Ride – Here And Now

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Als die Nachricht erstmals die Runde machte, wollten wir es kaum glauben – daher mussten wir uns selbst davon überzeugen, dass unsere Shoegazing-Helden von RIDE tatsächlich wieder zusammengefunden haben. Nach dem Auftritt beim Festival A SUMMER’S TALE wissen wir: es stimmt tatsächlich. Vor dem Auftritt, den wir auch in Bildern festgehalten haben, trafen wir Gitarrist und Sänger ANDY BELL und Drummer LOZ COLBERT zum Interview…

Es war mehrfach zu lesen, eure Reunion sei ein Geschenk an die Fans, die all die Jahre immer weiter danach gefragt haben. Es ist aber sicher auch für euch eine sehr persönliche Erfahrung?

Andy Bell: Auf jeden Fall! Ich hätte es auch nicht getan, wenn es nicht eine durch und durch persönliche Erwägung gewesen wäre. Es ist schön, dass wir so viel Support haben und uns die Leute wieder zusammen sehen wollen – ansonsten würde das Ganze auch nicht funktionieren. Das schätzen wir sehr! Ich war dagegen, bis die Stone Roses wieder zusammengekommen sind. Das war der große Moment, in dem ich realisiert habe, dass man eine neue Magie mit alten Songs kreieren kann, ohne neue hinzuzufügen. Irgendetwas hat sich da in meiner Denke verändert und plötzlich gefiel mir die Idee.

Loz Colbert: Wir wollten es nicht nur der Sache willen machen – es sollte gut werden!

Die Band hat ja lange Zeit resistiert…

Colbert: Da war Widerstand, aber entscheidend war, dass wir alle an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Bands und mit unterschiedlichen Projekten beschäftigt waren. Wenn du ein neues Projekt beginnst, willst du nicht wirklich Sachen machen, die du schon gemacht hast. Von daher hatte das vielleicht doch nicht so viel mit Widerstand zu tun. Wir haben zunächst einfach nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden.

Bell: Das ist ein großer Komplex mit vielen kleinen Elementen, die dazu beigetragen haben, dass es am Ende doch eine Reunion gab. Eine Antwortmöglichkeit wäre, dass wir alle viel beschäftigt waren. Gleichzeitig waren wir emotional noch nicht soweit. Und dann kam einfach alles zusammen – und zwar genau zum richtigen Zeitpunkt.

Erinnert ihr euch daran, welchen Song ihr als erstes wieder gespielt habt?

Andy: Sobald wir die Reunion verkündet hatten, trafen wir uns in einem Studio in England, irgendwo im Nirgendwo, nur um ein paar Songs zu spielen und diesen Moment festzuhalten. Unsere Idee war es, keine Ride-Songs zu spielen. Es sollte sich nicht wie ein Test anfühlen, ob auch wirklich jeder seine Hausaufgaben gemacht hat. Am letzten Morgen haben wir dann aus Spaß doch zwei, drei gespielt und einfach ein paar Riffs von Songs wie „Like A Daydream“ reingeworfen.

Colbert: Es gab zumindest nicht einmal diesen Moment, in dem wir auf Kommando einen der alten Songs angestimmt haben. Das waren immer nur kleine Fetzen, die wir ausgeweitet haben. Erst als es mit dem Booking losging, haben wir damit angefangen, aber ich weiß nicht mehr, welcher Song das war.

Als es dann wieder Ride-Songs waren: Welche Emotionen hat das wachgerüttelt?

Colbert: Das war eine sehr persönliche Erfahrung. Du hast diese Musik in deinem Geist und Körper verinnerlicht, sie stecken dir förmlich in der Muskulatur, und dennoch erscheint es merkwürdig, wieder auf alte Songs und ihre Entstehungsgeschichte zurückzugreifen. Wir waren so viel jünger damals! Du knüpfst also an Altem an, dabei hat dich die Zeit physisch so sehr verändert. Man ist eine ganz andere Person. Mit der Zeit wurde das natürlicher. Es fühlt sich mittlerweile so an, als würde man am letzten Punkt anknüpfen und gleichzeitig ganz von vorn beginnen.

Haben euch in diesem Prozess ein paar der Songs überrascht?

Bell: „Nowhere“ ist wahrscheinlich unser reinstes Album. Bei diesen Songs ging es darum, den Moment zwischen uns festzuhalten und alles ging ganz einfach. Mich haben vor allem diese Songs überrascht. Wir haben uns dazu entschieden, die Studio-Versionen weiterzuentwickeln und sie auf eine Art und Weise zu spielen, wie wir es damals noch nicht getan haben. Viele Leute fragen uns, warum wir so wenig von den späteren Platten spielen. Für mich fühlt sich das aber einen Schritt zu kompliziert an. Für die Live-Umsetzung müssten wir dafür weitere Musiker hinzuholen, wollen aber vorerst bei unserer Besetzung bleiben. Alles soll so rein wie möglich bleiben.

Ihr fühlt euch mit dem späteren Material also nicht weniger verbunden?

Bell: Wir wissen, dass wir es mit den ersten beiden Platten besser auf den Punkt gebracht haben. Das ist einfach ein Fakt.

