TER HAAR – Berliner Act des Monats Juni 2007


Experimentelle Instrumentalpoesie aus dem All.



Von TER HAAR ist vor wenigen Wochen ihre erste Veröffentlichung in Form des charmant nostalgischen 10″-Vinylformats auf dem renommierten Berliner Indielabel Sinnbusrecords erschienen, schon eine reife bzw. durchaus beachtliche Leistung für eine Band mit einem Durchschnittsalter von gerade einmal 18 Jahren.
Neben den (Live-) Aufnahmen der vier Stücke, die unter freundschaftlicher und natürlich in erster Linie produktionstechnischer Aufsicht von Kate Mosh’s Thom Kastning im Studio Bellevue entstanden und mit denen PHILIPP KOLLER (Gitarre), JONATHAN SAAL (Bass) und HANNES KASCHELL (Schlagzeug) in solch schönen, fast poetisch konnotierten Titeln wie ‚Lieboleure‘ oder ‚Pif Paf Poltrie‘ schon ungemein stilsicher und mit virtuoser Finesse der alten Tante Postrock mittels betont rhythmuslastiger Verspieltheit, rasanter Wahnsinnsloops und durchaus auch mal kantiger Postpunk-Gitarren zu Leibe rücken, waren die vergangenen 12 Monate im Leben der jungen Band aus Karlshorst von zahlreichen Konzerten inner- und außerhalb Berlins geprägt, zuletzt auch auf der Pop Up Messe in Leipzig.

Wir sprachen mit TER HAAR u.a. über die Entstehung der 10″, die Kooperation mit Sinnbus und ihren – angesichts ihres jugendlichen Alters ja fast schon etwas unheimlich anmutenden – Ruf als aufregende, exzellente Liveband.

BiB: Sagt uns doch einleitend kurz etwas zur Band-Biografie. Seit wann gibt es die Band, wie kam es zur Gründung, und habt Ihr schon immer in dieser Besetzung gespielt?

TER HAAR: Wir spielten bis Sommer 2005 alle in anderen Bands. Zur Gründung kam es dadurch, dass alle Lust hatten, musikalisch das Selbe zu tun. Philipp hatte schon ein paar Songs zusammengebastelt, und dann hieß es nur noch „cool, hab ich Lust drauf“. Joni und ich haben schon früher zusammengespielt, und Joni kannte halt Philipp. In der anfänglichen Besetzung waren wir auch noch zu viert.

Was hat es denn eigentlich mit dem recht ungewöhnlichen Bandnamen auf sich?

Der Bandname geht eigentlich auf den Namen eines Weltraumpiloten aus einem Stanislaw Lem-Roman zurück, allerdings tauchen immer weitere Bedeutungen auf. In unseren myspace-Kommentaren fand sich eines Tages folgende Erklärung. „Ein Haar war früher ein langer hoher Deich mit einem Hof am Ende. Als wir dann hier von Napoleon aufgerufen wurden, alle einen Namen zu wählen, gaben viele Leute den Beruf oder wo sie wohnten als Namen an. So entstand „auf den Haar“ (op de haar ), was später zu „zur haar“ (ter Haar) wurde. Grüsse aus dem Käseland.“ Man sieht, Ter Haar ist Pluralismus.

Angesichts Eures Durchschnittsalters von gerade einmal 18 Jahren: Woher rührt die Affinität zu Postrock, Postpunk und eher experimentellem Indie und insbesondere auch älteren/früheren Genre-Ikonen wie Karate, Refused oder Shellac (die ja u.a. auf Eurer myspace-Seite aufgeführt sind)? Habt Ihr die erst vor kurzem für Euch entdeckt, oder seid Ihr mit diesen Bands schon in frühen Jahren „aufgewachsen“ bzw. musikalisch sozialisiert worden?

Philipp kam über Punk zu Postpunk, bei mir ging es musikalisch so richtig mit At The Drive-In los. Mit der Zeit kamen dann andere Bands hinzu, man entdeckt immer wieder neue Musik oder verabschiedet sich davon. Es gibt Musik und Bands, wie z. B. Shellac, Refused oder Faraquet, die zeitlos bleiben und immer ihren Reiz bewahren werden. Es ist immer eine Frage, wie man sich Musik öffnet und was für eine Rolle sie in deinem Leben spielt.



War es eigentlich eine bewusste Entscheidung, auf Gesang zu verzichten, oder war dies in Ermangelung eines geeigneten Sängers eher aus der Not geboren?

