SPLATTERDANDY – Berliner Act des Monats Oktober 2005


Sexy Arschlöcher.



Sonntag 18.09., 18.00 Uhr, Görlitzer Park: eine Staatsgründung

Bundestagswahl 2005. Deutschland in Uneinigkeit, Zweifel, Unklarheit und Stagnation. Unter den urnengangwahnsinnigen Mittdreißigern herrscht teils paralysierte, teils schockierte Stimmung. Einziger Lichtblick: die Gründung eines neuen Staates – durch die SPLATTERDANDY ARMEE FRAKTION (kurz: SPD-AF), die laut Flugblatt “ … nicht auf einer optimistischen Einschätzung der Lage in der BRD, in Europa und weltweit“ beruht. Ich entschließe mich kurzerhand dem feierlichen Staatsakt beizuwohnen. Um 22.00 Uhr wird die Übertragung der Elefantenrunde und des höchstwahrscheinlich durch illegale Substanzen geförderten Auftritts von (wie wir nun wissen) Ex-Bundeskanzlers Gerhard Schröder durch die Staatsgründung durch SPLATTERDANDY und seine ARMEE FRAKTION unterbrochen.

BiB: Eine satirische Veranstaltung?

ROBERT DEFCON: Nur wenn die BRD eine satirische Veranstaltung ist. Kurz: Es fand eine Staatsgründung statt, im Görlitzer Park – der Dicke Deutsche Staat mit einem neuen Gesetz und einer neuen Nationalhymne. Wenn ich das einen politischen Akt nenne, dann nicht weil es parteipolitisch einzuordnen ist. Schließlich ist es Unsinn, Partei-Fragen wie Mehrwertsteuer rauf, Mehrwertsteuer runter politisch zu nennen. Vielmehr geht es darum zu zeigen, dass Macht ein Spiel ist, das auf dem Glauben der Untertanen an seinen Ernst beruht. Wir gründen also einen Staat, halten Wahlen ab, und simulieren so das, was draußen passiert, auf einer zweiten Ebene. Das haben nicht alle geblickt.

BiB: Beschimpfst Du immer das Publikum?

ROBERT DEFCON: Oft. An diesem Abend war es besonders heftig, weil die Situation politisch geladen war – die Leute hatten Angst, keiner wusste wohin es geht, was kommt. Eine latent aggressive Stimmung, unentspannt – und dann nimmt Splatterdandy es auf sich, solche Energien auszudrücken.

BiB: Mir ist explizit im Kontext der Platte aufgefallen, dass du die Leute einerseits gerne beschimpfst (siehe Fronttext des nazifizierten Covers), dich aber dann andererseits gerne wieder ins Boot der Beschimpften setzt, um selbst Teil davon zu sein.

ROBERT DEFCON: Das ist das, was Splatterdandy von klassischen Dandys unterscheidet. In letzter Instanz geht es nie darum, dass er über den anderen steht, der König ist, obwohl Splatterdandy seine Rolle mit Dankbarkeit annimmt. Denn am Ende herrscht das Spiel – immer – und das ist auch immer eine gemeinsame Tätigkeit. Der Boss wird gespielt – wie der Staat.

Umrahmt wird Splatterdandy von obskuren Charakteren, die omnipotent durch die Örtlichkeit performieren. Zum einen ein leichenhaft blasses Wesen, welches die grassierende Angst, die Vergangenheit repräsentiert, ein ebenso blasser Koloss in Wrestler-Outfit mit Maske und Lidl-Plus-Tütenumhang (die kleinen Preise inbegriffen), welcher den neuen Dicken Deutschen Staat darstellt, gefolgt von einem bayerischen Madel, welche explizitem Exibitionismus frönt, und einem dazugehörigen Goldjungen, der auf allen Vieren dem Duft jedwedem Glück hinterher schnüffelt. Kollektiv wird dabei die Hymne des ‚Dicken Deutschen Staates‘ gesungen.