Colbert: Generell: Wir waren ein bisschen überrascht von der Komplexität der Arrangements. Wir haben diese Songs in so vielen verschiedenen Live-Versionen gespielt. „Nowhere“ war nur eine Version dieser Songs, aber jetzt wird alles zu der Version. Wir mussten uns dafür auf das beschränken, was darauf passiert, aber dann versuchst du die Songs wieder zu lernen und erkennst, was in den Arrangements von Songs wie „Parralized“ überhaupt alles passiert. Wir wissen gar nicht genau, was das überhaupt ist. Du kannst natürlich Takte zählen, aber am Ende passiert so viel, dass du es einfach spielen musst, um es zu begreifen.

Bell: „Seagull“ war schon immer mehr ein Gefühl. Es gibt Songs, die funktionieren besser ohne diese Strukturen, und andere funktionieren besser mit ihnen.

Wie sieht es mit den Lyrics aus? Es muss doch sonderbar gewesen sein, nach all dieser Zeit wieder in diese alten Schuhe zu schlüpfen!?

Bell: Sonderbar war für mich vor allem, dass die Texte so emotional und rau sind. Ich würde heute nicht mehr so schreiben, bin viel abgebrühter geworden. Das realisierst du als erstes. Dann denkst du: Das war auch die Phase deines Lebens, in der du am besten warst. Ich lerne also gewissermaßen von meinem jüngeren Ich. Und ich lerne eine Menge.

Colbert: Da spricht dann ein Teil von dir, der nicht Songwriter war, sondern einfach ein menschliches Wesen, das Texte geschrieben hat.

Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, eine Live-EP von dieser Tour zu veröffentlichen?

Bell: Ja, darüber habe ich nachgedacht! Wir haben ein paar Gigs aufgenommen. Das ist also eine Option, aber wir haben noch nichts entschieden.

Eure Setlist auf dieser Tour ist in großen Teile die gleiche. Wie habt ihr sie zusammengestellt?

Bell: Wir hatten eine Liste von Songs, die wir auf keinen Fall auslassen konnten, und eine andere mit Songs, die wir später unbedingt hinzufügen wollten. Uns ging es da mehr um Spielfreude als um technische Aspekte. Auf unseren Headliner-Shows abseits der Festivals experimentieren wir mehr.

Mit „In A Different Place” taucht einer der ewigen Fan Favorites nicht auf – hat das einen speziellen Grund?

Bell: Den möchte ich auch unbedingt noch bringen! Mark [Gardener, der andere Sänger und Gitarrist der Band, Anm. d. Red.] und ich haben ihn bei einer Akustik-Show in London gebracht. Vor den großen Shows wurden wir gebeten, ein paar kleine mit ein paar akustischen Gitarren zu spielen, und haben so ein paar weitere Songs eingebaut. Es gibt da ein paar weichere Songs, und anfangs wollten wir möglichst direkt und unmittelbar auftreten, gerade auf Festivals.

Colbert: Wir werden den Song in die Dubstep-Richtung ausbauen. Es wird also ein bisschen anders werden.

Habt ihr einen Favoriten aus dem aktuellen Set?

Bell: „Seagull” ist der Knackpunkt – er kann großartig sein oder fürchterlich. Das ist der Song, mit dem du ins Kasino kommst und würfelst. Es ist für gewöhnlich der vierte Track im Set und dann wissen wir, wo an diesem Abend die Reise hingeht.

Colbert: Das sehe ich auch so! Du beginnst den Song und schaust, wo er endet. Ich mag besonders „Time Of Her Time”. Aus irgendeinem Grund ist das der Song, bei dem ich mich immer beim Mitsingen erwische. Ich lasse mich darin komplett gehen. Den mag ich wirklich!

Das ist ein Song, der sich ein wenig von dem abhebt, was ihr damals Going Blank Again gemacht habt: verspielter, weniger Feedback, weniger aufgekratzt.

Colbert: Ich mag die Gitarren und Drums darauf. Die machen einfachen, was sie wollen. Ich denke, das ist großartig!

Wir finden, dass eure Musik, die uns über die letzten zwanzig Jahre begleitet hat, kaum gealtert ist. Selbst für Menschen, die sich euren Songs nun zum ersten Mal nähern, sind die Songs frisch und spannend. Habt ihr eine Idee, woran das liegen könnte?

Bell: Ich weiß nur, dass sich die Songs für mich auch nicht alt anfühlen. Ich weiß gar nicht warum. Freunde haben mir auch gesagt, dass es sich nicht so anfühlt, als würde ich alte Songs spielen.

Colbert: Wenn ich mir alte Stage-Aufnahmen anschauen würde, dann würden sie mir vielleicht alt vorkommen, aber die Art und Weise, wie wir sie jetzt spielen, und der Fakt, dass wir uns im Jetzt befinden, lässt das Ganze einfach nicht alt erscheinen.

An einer Frage führt kein Weg vorbei: Arbeitet ihr an neuen Sachen?

Bell: Klar, in unseren Jams probieren wir auch neue Sachen aus, gerade in den Soundchecks passiert viel. Das ist der Moment, in denen wir die Songs eine Stufe höher tragen. Aber wir brauchen noch mehr Zeit, um alle neuen Idee zusammenzubringen. Und wenn wir etwas veröffentlichen, muss es einfach wahnsinnig gut werden.

www.ridemusic.net

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