Wir haben nicht nach einem Sänger gesucht. Instrumental zu sein, war für uns neu und eine Herausforderung, es macht vieles einfacher und lässt die Musik für sich sprechen. Gesang kann eine Ergänzung sein, aber Songwriting macht für die Art, wie wir Musik machen, keinen Sinn.

Wie ist das Gefühl, dass bei einem inzwischen doch schon ziemlich renommierten Berliner Indielabel wie Sinnbus Eure erste 10″ erschienen ist, gerade auch angesichts der ja oftmals schwierigen Situation in Sachen Labelsuche, Autrittsmöglichkeiten für junge, unbekannte Bands. Wie ist der Kontakt zu Sinnbus entstanden, kanntet Ihr das Label und Bands wie Torchous, Seidenmatt oder Ampl:tude schon länger?

Wir sind glücklich, dass bisher alles so unkompliziert geklappt hat. Wir kommen alle aus Karlshorst, sind alle hier zur Schule gegangen und quasi mit Sinnbus aufgewachsen. Durch das gemeinsame Interesse an Musik und Umfeld ergaben sich die Kontakte. In der siebenten Klasse haben wir zu Sinnbus aufgeschaut, das Label kannten wir über den Bruder eines Schulfreundes. Wir sind zu Konzerten von Torchous, Seidenmatt und Delbo gegangen und haben uns musikalisch beeinflussen lassen.

Wie war die Zusammenarbeit mit einer Produzenten-Ikone und einem „alten Hasen“ wie Thom Kastning, war das Verhältnis zwischen Band und Produzent von gegenseitigem Respekt geprägt, freundschaftlich oder eher distanziert? Welchen Anteil hatte er am jetzt vorliegenden Ergebnis?

Unser Verhältnis zu Thom ist superfreundschaftlich. Man kannte sich vom Sehen und Reden auf Konzerten, wir haben bei der Zusammenarbeit viel gelernt, und Thom hat uns während dieser Zeit viele lustige Geschichten erzählt. Thom hat uns ehrlich gesagt, was er von den Songs hält, hat uns sehr unterstützt und stand die ganze Zeit hinter dem, was wir machen. Das bringt einen auf ein ganz anderes Level, wenn alle motiviert sind. Wir haben die Songs live aufgenommen und dann mit ihm gemischt.

Wie kommt Ihr auf Songtitel wie ‚Harry Me‘, ‚Pif Paf Poltrie‘ oder ‚Lieboleure‘, bei Instrumentalstücken ja eh immer etwas schwierig?

Songtitel entstehen aus den Arbeitstiteln heraus, manche Songs haben daher auch zwei Namen, den offiziellen und den Arbeitstitel. ‚Harry Me‘ beispielsweise, weil uns der Loop am Anfang an einen lässigen Truckertypen erinnert. ‚Pif Paf Poltrie‘ klingt schön und hat irgendwie den Flow im Namen, der zum Lied passt, während ‚Lieboleure‘ eine Wortkombination von Joni darstellt – Liebe + Kontrolleure. Bei Instrumentalstücken gibt es viele Herangehensweisen, um auf Songtitel zu kommen.



Wie ist das gegenwärtige Gefühl, jetzt seit einigen Wochen zunächst mal eine 10″ auf Sinnbus draußen zu haben (warum überhaupt die Überlegung, dieses etwas ungewöhnliche Vinylformat zu veröffentlichen?) und auch von der begleitenden Promotion durch das
Label oder die Booking-/Promotionagentur kitty-go zu profitieren, wie macht sich das bemerkbar?

Es ist großartig, endlich etwas auf den Merchtisch legen zu können, die erste Veröffentlichung ist sowieso etwas ganz Besonderes. Die 10″ ist für uns ein Startpunkt, und ein interessantes Format ruft eine ganz andere Aufmerksamkeit hervor. Für uns wirkt sich das sehr förderlich aus, dass Bookingagentur und Label hinter uns stehen, denn wir können uns so auf die Band und das Musikmachen konzentrieren. Durch die Arbeit und Motivation können wir unsere Musik weiter nach Außen tragen.

Wie lief denn die Record-Release-Party im Bassy, wart Ihr zufrieden?

Die Record-Release-Party im Bassy war toll, sie war halt einfach ein Anlass, zusammen mit Freunden, Label, Bookingagentur und bekannten Gesichtern unser Debüt zu feiern.

