Sixx:A.M. | Retro rockt

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Was 2007 als ein Hobby-Projekt von MÖTLEY CRÜE-Bassist NIKKI SIXX, Gitarrist DJ ASHBA (mittlerweile bei GUNS N‘ ROSES) und Sänger und Produzent JAMES MICHAEL begonnen hat, geht mittlerweile in die dritte Runde: SIXX:AM veröffentlichen diese Tage ihr neuestes Album Modern Vintage, mit dem sie Großes vorhaben. Im nächsten Jahr geht die Band in den U.S.A. mit dem Album auf Headliner-Tour. Am Schlagzeug wird dabei JEFF FABB von BLACK LABEL SOCIETY sitzen, der schon im Studio an den Drums saß. Wir haben vor dem Release mit James Michael über Modern Vintage und die Pläne von SIXX:AM gesprochen…

Fangen wir doch gleich einmal beim Titel an: Das Album heißt Modern Vintage, aber ein Song mit diesem Namen findet sich nicht auf der Tracklist. Was bedeutet „Modern Vintage“?

Der Titel „Modern Vintage“ erklärt sich eigentlich selbst. Er funktioniert auf zwei Ebenen: Zum einen findest du, wenn du das Album hörst, immer wieder Momente, die vom Klang her aus den 60er oder 70er Jahren stammen könnten. Wir haben uns dabei sehr auf Techniken und Equipment verlassen, das auch zu dieser Zeit benutzt wurde. Gleichzeitig leben wir natürlich in der heutigen Zeit und benutzen zusätzlich modernes Equipment. Dadurch eröffnen sich auch in der Aufnahmetechnik neue Möglichkeiten, die damals nicht verfügbar gewesen wären. Klanglich ist das Album also eine Mischung aus Klassischem und Modernem. Aber es gibt noch eine weitere Bedeutung des Titels: Auf diesem Album feiern wir die Musik, die Alben und die Bands, die uns beeinflusst haben und die in uns letzten Endes dazu gebracht haben, Teil des Music Business sein zu wollen. Es sind Bands wie Queen, ELO oder auch David Bowie, denen wir ein akustisches Denkmal setzen wollten. In der heutigen Musikindustrie ist die Definition von dem, wie ein Rock-Album zu klingen hat, sehr eng. Die Leute erwarten wenig Veränderung von Album zu Album, sie wollen nicht sehen, wie Künstler sich weiter entwickeln – zumindest glauben die Plattenfirmen das. Wenn etwas also nicht genau so klingt, genau dieses Tempo hat und genau so und so lang ist, dann können sie es nicht gebrauchen. Wann und wie sich das eingeschlichen hat, weiß ich nicht, aber wir wollten den Blick auf die Rockmusik der 70er lenken und daran erinnern, dass das nicht immer so war. Wenn man sich alte Queen-Alben anhört, dann passieren da so viele unterschiedliche Dinge und trotzdem nennen wir es heute ein Rock-Album. Wir versuchen einfach nur, den Begriff des Rock-Albums neu zu definieren. Was läge da näher, als den Blick auf die Rock-Alben zu richten, die uns so sehr beeinflusst haben. Das bedeutet „Modern Vintage“ für uns.

Du bist für dieses Album auch gleichzeitig der Produzent. Inwieweit heißt die Besinnung auf klassische Rockmusik auch, dass Ihr im Studio vollkommen auf moderne Aufnahme- und Bearbeitungstechniken verzichtet? Ist Modern Vintage ein Retro-Album?

Es gibt eine Menge Projekte, die im Studio nur altmodische Geräte benutzen, alles analog aufnehmen, bearbeiten und so weiter und das ist auch in Ordnung. Unser Ziel war aber ein anderes: Wir wollten, dass die Einflüsse sehr klar zu erkennen sind, wenn man beispielsweise beim Hören denkt: „der Akkord hört sich an, wie ELO“ oder „das hat so einen Freddie Mercury-Vibe“. Wir benutzen in meinem Studio deshalb natürlich auch eine Menge altmodischer Geräte, aber worum es uns wirklich geht, ist, wie sich das Album anfühlt. Wir haben uns sogar beim Pacing (Anordnung der Songs nach Tempo) des Albums an dem Muster damaliger Schallplatten orientiert. Wir wollten, dass dieser Moment, an dem früher immer die Platte aufhörte und umgedreht werden musste, zu erkennen ist. Wir haben deshalb sehr viel Arbeit in die Anordnung der Songs gesteckt, was aber eine Menge Spaß gemacht hat. Wir wissen zwar, dass nicht jeder dieselben Assoziationen und Erfahrung mit unserer Musik machen wird, aber durch diese bestimmte Anordnung der Songs sind wir unseren Absichten auf jeden Fall treu geblieben.