SPLATTERDANDY positioniert sich mit seiner funky Techno-Rap Performance, gesanglich unterstützt von einer orientalischen Schönheit und dem brillanten kanadischen Gitarristen „The Iron Curtain“, ordnungsgemäß zentral hinter einem Rednerpult, und frönt dort einer intelligent-zynischen Wortakrobatik in deutscher Sprache. Am Ende der einstündigen Performance ist klar, dass dieser Berliner Antipop-Agitator wunderschön als Act des Monats Oktober auf der Bands in Berlin Seite platziert wäre. Ich mache ihm ein förmliches Angebot und werde freundlich, kurz und knapp am Tag der Deutschen Einheit zum Interview zu ihm nach Hause eingeladen.

Zeit zu recherchieren:

SPLATTERDANDY hat auf dem kleinen aber feinen Hamburger POP-UP Label eine Heimat und ein gutes Umfeld gefunden (welches sich u.a. für ein Remix-Album von Hildegard Kneef verantwortlich zeichnet) und dort am 11.09.2004 ein Album auf den Markt geworfen und höchstwahrscheinlich bei einem Cocktail aus Champagner, Wodka und einer ordentlichen Line ‚Kokain‘ auf den plakativen Namen Terrorista getauft wurde (Das, im wahrsten Sinne des Wortes „fi(c)kti(ef)(v)e“ Signing mit der Labelchefin, ist im Booklet nachzulesen.) SPLATTERDANDY ist die Erfindung von ROBERT DEFCON.



ROBERT DEFCON: Was mich interessierte, als ich Splatterdandy kreierte, waren Arschlöcher! Dandy ist der Begriff für die klassische Form des elitären, intelligenten Arschlochs. In dieser Tradition bewegt sich diese Figur, um zu zeigen, wie das funktioniert: Macht, Erfolg. Auch um zu zeigen, wie man Erfolg hat, wenn man über Leichen geht. Macht fasziniert mich, weil sie produktiv und zerstörerisch zugleich ist.

BiB: Dann ist Splatterdandy ein Kunstprodukt?

ROBERT DEFCON: Nein, ganz im Gegenteil, Splatterdandy ist eine Ausgeburt der realen Zustände. Er saugt seine Energien aus der Realität ab, nimmt Gifte aus der Umwelt auf und repräsentiert sie… also eine Real-Fiktion – könnte man sagen.

BiB: Generell gibt es eine grundlegende Diskrepanz zwischen Arroganz und Selbstkritik – in deinem Fall aber wird es zu einer Art Symbiose.

ROBERT DEFCON: Ja genau – Splatterdandy ist eine monströse, hybride Figur, die beides gleichzeitig repräsentiert, er erhebt sich, also die Leute kriegen auf der einen Seite das Bild von dieser arroganten Person, auf der anderen Seite wird aber auch so offen gezeigt, was dabei innendrin abgeht. Splatterdandy ist also auch ein kritisches Verfahren.

Dieses spiegelt sich permanent auf Terrorista wieder, ständig hin und her gerissen zwischen Schein und Sein, Profilieren und Scheitern vom Erklimmen der ‚tiefsten Stufe‘ und dem latent bevorstehenden Fall vom höchsten Gipfel mit allen dazugehörigen Freuden wie Sex, Drogen und Erfolg. Und davon gibt es eine ganz Menge auf Terrorista, doch wer glaubt, dass diese Komponenten der metropolistischen Glückseligkeit einfach sinnlos konsumiert und kommuniziert werden, irrt im Fall von SPLATTERDANDY gewaltig. Splatterdandy, der von ROBERT DEFCON als Romanfigur entwickelt wurde, und Christoph Schlingensief zu einem Boxkampf herausgefordert hat (nachzulesen auf www.spiegel.de) befindet sich auf einer innenpolitischen Reise nach Jerusalem und sitzt zwischen den Stühlen von Rocco Schamoni, Mocky, Seeed und seines ehemaligen Mitstreiters Gonzales, welche alle mit güldenem Samt überzogen aber per Zufallsprinzip mit Watte oder Nitroglyzerin gepolstert wurden. Ganz nebenbei errichtet der Mann, der genauso gut das irdische Pendant von Zaphod Beeblebrox sein könnte, wenn man davon ausgeht, dass dieser mit mindestens einem seiner zwei Köpfe des Rappens mächtig ist, nicht nur den Dicken Deutschen Staat, sondern auch den ‚Pornostaat‘, der ganz im Gegensatz zu Monaco offiziell damit kokettiert, von lauter Arschlöchern bewohnt zu werden. An dem gomorrschen Höhepunkt des Pornostaats werden sämtliche der weltweit 50.000 Mitarbeiter erschossen.

