Der Workaholic unter den Singer/ Songwritern mit einem weiteren Geniestreich.
RYAN ADAMS wird geliebt: von den Kritikern, die ihn als die Zukunft des Rock’n’Roll feiern und den 1974 in Jacksonville/North Carolina geborenen Sänger wahlweise als legitimen Nachfolger von Bob Dylan oder Bruce Springsteen bezeichnen, von den Fans, weil er Generationen übergreifend „die Alten“ in Erinnerungen schwelgen lässt und „den Jungen“ feine Lieder präsentiert. Zumindestens aber zollt ihm fast jeder eine gehörige Portion Respekt, weil er selbstbewusst und kreativ mit sämtlichen Spielarten des Rocks umgeht und gleichzeitig sich einen Dreck darum schert, dass man seinen Songs genau anhört, welche Platten im heimatlichen Regal stehen.
Meine erste Begegnung mit RYAN ADAMS war eher zufälliger Natur und im Jahr 2000. Heartbreaker hieß sein Solodebut nach dem (vorläufigen) Split seiner Band WHISKEYTOWN und sollte mit seinen zerbrechlichen Folksongs und seiner tieftraurigen Stimmung der Beginn einer neuen Leidenschaft werden. Den Schritt zu rockigeren Stücken auf Gold (2001) machte ich entschlossen und ohne Zögern mit, auch wenn mir sein Status als „everybody’s darling“ der Americana-Szene (spätetestens seit der Hitsingle ‚New York, New York‘) schon reichlich auf den Zeiger ging. Und als ob RYAN ADAMS dies ganz ähnlich empfand, legte er mit Demolition (2002) eine Vollbremsung ein und verstörte Kritker und Fans gleicher Maßen, indem er ein fragment-/ demoartiges Album auf den Markt warf, dass man je nach Sichtweise als gescheitertes Experiment und dahingeschluderte Stückwerk oder als brillianten Geniestreich eines scheinbar durchgeknallten Superstars bezeichnen darf.
Man sagt, RYAN ADAMS schreibe Songs in einer Geschwindigkeit, in der manche Menschen ihre Emails beantworten. Sein kreativer Output ist der Legende nach so hoch, dass er ständig auf dem Songmaterial für zwei, drei Alben sitzt. Nicht verwunderlich also, dass 2003 zeitgleich mit Rock’n’Roll ein Minialbum namens Love Is Hell, Part 1 erschien, dem im Dezember des selben Jahres Love Is Hell, Part 2 folgte. Mit Rock’n’Roll verkaufte uns RYAN ADAMS kein A für ein B. ‚This Is It‘, so nur ein Querverweis auf dem Album und genau da lag die Antwort.
Nun wäre RYAN ADAMS nicht der Workaholic unter den Singer/ Songwritern, wenn er auch nicht diesmal wieder wenigstens ein Doppelalbum veröffentlichen würde. Zudem werden 2005 zwei weitere Alben erscheinen: das zweite wird den Titel Jacksonville City Lights tragen und wahrscheinlich Anfang September kommen. Dem nicht genug folgt im November noch die 7-Track-EP 29.
Die Qualität seiner Musik leidet trotz seiner manchmal überbordender Veröffentlichungsflut zum Glück nicht.
THE CARDINALS sind seine neue Band. Cold Roses ist sein neuer Jam, dessen Spektrum von Americana und Country über Roots- und Folkrock bis zum angepunkten Rock’n’Roll reicht, wobei die folkigen, countryesken, melancholisch-tieftraurigen Akustiktöne eindeutig überwiegen. Da singt ein verzweifelter junger Mann mit einem großen Herzen und Vergangenheit, in der unverhohlen auch eine ordentliche Portion Selbstmitleid und -verliebtheit ihren festen Platz gefunden haben (‚Magnolia Mountain‘).
Mit gewohnt großer Geste präsentiert RYAN ADAMS die insgesamt 19 Tracks auf dem Doppelalbum. Tragik und Schönheit paaren sich mit sanften Gitarren-Passagen und ADAMS‘ kehliger Stimme, die so viel Bedeutung, Kraft und Gewicht in eine Textzeile wie „But I ain’t got nothing but love for you“ (‚Sweet Illusion‘) legt, dass einem ganz schummrig wird. Todtraurig schließt denn auch CD 1 mit sterbender Stimme: ‚How Do You Keep Love Alive?‘.
CD 2 eröffnet mit einer Hommage an Neil Youngs beste Tage (‚Easy Plateau‘), um mit ‚Let It Ride‘ einen ebenso klassischen wie wunderbaren „Trainsong“ folgen zu lassen.
‚Life Is Beautiful‘ ist vielleicht das Schlüssellied des Albums. Nicht nur, dass RYAN ADAMS alle Intrumente und Gesangstimmen selbst eingespielt hat, so steht auch die Aussage im Mittelpunkt nicht nur dieses Songs: Das Leben ist manchmal traurig, hart und ungerecht, aber eben auch irgendwie schön.
Wer gerade den Blues hat, wird für Cold Roses eventuell seine Seele verkaufen (wenn er es nicht schon bei Heartbreaker getan haben sollte) und in Melancholie schwelgen, gleichzeitig ist sie mit ihrer unbändigen Energie und lässigen Entspanntheit Aufputschmittel und Hoffnungsmacher für geschundene Herzen.
„If I don’t believe in love, than I don’t believe in you. And I do.“ (‚Life Is Beautiful‘), so wischt eine einzige, fast beiläufige Bemerkung die Depression beiseite. Für einen Augenblick scheint man alle Liebe der Welt in den eigenen Händen zu halten…
RYAN ADAMS & THE CARDINALS
Cold Roses
(Mercury/ Universal)
VÖ: 02.05.2005
RYAN ADAMS spielt live am 7.7.05 in Berlin (Postbahnhof).
www.ryan-adams.com
www.ryanadams.de
Autor: [EMAIL=jana.schuricht@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Jana Schuricht[/EMAIL]