Das heißt auch, dass es es bis auf einen Cover Song keine richtig langsamen Balladen auf dem Album gibt. Das Album hört sich dadurch etwas leichter an, vielleicht mehr nach Kalifornien?

Mir haben schon einige Leute gesagt, dass sich dieses Album leichter anhört. Und es stimmt. Einen song wie „Skin“, bei dem alle rhythmischen Elemente stark heruntergefahren werden, ist diesmal eigentlich nicht dabei. Aber als ich fertig mit dem Mixen des Albums war, bin ich direkt nochmal ins Studio gegangen und habe mich daran gesetzt, einige Songs in einer anderen Version nochmal vollkommen neu einzuspielen. Diese werden dann auf der Deluxe Digital Version von Modern Vintage enthalten sein. Es handelt sich dabei nicht einfach nur um Akustikversionen der Songs, sondern die Songs wurden komplett umgearbeitet. Beispielsweise der Song „Stars“, der für viele Fans sicher wie ein typischer Sixx:AM Song klingt – mit diesem stadiontauglichen Sound, dem triumphalen Refrain, den fetten, treibenden Gitarren und so weiter – wird dann zu einer echten Ballade. Was dem Text des Songs eigentlich viel mehr entspricht. Diese Version nennen wir die „cinematic version“, weil der Sound so viele Bilder beim Zuhörer auslöst, dass damit ein ganz anderer Eindruck und eine andere Message entsteht, als die Originalversion vermuten lässt. Es gibt also Balladen auf dem Album – sie kommen nur im Gewand von großen Rocksongs daher.

Um das Cover „Drive“ anzusprechen: Wie seid Ihr auf diesen Song gekommen? Für eine Band wie Sixx:AM ist „Drive“ sicher nicht die offensichtlichste Wahl.

Eigentlich wollten wir „Fooled Around and Fell in Love“ (von Elvin Bishop) covern und haben uns auch andere Songs angesehen, doch dann rief mich eines tages Nikki (Sixx) an und sang mir den Anfang von „Drive“ am Telefon vor. Da habe ich gesagt: „Wir können die Suche einstellen, ich glaube, wir haben unseren Coversong gefunden“. Denn es war klar, dass wir für das Konzept von Modern Vintage einen Coversong brauchten, um unsere Verbundenheit mit der Vergangenheit zu verdeutlichen.Wir nehmen also diesen Song, der die Vergangenheit repräsentiert und eine immense Bedeutung in sich trägt und spielen ihn auf moderne Art, so dass vielleicht der Text mehr Aufmerksamkeit bekommt. Die Message dieses Songs ist so beeindruckend und trotzdem erinnere ich mich, wenn ich an das Original denke, in erster Linie an das dazugehörige Video. Ich habe den Eindruck, dass dadurch mehr Inhalt transportiert wurde als durch die Musik, die im Original wunderschön linear war. Da gab es keinen großen Refrain oder sonst irgendwelche musikalischen Höhepunkte. Bei unserer Version ist das anders: Der Song fängt zwar wie eine Piano-Ballade an, aber dann gibt es auch Passagen in denen mehr los ist, was den Song selbst „visueller“ macht.

…gleichzeitig gibt es in diesem Song mehr elektronische Sounds, er klingt kälter, mechanischer.

Ja, ich habe mich dazu entschlossen, bei der Aufnahme einen Vocoder zu benutzen, weil viele Leute finden, dass sich der Sound dadurch technologisch und modern anhört, dabei gibt es dieses Gerät schon so lange. In der heutigen Popmusik zum Beispiel kommt es sehr oft zum Einsatz. Ich finde einfach den Gedanken lustig, dass dieser Klang, der so neumodisch daher kommt eigentlich von einem der ältesten technischen Geräte stammt, die wir bei der Aufnahme verwendet haben. Es ist schon seltsam, dass dieser eine Song, den wir nicht selbst geschrieben haben, am Ende die Kernaussage des gesamten Albums so gut auf den Punkt bringt.

