Das ist alles andere als Instant Coffee, Baby!
Ich werde dieses Geschäft nie verstehen. Während eine bis dato relativ unbekannte Band gerade mal Zwanzigjähriger Newcomer, die außer einer intellektuell anmutenden Ästhetik und ein paar (zugegebenermaßen ziemlich guten) Songs nicht viel vorzuweisen hat, auf fast all ihren Konzerten in Deutschland ausverkauft ist, schaffen es andere aus der ewigen Geheimtippecke einfach nicht hinaus. Ist es nicht irgendwie unfair, dass THE XX als das neue Ding aus dem Nichts erscheinen, bevor sie sich überhaupt irgendwelche Lorbeeren verdient haben – und dass im Gegenzug dazu die alten Hasen THE WAVE PICTURES im gerade mal gut halbvollen Festsaal Kreuzberg auftreten? Mag sein. Man muss aber auch die Kehrseite der Medaille betrachten: Während sich das THE XX-Publikum schätzungsweise zu 70% aus Musikbusiness und zu 30% aus hype-anfälligen Röhrenhosenträgern zusammensetzen wird, haben THE WAVE PICTURES eine zwar auf den ersten Blick etwas befremdlich anmutende (Wagenburgbewohner? Londoner East End Intelligenzija? Spanische Hausbesetzer?), dafür aber total fanatische und treue Anhängerschaft.
Ihren Auftritt beginnt das Trio aus Südlondon relativ unspektakulär, als sie von der Ein-Mann-Vorband STANLEY BRINKS zum Support seiner Zugaben auf die Bühne geholt werden. Eigentlich eine nette Überraschung, aber Begeisterung seitens Band und Zuschauern sieht anders aus. Das eigentliche Hauptkonzert fängt auch irgendwie lasch an: Keine Ansage, einfach mal so unmotiviert losgespielt und überhaupt: die Optik dieser Jungs, irgendwo zwischen Skaterlook, C&A und „Hauptsache gemütlich“: geht gar nicht. Wo ist das Charisma? Die Ausstrahlung kommt und potenziert sich gleichermaßen mit dem Wärmerwerden des Publikums. Die, sagen wir mal, „exzentrischen Individuen“ singen einen Großteil der Songs mit, machen einen auf „Rocky Horror Picture Show“ und halten ihre Schuhe bei ‚Black Shoes‘ in die Luft, bewegen sich für einen gewöhnlichen Donnerstagabend doch ganz schön wild. Das animiert auch Frontmann Franic zu etwas mehr Ansprache. Seine Anmerkungen und seine Selbstironie sind durchaus unterhaltsam (er steht auf Linsengerichte, sei’s drum).
Richtig gut wird das Konzert aber erst, als die beiden Aufwärmacts, STANLEY BRINKS und FRESCHARD, auf die Bühne kommen. Je nach Lust und Laune singen oder spielen sie mit, was absolut spontan und nicht einstudiert wirkt und so ein absoluter Gewinn für dieses Liveerlebnis ist. Überhaupt, es muss an dieser Stelle noch erwähnt werden, wie sehr hier die Chemie stimmt: Während FRESCHARD bei ihrem Soloauftritt zwar süß, aber auch etwas belanglos wirkt, dreht sie hier zu großer Form auf. Man sieht ihr an, dass sie die Songs liebt und auswendig kennt, und ihre bewundernden Seitenblicke zu Franic sprechen sowieso Bände. So wollen wir die kleine Französin sehen, mit Kippe und Bier in der Hand, losgelöst und absolut charmant. Die unansehnlichen Turnschuhe lassen wir das nächste Mal aber bitte zu Hause, non?
STANLEY BRINKS, für Uneingeweihte ein seltsamer, kettenrauchender Kauz mit doch eher minimalistischem Liedgut, ist Kennern auch bekannt als André Herman Düne. Die gibt es hier zu Hauf, deshalb ist das Publikum fast nicht mehr zu halten, als Stanley THE WAVE PICTURES unterstützt, indem er auf dem Rücken liegend den Blues spielt oder indem er dem Drummer das Hasseröder einflößt. Eine sehr, sehr gute Show, dazu brillante Songversionen von ‚I Love You Like A Madman‘, ‚Strange Fruit For David‘ oder ‚Now You Are Pregnant’… Jetzt noch ein trendiger Haarschnitt und engere Klamotten, dann klappt’s vielleicht doch noch mit dem späten Hype. Aber wer will das schon. THE WAVE PICTURES sind genau so, wie sie sind, liebenswert. Und die richtigen Leute wissen das.
http://www.myspace.com/thewavepictures
http://www.myspace.com/therealstanleybrinks
http://www.myspace.com/freschard
Autor: [EMAIL=sandra.wickert@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Sandra Wickert[/EMAIL]