POSTCARD FROM LONDON | Live: GONJASUFI


:: Bald in Berlin: Experimental-Electro-Psycho-Hipster-Hopster-Pop – nichts für Hörgewohnheiten aus der Retorte jedenfalls ::



Breakbeats und Drum Samples, die an rauhe, phate Oldschool-Hiphop Tracks aus New Yorker Kellern erinnern, düstere Tunes in geistiger Verwandschaft mit AMON TOBIN oder Bristol Trip Hop à la MASSIVE ATTACK, Stoner-Hip-Hop wie bei TRICKY oder CYPRESS HILL, dazu die experimentelle melancholisch-psychedelische Pop-Leichtigkeit von WARPAINT – das war es aber auch schon mit den eindeutigeren und populären Assoziationen. Ansonsten ein Queerbeet-Mix mit eigener Note. Und die rührt bei GONJASUFI besonders von der Stimme her. Die klingt nämlich manchmal wie CEE LO GREEN von einer 60er Jahre Schallplatte durchs Megaphon auf einen 4 Track-Recorder aufgenommen und dann in einen MARK PRITCHARD-Mix reingedubbt – auf jeden Fall in eine dicke, schleppend-schwere Ganja-Wolke eingehüllt.

Doch alle Vergleiche hinken. ‚Idiosynkratisch‘ charakterisiert wohl selten so treffend wie bei GONJASUFI. Das Debütalbum A Sufi and a Killer erschien 2010, produziert von FLYING LOTUS und THE GASLAMP KILLER – womit schon angezeigt ist, dass GONJASUFI ein Kind der kalifornischen Musikszene ist. Nach zwei EPs erscheint nun mit MU.ZZ.LE das zweite Album und führt in die noch düstereren seelischen Bereiche des spirituellen Yoga-Lehrers aus San Diego. Ein komplexer und originärer Halluzinogen-Sound, in einem dystopischen 21. Jahrhundert angesiedelt – zeitlos, faszinierend und eindringlich. Die internationale Presse überschlug sich geradezu mit Lob und Loorbeeren, kurz: die Platte war äußerst vielversprechend. Und dann hieß es, das dürfe man live nicht verpassen. Na gut. Aber eine Sache mit sehr hohen Erwartungen angehen ist ja meist keine allzu gesunde Zukunftsvorsorge.

Ein paar Tage vor dem Berlin-Gig von Sumach Ecks b.k.a. GONJASUFI, konnte man den kalifornischen Rapper nämlich live bereits im “Village Underground” in London erleben. Was für eine Enttäuschung! Viel der zunächst unterkühlten Stimmung an diesem Abend war zwar dem schlechten Veranstaltungsmanagment und Soundschwierigkeiten sowie zwei äußerst mittelmäßigen, wenn nicht gar unterirdischen DJ-Sets (BLUE DAISY, OM UNIT) als Aufwärmung zu verdanken. Aber auch als es dann mit GONJASUFI live losging (2 DJs, ein Co-Rapper und Mr. Ecks himself) hüpften nur vereinzelte Fans in dem ansonsten gemischten aber definitiv nicht tanzaffinen Publikum. Nach den ersten Minuten ekstatischen Zuckens auf der Bühne ist erstmal klar, dass hier nicht nur mit Marihuana, sondern eher mit Mescalinhaltigem experimentiert wird. No offence – aber ich dachte immer, mit der Musik kann man vielleicht die Drogen rechtfertigen, jedoch nicht umgekehrt. Denn außer Zucken war da nicht viel mehr.



