Postmoderne Märchen 4

In zwei aktuellen Filmen steht Timothée Chalamet im Mittelpunkt: Zum einen als aufstrebender Unternehmer in Wonka und zum anderen als zukünftiger Messias in Dune: Part Two. Beide Filme beziehen sich auf den Kolonialismus, der erste positiv, der zweite kritisch. Dabei helfen auch die Soundtracks.

Im Musical Wonka kommt der Jungunternehmer Willy Wonka (Chalamet) in eine Stadt, um ein großer Chocolatier zu werden. Zwangsarbeit in einem Hotel und ein Schokoladenkartell stehen ihm hierbei im Weg. Die generischen Lieder von NEIL HANNON unterstützen die Handlung, wobei „Pure Imagination“ ein Zitat aus einem früheren Lied ist, das immer wieder gerne gesampelt wird, wie etwa von LUKE MCMANUS.
Wichtig ist daher, dass der Film ein Prequel zu der Kinderbuchverfilmung Charlie und die Schokoladenfabrik von 1971 ist und eben nicht zu der von 2005. Die Darstellung des erwachsenen Wonka (Gene Wilder) war Vorbild für MARILYN MANSON zu seinem Musikvideo „Dope Head“, das wiederum JOHNNY DEPP als Vorbild für seine Darstellung in der neueren Verfilmung war. Diese war Blaupause für „Tag Mit Schutzumschlag“ von BELA B (DIE ÄRZTE).
In beiden Filmen taucht der Stamm der „Umpa-Lumpas“ auf, die als eine Parodie auf kolonialisierte Völker aus Afrika und Amerika gelesen werden können. Sie werden entindividualisiert, in dem man sie alle mit den selben Gesichtern darstellt. In Charlie und die Schokoladenfabrik (2005) arbeiten sie in Wonkas Fabrik und hier sogar auf einer Galeere. In Wonka (2023) tragen alle Umpa-Lumpas das Green-Face von Lofty (Hugh Grant). Es ist bezeichnend, dass dieser Rassismus von postmodernen Antirassismus- und Postkolonialismus-Aktivisten nicht erkannt wird, was daran liegen dürfte, dass Grant „weiß“ und eben nicht „schwarz“ ist.

In Dune: Part Two wird die kolonialistische Idee des „White Saviors“ diskutiert. Hier kommt der adlige Paul Atreides (Chalamet) auf den Planeten Arrakis („Dune“) und schließt sich dem unterdrückten Volk der „Fremen“ an. Im Vorfeld wurde er bereits propagandistisch als deren kommender Messias („Lisan al Gaib“) angekündigt, um sie für die Atreides zu kontrollieren. Nach anfänglichen Zweifeln nimmt er diese Rolle dann auch an, um Krieg gegen die Ausbeuter konkurrierender Adelshäuser führen zu können. Diese Politsymbolik lässt sich leicht auf jüdische Messias- bzw. islamische Mahdi-Erwartungen sowie auf Völker wie die heutigen Afghanen und Iraner übertragen, wenn es um das Thema Bodenschätze geht.
Der düstere arabisch angehauchte Soundtrack von HANS ZIMMER unterstreicht die Brutalität der Ausbeuter sowie die Zwiegespaltenheit Pauls und seiner Begleiter bei der Messiasfrage.

Dass eine Figur ihre ideologische Rolle als König oder gar Messias als ihr Schicksal annehmen soll, ist immer wieder Bestandteil moderner und postmoderner Filme und Serien. Hierzu zählen:
– Arthur („Flo“) als Erbe des englischen Throns in Die Hexe und der Zauberer (1963)
– Sheeta als Thronerbin Laputas in Das Schloss im Himmel (1986) sowie Nadia als Erbin Nemos, dem König von Tartessos, in der Anime-Serie Die Macht des Zaubersteins (1990-1991)
– Bunny Tsukino („Sailor Moon“) als Wiedergeburt der Mondprinzessin Serenity des Silberjahrtausends in den Anime-Serien Sailor Moon (1992-1997) und Sailor Moon Crystal (2014-2016)
– Simba und Kiara als Thronerben des „geweihten Landes“ sowie Kowu als Erbe von Scar in der Der König der Löwen 1 (1994) und 2 (1998)
– Anakin Skywalker („Darth Vader“) als „jener, der die Macht ins Gleichgewicht bringen wird“, in der Star Wars-Reihe
– Thomas A. Anderson („Neo“) als „Auserwählter“ in der Matrix-Reihe
– Thorin II. („Eichenschild“), der in der Der Herr der Ringe-Reihe als Durins Erbe „König unter dem Berge“ wird und Aragorn („Streicher“), der als Isildurs Erbe den Thron Gondors besteigt
– Shasta (Cor) und Kaspian als Erben von Archenland und Narnia in den TV-Serien sowie der Filmreihe Die Chroniken von Narnia
– Sophie Neveu (bzw. Saunière) als Erbin Jesu Christi in The Da Vinci Code – Sakrileg (2003)
– Harry Potter als Erbe Salazar Slytherins in der Harry Potter-Reihe
Am Interessantesten sind hier Harry Potter, der in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2 (2011) sein Erbe als Zaubererkönig ausschlägt, sowie Kowu, der aus Liebe zu Kiara vorerst auf den Thron des „geweihten Landes“ verzichtet und so den Frieden herstellt. Bei Königs- bzw. Messiasanwärtern geht es nämlich immer um Macht: Sie spalten die Gesellschaft und stellen ein neues Kollektiv her. Wie schon Jesus Christus sagte: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Matt. 10,34) Es bräuchte aber neue Geschichten, die statt Monarchie und Theokratie die Demokratie anvisieren.

 

Wonka. Original Motion Picture Soundtrack
(WaterTower Music)
08.12.2023

Dune: Part Two. Original Motion Picture Soundtrack
(WaterTower Music)
23.02.2024

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