Songwriting – und dennoch die guten Strukturen, etwa vom Vertrieb, nutzen können.
Die jetzt im Oktober erscheinende CD ist vom Songmaterial identisch zu der früher im Eigenvertrieb herausgebrachten Platte, weil die Musik in einem sehr guten Studio produziert wurde und uns die Aufnahmen sehr gut gefallen haben – und noch immer gut gefallen. Nur das Artwork hat sich leicht verändert, da die neue Auflage als Jewel Case veröffentlicht wird.



Wie dringlich war diese Suche (wenn es denn eine war) generell für Euch, wart Ihr vorher „neidisch“ auf – vielleicht auch befreundete – Bands, die bereits bei einem Label untergekommen waren? Seid Ihr in Berlin (oder anderswo) in so etwas wie ein Netzwerk aus befreundeten Bands, Labels und Agenturen eingebunden, d.h. hilft und unterstützt man sich gegenseitig? Habt Ihr zudem Empfehlungen, was interessante neue, aber noch unbekannte (insbes. Berliner) Bands betrifft?
Von Neid kann man nicht wirklich sprechen. Man kann aber schon sagen, dass die meisten Labels lieber Musik unter Vertrag nehmen, die sie und auch das Publikum schon ausführlich kennen und die grad en vogue ist. Zum Beispiel hat man zur Zeit als englisch singende Band im Vergleich zu Deutschpop-Bands eine schlechtere Chance auf ein Signing. Auch sind neue Ideen eher weniger gefragt – das sind jedenfalls die Erfahrungen, die wir bei der Labelsuche gemacht haben.
In Berlin spielen wir zwar oft mit befreundeten Bands zusammen, empfinden uns aber nicht als zu einem Netzwerk dazugehörig. Ausschließlich lokale Netzwerke scheinen auch in Zeiten von Myspace etc. nicht mehr so wichtig zu sein, uns geht es eigentlich eher darum, an verschiedenen Orten Bands zu kennen, die wir musikalisch und persönlich mögen. Wir spielen zum Beispiel auf der Tour in jeder Stadt mit einer anderen Band.
Empfehlen können wir für Berlin zum Beispiel THE FRAMO die wunderbar verschrobenen Elektropop machen – oder CITIZEN FEVER, die rocken. Aber gerade auch in Hamburg gibt es ne Menge guter Indie-Bands, wie etwa THE SEA oder FLIMMERN.

In den vergangenen zwei Jahren wart Ihr ja ausgiebig auf Tour, auch jetzt steht wieder eine größere Tour durch Deutschland und die Schweiz (wo Ihr ja schon häufiger wart) an. Wie ist generell die Resonanz außerhalb von Berlin und vor allem im Ausland, wieso spielt Ihr ausgerechnet recht häufig in der Schweiz, gibt es da spezielle Kontakte bzw. über die Jahre gewachsene Kooperationen (auch mit Schweizer Bands)? Und wie war es in der Band-Anfangszeit, wie schwer war es, da ansatzweise Fuß zu fassen und Livegigs insbesondere in Berlin zu spielen? Seid Ihr mit Eurem derzeitigen Berlin-„Status“ zufrieden bzw. wo wollt Ihr noch hin mit Eurer Musik?
Die Resonanz auf unsere Konzerte ist auf Tour oft sehr gut. Die Leute im Publikum sind meist noch nicht so abgeklärt oder übersättigt und bringen der Musik viel Respekt und Interesse entgegen – Beispiel Schweiz: Da wird Kultur oft privat oder von Vereinen gefördert, Ausstattung, Unterkunft und letztlich auch die Gage sind um einiges besser als in Deutschland. Es war uns immer wichtig, außerhalb der bekannten Kreise Berlins und auch außerhalb Deutschlands zu spielen. Am Anfang war das sehr schwer, inzwischen läuft das Booking sehr gut, auf der kommenden Tour haben wir insgesamt fast 25 Konzerte.
Bei der letzten Tour haben wir sehr viele positive Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, besonders in der Schweiz. Hier auch mal eine Empfehlung: Die Bands des Labels Ikarus Records, vor allem JOHN SARS und THE HADDOCKS sollte man sich unbedingt anhören.



Wie sehen derzeit – neben der anstehenden Tour – Eure Zukunftspläne aus, gibt es bereits Pläne für ein zweites Album, gibt es schon neue Songs, die Ihr auf der anstehenden Tour präsentieren oder auch ausprobieren möchtet?
Ja, es gibt bereits neue Songs, die wir auf der Tour präsentieren werden. Auch Pläne für ein neues Album existieren schon. Wir sind gespannt, was mit dem Labelvertrag und durch die Tour so alles passiert. In den letzten Jahren sind wir stetig und homogen gewachsen und hoffen natürlich, dass sich das so fortsetzt.

Alles Gute für Tour und Album und besten Dank für das Interview!
Wir danken auch.

Das Album:

POLAROID LIQUIDE
Polaroid Liquide
(Tumbleweed Records/ Broken Silence)
VÖ: 26.10. 2007

Fotos (c) Polaroid Liquide

www.polaroid-liquide.de
www.myspace.com/polaroidliquide

Autor: [EMAIL=thomas.stern@bands-in-berlin.com?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]

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