SOAP&SKIN am 12.02.2012 in der Volksbühne


„Ich will eine Made sein.“



Vor der Volksbühne tummeln sich trotz eisiger Kälte die Menschen. Das Konzert ist ausverkauft. Bei jedem Menschenschwall, der sich aus dem U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz über den Platz vor dem Theater ergießt, regt sich jedoch die Hoffnung. „Haben Sie vielleicht noch Karten?“, fragt ein älterer Herr mit weißem Haar, der an den Geschichtslehrer aus den Schulzeiten erinnert, eine Gruppe junger Leute, und hinter ihm reckt Beute vermutend ein Mädchen mit Totenkopfohrring in schwarzer Lederkluft den Hals.

Das Publikum ist sehr gemischt. Drinnen auf den Steintreppen sitzt augenscheinlich Lumpi aus „Der kleine Vampir“, neben sich und fest im Griff hat er eine altmodische Tischlampe. „Hast du die Lampe dabei, falls Anja Plaschg zu düster wird?“, fragt ihn ein Mädchen. „Nein, die hab ich mir nur eben gerade noch gekauft“, antwortet er. Die umstehende Berliner Hipster-Menge mit ihren Hornbrillen schaut desinteressiert.

Im Konzertsaal laufen die Einstürzenden Neubauten und in unregelmäßigen Abständen schwirren kleine Nebelwolken über das einsame Klavier und das Podest dahinter hinweg. Es ist fast 20:00 Uhr. Die Unruhe im Raum legt sich, jeder hat seinen Platz gefunden. Man erkennt einige der Gesichter von draußen wieder und gratuliert ihnen innerlich zu ihrem Glück. Sogar der Geschichtslehrer ist da.

Dann setzt die Dunkelheit ein und die ersten Takte von „Deathmental“ des neuen Mini-Albums Narrow (Release-Date: 13.02.2012) erklingen. Über die Bühne geht ein Fegefeuer aus kaltem Licht, die Scheinwerfer verharren jeweils nur kurz auf der Stelle, und so sieht man die Gestalt kaum, die zwischen ihnen hindurch wie ein Schatten nach vorne zum Mikrophon, nach rechts und nach links, und wieder zurück zum Mikro huscht. Dann fängt ein Lichtkegel sie endlich ein, und Anja Plaschg alias SOAP&SKIN beginnt zu singen: „Cede to wash the knife / and thy lust wants my hash life / Hell won’t tolerate hymns“.



Wie ein Schatten huscht sie über die Bühne, dann fängt ein Lichtkegel sie ein: SOAP&SKIN ist da.

Sie trägt einen knielangen schwarzen Mantel und darunter ebenfalls ausschließlich schwarz. Schwarze Strumpfhosen, schwarze flache Stiefel, einen schwarzen Rock und ein schwarzes Longsleeve. Das Haar leuchtet rot und fällt ihr wie ein Vorhang ins Gesicht. Dieser Vorhang wird sich während des kompletten Abends nur selten lüften.

Die Zeit rast dahin. Das Konzert vergeht schneller als man denken kann, so sehr ist man im Bann dieser Stimme und dieser Wucht, dieser unglaublich emotionalen Wucht, die da über einem zusammenstürzt und unter einem Abgründe gräbt. „You ask why I keep still / why I don’t pour it out into the night“ heißt es in ihrem „Cradlesong“, ebenfalls vom neuen Album Narrow, und Anjas Schatten bewegt während ihres Pianospiels das Licht. Aber von Stillhalten kann bei dieser Frau wirklich nicht die Rede sein, und die Art, wie sie ihre Pein aus sich heraus schüttet, hinterlässt das Publikum nach jedem Song in einer Art erstarrten Ergriffenheit, die erst einmal überwunden werden muss, bevor ein Applaus überhaupt möglich ist.



Mit Ensemble: Nach jedem Song dauert es erst einige Sekunden, bevor das Publikum klatschen kann.

Nach dem neunten Stück des Abends, „Fall Foliage“ ihres Vorläuferalbums Lovetunes for Vacuum, überlässt die 22-Jährige für die Dauer des Instrumentals „Ddmmyy“ dem 6-köpfigen Ensemble die Aufmerksamkeit des Publikums. Sie selbst kauert sich an den Bühnenrand, mit dem Rücken zum Saal und wippt ein wenig hin und her. Man spürt es, irgendetwas braut sich da in diesem Mädchen zusammen.