Aber natürlich gibt es noch 10 andere Songs auf dem Album, beispielsweise die Single-Auskoppelung „Gotta Get It Right“.

Wir hatten das Album schon fertig eingespielt und beim Label abgeliefert und sie fanden es toll und meinten, das Album sei komplett. Gleichzeitig baten sie uns aber, vielleicht noch ein bisschen mehr in die Richtung Alternative-Music zu gehen, also trafen wir uns nochmal und nahmen „Gotta Get It Right“ auf, worüber ich sehr froh bin. Denn genau so, wie „Drive“ die Bedeutung von Modern Vintage erklärt, ist „Gotta Get It Right“ ein wahrer Rock-Song. Zumindest das, was wir dafür halten – es wird sicher Leute geben, die da anderer Meinung sind, weil der Song keine Wall-Of-Sound-Gitarren oder kein Gitarren-Solo hat. Aber das Herz dieses Songs ist die Rhythm-Section, die Drums und der Bass – die gerne übersehen werden, wenn man nach den Merkmalen eines typischen Rocksongs sucht. Der Song ist aggressiv, aber die Aggression kommt aus einer anderen Richtung. Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass Rock-Alben in den 70ern viel abwechslungsreicher waren und die Schubladen für Rock-Alben heute etwas enger sind. In diesem Zusammenhang war es uns wichtig, Risiken einzugehen – auch gegenüber den eigenen Fans – und diesen Song aufzunehmen. Nur so können wir erklären, worum es in diesem Album geht und warum wir es aufgenommen haben. Natürlich gab es auch Gegenwind. Einige unserer Fans, die auf härtere Musik stehen, fragen schon mal „Was macht ihr da, Jungs?“. Ich hoffe aber diese Fans auf lange Sicht zurückgewinnen zu können, so wie es Queen bei beinahe jedem ihrer Alben geschafft haben. Außerdem ist das ja auch das Gute daran, Rockmusik zu machen: Man muss es niemandem Recht machen und keiner von uns hat es nötig oder gar Lust dazu, immer und immer wieder das gleiche Album zu schreiben und aufzunehmen.

Wo du gerade vom Songwriting sprichst: Wie hat man sich das überhaupt vorzustellen? Nikki Sixx dürfte ziemlich viel mit Mötley Crüe zu tun haben, DJ Ashba ist mit Gun n‘ Roses unterwegs – sicher auch kein Nebenjob, und du dürftest als Produzent und Solokünstler auch nicht gerade wenig zu tun haben. Arbeitet ihr viel über das Internet oder haltet Telefonkonferenzen?

Einer der Gründe, warum es jedesmal zwei Jahre dauert ein Sixx:AM Album aufzunehmen, ist, dass wir uns weigern alles als Daten hoch- und runterzuladen und mit Schnipseln als Email oder mit Skype zu arbeiten – was nicht heißt, dass so etwas gar nicht bei uns vorkommt. Aber jedem von uns Dreien ist es wichtig, zusammen im gleichen Raum zu sitzen und Ideen für neue Songs zusammen zu entwickeln. Wie es danach mit den Songs weitergeht, kann sehr unterschiedlich sein. Manchmal nimmt einer von uns sich eines Songs an und macht alleine etwas damit, was dann vielleicht an die anderen geschickt wird. Je mehr wir zusammen sitzen können, umso besser. Außerdem sind wir gute Freunde –wir vermissen einander, wenn wir uns nicht sehen. Wir versuchen also so viel wie möglich zu schaffen, wenn wir uns mal treffen, wozu wir leider nicht allzuviel Zeit haben in den letzten Jahren. Es geht ja dabei immer darum, Musik zu machen und nicht im Büro zu sitzen und Emails zu verschicken. Als Produzent habe ich dafür extra eine mobile Ausrüstung, die es mir erlaubt, alles zusammenzupacken und dann beispielsweise zu DJ (Ashba) zu fliegen, dort ein paar Tage lang Gitarren Tracks aufzunehmen und danach vielleicht für ein paar Tage zu Nikki (Sixx) in L.A. zu düsen und mit ihm die Bassspuren aufzunehmen. Dann zurück nach Nashville, dort alles abmischen, dann vielleicht wieder nach Vegas und so weiter – zwei Jahre lang. Gleichzeitig hat mir die Arbeit an einem Album noch nie so viel Spaß gemacht, wie das bei Modern Vinatge der Fall war. Wir sind einfach sehr dankbar dafür, dass diese Band uns ein Ventil bietet, mit dem wir die gesamte Verrücktheit unserer jeweiligen Karrieren verarbeiten können.