Bei POP-UP wird SPLATTERDANDYS Schaffen wie folgt beschrieben: „Der Flow von Splatterdandys expressionistischer Sprachgewalt wird durch die physische Funkyness von Hiphop, RaggaClash- und Dub-Grooves hedonistisch getuned – so als würde MissyE zu Gottfried Benn oder Dr. Mabuse zu SnoopDogg mutieren. Splatterdandy kanalisiert die destruktiven Eruptionen der deutschen Poptradition und macht sie geschmeidig für den Dancefloor.“ Um es mal eben auf den Punkt zu bringen.

3. Oktober, 14.00 Prenzlauer Berg

Ich werde kurz begrüßt und betrete eine schöne Berliner Altbauwohnung mit hohen Decken. Ich lege meine Utensilien, die ich für die Aufzeichnung des bevorstehenden Interviews mitgebracht habe, in einem Arbeitszimmer ab, welches auf der einen Seite wändeweise mit Musik-Equipment, digitaler wie analoger Bauweise, voll gestellt ist und auf der anderen Seite mit einer Literatursammlung beeindruckt, die zu konsumieren das eine oder andere Jahrzehnt in Anspruch genommen haben dürfte.

Mit der freundlichen Bitte um ein wenig Geduld nehme ich in der Küche Platz und teile ein opulentes Brunch mit der persisch-norwegischen Mitstreiterin SPLATTERDANDYS aus der Performance im Görlitzer Park, einem Israeli, der vor zwei Tagen aus Tel-Aviv eingetroffen ist und einem äußerst gut gelaunten, türkischen Schwulen. Ich lausche, wie diese über den Mythos der ‚Judith‘ sinnieren, welche irgendwen, in irgend einem Kontext, geköpft haben soll – gerade, als alle Beteiligten ihr gefährliches Halbwissen zu einer halbgaren Story verbunden hatten, gesellt sich ROBERT DEFCON dazu – klärt uns ganz beiläufig über die biblische Herkunft der Hebräerin Judith auf, die General Holofernes, einen Tyrannen im Auftrag von König Nebukadnezzar II, volltrunken und im Schlaf mit eigenem Schwert geköpft hat, um mich dann davon zu unterrichten, dass wir aufgrund aktueller Umstände, auf die er nicht näher eingehen möchte, unser Interview in ein Taxi Richtung Steglitz verlegen müssten, er mir die Rückfahrt aber gerne finanzieren würde. Ich willige ein.

14.30 Uhr:

Ich interviewe ROBERT DEFCON in einem Rauchertaxi nach Steglitz. Verbleibende Zeit: zwanzig Minuten. Mit dabei: die arabische Muse mit äußerst charismatischer Ausstrahlung und mich mit geistiger Aufmerksamkeit musternd, aber schweigend, dennoch immer den richtigen Gesichtsausdruck zur Frage findend, was mich nicht gerade sicherer macht, aber ich frage trotzdem:

BiB: Wieviel Improvisation und wieviel Konzept steckt hinter Splatterdandy?

ROBERT DEFCON: Grundsätzlich ist es bei Splatterdandy so, also auch bei Livekonzerten, dass man Situationen nimmt, wie sie gerade sind, und sie versucht auf den Punkt zu bringen, durch das, was man auf der Bühne tut. Das ist ein Konzept, dass sich auf die vorhandenen Lagen, die sich gerade einstellen, einlässt.

Berlin zieht an uns vorüber.

BiB: Glaubst du, dass Splatterdandy als Figur, sprich das ganze Konzept außerhalb von Berlin bzw. metropolistischen Strukturen, funktionieren könnte?