Gibt es Kontakte zu anderen Berliner Bands, besteht so etwas wie ein (früheres) Netzwerk (also außer seit neuestem Sinnbus), dem Ihr Euch nach wie vor zugehörig fühlt? Könnt Ihr Berliner Bands empfehlen, die noch gar nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen bzw. noch völlig unbekannt sind?

Natürlich gibt es auch über Sinnbus hinaus Kontakte zu anderen Berliner Bands. In Berlin geht musikalisch einiges, und vieles entwickelt sich parallel. Vielleicht unbekannt, aber live ein Event sind Robotron, da ist viel Potenzial, sie sind gute Musiker und unsere Proberaumnachbarn. Basti hat bei einigen unserer letzteren Konzerte mitgespielt. Robotron spielen am 22.06. im Magnet, wir sagen: Hingehen!

Ihr werdet ja schon jetzt als exzellente Liveband gehandelt. Was macht diese Einschätzung Eurer Meinung nach aus, und welchen Ansatz verfolgt Ihr generell bei Liveauftritten? Geht es Euch da eher um eine möglichst originalgetreue 1:1-Umsetzung der Stücke, kommt es zu Improvisationen? Entwickeln sich die Stücke im Laufe der Zeit auch insbesondere durch die spezielle Eigendynamik der Live-Performance weiter?

Diese Einschätzung rührt vermutlich daher, dass wir live einfach nichts anderes wollen. Wir stehen hinter der Musik, die wir machen, und sehen sie als direkte Ausdrucksform, dadurch transportiert sich unsere Energie auch ins Publikum. Live zu spielen bedeutet für uns die Kommunikation unserer Musik, wir wollen sie weitertragen und teilen. Es geht nicht um originalgetreue Umsetzung, es gibt undefinierte Stellen, aber das sind dann keine Improvisationen. Es gibt viele Loops, da muss man genau spielen und tight sein. Das ist eine Herausforderung und macht unheimlich viel Spaß. Wir stehen darauf, wenn es kracht und bouncet. Das ist unsere Live-Philosophie. Eine Entwicklung der Stücke selbst ist uns jetzt noch nicht aufgefallen. Durch das regelmäßige Livespielen ergeben sich natürlich neue Ansprüche und Maßstäbe, die sich auch auf die musikalische Entwicklung auswirken.

Was zählte insbesondere in den vergangenen 12 Monaten zu den (Live-) Highlights, gibt es Unterschiede zwischen dem Feedback inner- und außerhalb Berlins?

Livehighlights waren die beiden Shows auf der Pop Up Messe in Leipzig, auch im Berliner Magnet Club waren es immer großartige Konzerterfahrungen. Menschen, die sich für Musik interessieren, sind immer und überall eine Motivation und Bereicherung.

Wo wollt ihr mit diesem speziellen und anspruchsvollen, ja doch eher wenig massenkompatiblen Musikstil noch hin, gibt es so etwas wie einen Masterplan? Gibt es schon Songs bzw. Pläne für ein Full-Length-Album, wann soll es in etwa erscheinen?

Wichtiger als massenkompatibel zu klingen, ist uns die Kommunikation und die Übertragung von Energie. Man merkt ja, ob es vorwärts geht oder ob man stehen bleibt und sich auf der Stelle dreht. Der Masterplan existiert so nicht, solange es vorwärts geht, ist das Masterplan genug. Ein Album soll nächstes Jahr erscheinen, wir haben viele neue Ideen und Inspirationen. Wir haben auch schon eine Idee, mit wem wir die Songs gerne aufnehmen würden.

Wenn Ihr es Euch aussuchen könntet: Mit welcher Band würdet ihr gerne mal zusammen auf einem Festival oder als Support spielen? Was sind ansonsten Eure derzeitigen Favoriten?

Da gibt es so einige Bands, mit denen wir gerne mal zusammenspielen würden, Battles zum Beispiel waren für uns alle ein Live-Erlebnis.
Gerade in den Ohren: Battles, Medications, Trans Am (Hannes) // Tokyo Police Club, Cats and Cats and Cats (Joni) // JR Ewing, Monochrome, Larytta (Philipp).

Die 10″ (Vinyl):

TER HAAR
Ter Haar
(Sinnbus/ Alive/ Hausmusik)
VÖ: 11.05.2007

www.terhaarmusic.de
www.myspace.com/terhaar
www.sinnbus.de

Autor: [EMAIL=thomas.stern@bands-in-berlin.com?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]

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