Dabei ist die Band, die ja nur als kleines Nebenprojekt von Nikki Sixx angefangen hat, sehr erfolgreich. Besonders überraschend ist vielleicht, dass DJ (Ashba), nachdem er bei Guns n‘ Roses eingesprungen ist, immer noch Zeit und Energie genug hat, um sich Sixx:AM zu widmen.

Die Verwandlung, die DJ durchgemacht hat, ist faszinierend. Schon bei den Aufnahmen für Heroin Diaries war er ein echt guter Gitarrist, aber seit er bei Guns n‘ Roses spielt, ist er einer der besten Gitarristen, die ich je gehört habe. Er ist unglaublich präzise und sehr kreativ. Ihn in der Band zu haben ist purer Luxus.

Die Rollen von Nikki Sixx und DJ Ashba sind ziemlich klar verteilt. Deine Rolle ist eine ganz andere: Du bist als Sänger und Musiker zwar einerseits Teil der Band, andererseits stehst du als Produzent aber der Band auch als Produkt gegenüber. Wie funktioniert das?

Es stimmt, dass diese Situation in den meisten Fällen nicht ideal ist. Bei jedem anderen Projekt würde ich mich bestimmt auch nicht so gerne selbst produzieren, aber bei diesen Jungs ist das etwas anderes. Wir vertrauen und unterstützen einander sehr. Normalerweise besteht der Job des Producers ganz klar darin, eine andere Perspektive einzunehmen, als die Band, also entspricht das was ich mache nicht dem üblichen Konzept. Mich selbst betrachte ich bei Sixx:AM trotzdem nicht vornehmlich als Sänger. Ich bleibe immer selbstkritisch genug, um solange an meinem Part zu feilen, bis alles hinhaut. Man kann sein Ego zwar nicht ganz außen vor lassen, aber alle Mitglieder von Sixx:AM verfügen über diese Fähigkeit, den anderen zuzuhören und gleichzeitig die eigene Leistung kritisch zu betrachten.

Als Sänger bist Du sehr variabel – beim letzten Song des Albums „Before It’s Over“ hörst Du Dich fast an wie Meatloaf, den du ja auch schon produziert hast.

Das stimmt, ich habe für Meatloaf schon Songs geschrieben und produziert. Aber wenn Du meinst, dass der Song Dich jetzt schon an Meatloaf erinnert, dann warte mal ab, bis Du die Piano Version des Songs hörst. Ich singe da die höchste Note, die ich je auf einer Aufnahme gesungen habe. Man hört, dass ich schon immer einen Flair für Dramatik hatte.

Wie geht es jetzt, wo Mötley Crüe ihre definitive Auflösung nach der laufenden Tour angekündigt haben und der Erfolg von Sixx:AM ständig größer wird, weiter?

Als wir The Heroin Diaries Soundtrack aufgenommen haben, hat niemand von uns vorhersehen können, dass es überhaupt ein zweites Album geben würde. Aber die Arbeit daran hat einfach so viel Spaß gemacht, dass wir den nötigen Mut gefunden haben, ein zweites Album aufzunehmen. Da war Sixx:A.M. noch keine offizielle Band, sondern nur ein Projekt. Bei den Aufnahmen zu Modern Vintage sagte dann einer von uns: „Ich kann es kaum erwarten, das vierte Album mit euch aufzunehmen“. Ich denke seit spätestens diesem Moment sind wir eine richtige Band. Im nächsten Jahr werden wir, nachdem Mötley Crüe ihre Abschiedstour beendet haben, dann zum ersten Mal als Headliner auf Tour gehen.

Und irgendwann gibt es dann das vierte Album. James Michael, wir danken für Modern Vintage und natürlich für dieses Interview.

SIXX:AM
Modern Vintage
(Rykodisc / Warner)
VÖ: 03.10.2014

www.sixxammusic.com

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