ROBERT DEFCON: Außerhalb von Deutschland, speziell in England, wo mein nächstes Projekt stattfindet, funktioniert Splatterdandy anders, vielleicht besser – auch wegen des schwarzen Humors, den hierzulande nicht jeder versteht. Das ist ein Problem – viele denken Splatterdandy sei bloß ein Arschloch und schließen daraus, dass ich es auch sein muss.

BiB: Findest du, dass Ironie eine sterbende Szene ist?

ROBERT DEFCON: Ironie ist immer eine sterbende Szene, weil es dilettantische Mitläufer gibt. Ironiker, die es einfach nicht bringen, z.B. Tita von Hardenberg bei Polylux. Zudem ist Ironie immer mit Arroganz verbunden und deshalb unsympathisch, weshalb ihre Kreativität oft unterschätzt wird.

BiB: Aha! Könnte sich Splatterdandy vorstellen, als Support für eine Lesung von Benjamin von Stuckrad Barre aufzutreten?

Die Schönheit lacht, als wenn sie mehr wüsste, dabei beziehe ich mich nur auf eine Textpassage aus dem Booklet, welche dem nicht veröffentlichtem ROBERT DEFCON Roman Korrupt entnommen ist und der Labelinformation, dass der Song ‚Kokain‘ eben diesem Benjamin von Stuckrad-Barre (Autor Soloalbum u.a.) gewidmet sein soll.

ROBERT DEFCON: Support ist der falsche Ausdruck – ich könnte mir vorstellen, dass ich ihm eine Rolle zuweise in meiner Show, weil SPLATTERDANDY einige seiner Aussagen direkt von Stuckrad-Barre klaut. Stuckrad taucht als Person in einer differenzierteren Figur wieder auf…

BiB: als Marionette? … als Arschloch? …

ROBERT DEFCON: … er ist eines von vielen Arschlöchern, an die ich gedacht habe … Wie gesagt, ich finde Arschlöcher faszinierend und sexy. Aber es muss mit Intelligenz verbunden sein, nur dann ist es gut. Das Schwierige bzw. die Ambivalenz dabei ist, dass wirkliche Schicksale miteinbezogen werden, im Falle von SPLATTERDANDY hat sich der arme Uwe Viehmann (Chefredakteur der Spex, Anm. d. Red.) bis jetzt noch nicht davon erholt.

(ROBERT DEFCON bezieht sich auf seinen Song ‚Viehmannantor‘, der von der Begegnung mit Uwe Viehmann am 8. Mai 2004 erzählt. Defcon hielt Viehmann zunächst für einen Praktikanten.)

BiB: Wer befindet sich im Dunstkreis von SPLATTERDANDY und wer ist zu empfehlen?

ROBERT DEFCON: Alle – es sind 25 Leute, die um SPLATTERDANDY ringen und ich kann für alle aus den verschiedensten Gründen meine Hand ins Feuer legen – denn ich arbeite nur mit Leuten zusammen, von denen ich weiß, dass sie selbständig gute Arbeit machen.

BiB: Keine Namen?

ROBERT DEFCON: Keine Namen! Ist nicht nötig, die sind so gut, die brauchen mich nicht.

14.55 Klinikum Steglitz:

Die Taxifahrt und damit das Interview endet unmittelbar vor der Notaufnahme des Klinikums Steglitz. Ich verzichte auf die Rückfahrt mit dem Taxi, bedanke mich für das Angebot und das Interview bei einem gelöst aber nachdenklich wirkenden ROBERT DEFCON, erhasche noch ein Augenzwinkern und sehe den beiden nach wie sie Hand in Hand in der Notaufnahme verschwinden. Ich verlasse das SPLATTERDANDY-Universum und begebe mich mittels Bus und Bahn zurück in meine Welt.



SPLATTERDANDY
Terrorista
(Pop-Up Records)
VÖ: 13.09.2004

www.splatterdandy.com
www.popup-records.de

Fotos: © SPLATTERDANDY / MAX DAX
Autor: [EMAIL=mirco.erbe@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Mirco Erbe[/EMAIL]

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