So lag die Konzentration auf der Bühne bei den ersten Nummern zunächst darauf, das wiederholt herabfallende Cap wieder aufzusetzen, die Dreads dabei trotzdem halbwegs im Rhythmus zu schleudern und ab und zu eine Silbe ins Mikro zu rotzen. Poor. Lame. Boring. So ohne Flow und Timing war das, dass sich nicht mal das sonst hemmungslos korrupte Tanzfüßchen rührte. Dann wurde es besser, der Sound etwas phater und die Rhymes etwas präziser. Dann wurde auch mal das besondere Kopfstimmchen ausgepackt, das live allerdings nicht so eindringlich klingt wie auf Platte. Zwei wild herumzappelnde Gangster, die Wortfetzen in die Loops ihrer Kollegen hauen. Okay, ist klar, dass das auch eine HipHop-Attitüde ist oder die Attitüde zum HipHop-Ego gehört. Aber kann da nicht etwas mehr Substanz dahinter stecken!? Das Gepose sei meinetwegen geschenkt, aber die künstlichen Spontaneinlagen … “yo, yo, break it down” – die Hand in den Schritt (das universale Männer-Signal, dass jetzt was Wichtiges kommt), kurz zum Sitzen auf die Monitorbox gehüpft, Hose nochmal zurechtgerückt, die Crowd begrüßt, “yo, yo, you motherfuckers, you know, California in the motherfuckin’ 90ties shit, yo” und zurück gehopst und weiter gebangt. Wow! What a message! Dann werden mit eigenem Logo bedruckte Shirts ins Publikum geschmissen. Werbeartikel von der Bühne – Renegade-Capitalism? Ein nie ganz erwachsen gewordener Teenager veranstaltet einen Macho-Zirkus. Naja, davon gibt es viele. Aber mir wird nie einleuchten, warum das Maß an Selbstbehauptung und Egovermarktung eines Künstlers mit dem Zugeständnis des Wortes “Genie” korrelieren muss – oder anders ausgedrückt: warum sich die internationale Musikpresse immer vom Schein so beeindrucken lässt, statt ihn zu durch[hören].

Spätestens hier entdeckte ich, dass meine Gedanken vielleicht doch etwas zu weit abgeschweift waren und trat den Rückzug an, um den musikalischen Act des Abends nicht unfair mit Nebenschauplätzen zu belasten. Eine Stunde des Sets war da allerdings schon abgeleistet worden und man kann mir so zumindest nicht vorwerfen, ich hätte dem “Wunderkind” keine Chance gegeben. Auch wenn ich vom Genre nicht viel kenne – ich glaube, guten HipHop kann ich erkennen. Flow, Groove, Poetry, musikalische Qualität sind universell. Nix davon war an diesem Abend zu Gast. Vielleicht galt die Begeisterung auch eher seinen Auftritten mit Live-Band? Naja, es bleibt eine Platte für zu Hause. Aber ich will den geneigten Lesern/Hörern nicht einmal von einem Konzertbesuch abraten, denn ich mag mir vorstellen, wenn die Dosis des Drogencocktails auf der Bühne koordinierte Sprechakte noch zulässt und mit dem Konsum im Publikum übereinstimmt, wenn dann noch die Location etwas geeigneter ist und die Soundtechnik zuverlässiger mitspielt, wenn man am Ende gar ein Fan von dieser Szene ist – dann könnte das ein durchaus interessanter Clubabend werden. Vielleicht ging es ja nur mir so. Vielleicht standen die anderen Gäste ja nur so unbewegt herum, weil sie so ergriffen von dieser Erscheinung waren. Vielleicht.

Mittwoch, 20.06.2012 // Gretchen Club
(Obentrautstr. 19-21, 10963 Berlin-Kreuzberg, U Mehringdamm/Hallesches Tor)
GONJASUFI (Warp Records/USA)

Doors 20.30, Concert 21.30, Tickets 17,90 Euro

GONJASUFI
MU.ZZ.LE
(Warp/Roughtrade)
VÖ: 20.01.2012

www.sufisays.com
http://gonjasufi.tumblr.com/
www.facebook.com/pages/Gonjasufi/47704155280
http://warp.net

Die Autorin ist popmonitor-Korrespondentin mit Wohnsitz in London und berichtet in der Kolumne ‘POSTCARD FROM LONDON‘ in unregelmäßigen Abständen über internationale Neuentdeckungen, -entwicklungen und Ereignisse aus der britischen Hauptstadt.

Autorin: [EMAIL=julia.schell@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]julia schell[/EMAIL]

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