Man spürt es, etwas braut sich in diesem Mädchen zusammen…

Die eigenen Lieder scheinen alte Dämonen hochzubringen, und vor allem bei „Vater“ beherrscht ein grausiger Wahnwitz die Atmossphäre, als Anja immer und immer wieder zu einer Art Kinderliedmelodie wiederholt: „Ich will eine Made sein“. Bei den letzten offiziellen Stücken dann endlich bricht alles aus ihr heraus. Während „Marche Funèbre“ beginnt ihr Exorzismustanz, und während eine eingespielte Stimme über den bombastischen Tönen dieses dramatischen Stückes „Am I in physical pain or mental illness“ krächzt, zuckt Anja in abgehackten Bewegungen über die Bühne. Sie krümmt sich immer wieder, ein wenig wie ein Hardcore-Sänger, dann aber auch wieder ganz anders. Als sie dann mit ausgebreiteten Armen das Crescendo des Songs singt: „Fall, fall /Bad weeds grow tall /Hold on skin, fold on“, scheint ihr Gesicht vom Scheinwerferlicht so verzerrt, dass es an Regan MacNeils erinnert, und wie man später beim Durchsehen der Fotos feststellen muss, fiel man dabei nicht unbedingt einer optischen Täuschung zum Opfer..



Bei „Marche Funèbre“ scheinen alle Dämonen aus der 22-Jährigen auszubrechen

Nach sechzehn Songs dann ist das Donnerwetter vorbei. Das Ensemble und Anja haben die Bühne verlassen. Das Publikum muss sich einen Moment erholen, dann bricht es in tosenden Jubel aus. Die Füße trampeln auf den Boden ein und der Saal erbebt. Aber ist Anja Plaschg jemand, der Zugaben gibt? Das ganze Konzert über hatte man oftmals das Gefühl gehabt, ein Gaffer zu sein, ein Spanner und ein Paparazzi, so sehr war die Österreicherin scheinbar in ihrer eigenen Welt verloren und so wenig nahm sie von ihrem Publikum überhaupt Notiz. Nur einmal sagte sie „Dankeschön“ und zwei Mal „Entschuldigung“, wenn sie sich am Anfang eines Stückes verspielte, aber das sah man jeweils nur, man hörte es nicht, so leise sprach sie in das Mikrophon.

Überraschend ist es daher, dass sie nicht nur eine, sondern sogar zwei Zugaben gibt, ein wenig beschämt angesichts so viel ihr entgegengebrachter Begeisterung. Nach dem letzten Satz, „I was born to lose“, ihres gleichnamigen ersten Zugabestückes wirft sie sogar einen ungeschickten Handkuss in die Menge, der allerdings irgendwo im Halbdunkeln fast verloren geht, so schnell bewegt sie sich schon wieder vom Scheinwerferlicht weg. Und trotzdem gibt es eine Standing Ovation! Minutenlang! Bis sie tatsächlich noch einmal zurückkommt, dieses Mal offensichtlich ganz aus der Fassung und mit vor den Mund gehaltenen Händen. Sie verbeugt sich immer wieder und lacht und lacht.

Und nun, die wohl größte Überraschung des Abends, setzt sie sich ein letztes Mal ans Piano und beweist etwas, womit man einfach nicht gerechnet hätte: Diese Frau besitzt Humor! Und sie muss sich selbst immer wieder unterbrechen und ein wenig Kichern, während sie ihre eigene Interpretation von The Doors ansetzt und mit fester Stimme über die anhaltenden Begeisterungsrufe aus dem Publikum zu singen beginnt: „This is the end / Beautiful friend / This is the end / My only friend/ The end!“



Ausgesöhnt. Zum Schluss gibt es doch ein Happy End und sogar gleich zwei Zugaben

Homepage: www.soapandskin.com
Facebook: http://www.facebook.com/soapandskinofficial
Intro-Interview:
http://www.intro.de/kuenstler/interviews/23053172/soap-skin-im-interview-allein-mit-der-angst
http://www.volksbuehne-berlin.de

Fotos: Nicola Dänner
Autor: [EMAIL=daniela.saleth@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Daniela Saleth[/EMAIL]

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