Die perfekte Versöhnung von Geräusch und Melodie.
Ich erinnere mich an ein Festival im Jahr 2000 im Berliner Podewil, dass unter dem Motto „Wien.Berlin.UnterStrom“ stattfand. Neben Brachialelektronikern und Elektroakustikern aus Österreich, Frankreich und England schraubten, kratzten, frickelten und hämmerten auch die Düsseldorfer/Berliner Formation TO ROCOCO ROT mit ihrer Musik gegen alle konventionellen Hörgewohnheiten an. The Amateur View (1999) war gerade erschienen, und erste musikalische Vorboten von Music Is A Hungry Ghost (2001) schickten sich an. Die beiden LIPPOK-Brüder ROBERT und RONALD aus Berlin sowie STEFAN SCHNEIDER (ex-KREIDLER-Bassist) aus Düsseldorf bezeichneten ihr Werk damals als „konstruierte Improvisation“. Tatsächlich klangen die ersten drei Alben bewusst minimalistisch: verknappt und reduziert eben. Maschinelle Geräuschkulissen trafen auf schwebende Soundflächen, klassische Popharmonien mischten sich mit analogen und digitalen „beeps and clicks“. Avantgardistische Kunstmusik nannten es die einen; TO ROCOCO ROT hingegen verstanden ihre Werke immer als „offene Popmusik“ und vereinten konsequenter Weise auf Music Is A Hungry Ghost (2001) u.a. Reggae mit HipHop, Scratch-Einlagen mit Dancehall-Grooves auf abstrakter, dezenter und doch systematischer Art und Weise (in Zusammenarbeit mit dem New Yorker DJ und Produzenten I-SOUND).
Gut drei Jahre liegen nun seit dem letzten Album zurück. Für die 14 Tracks des neuen Albums Hotel Morgen haben sich TO ROCOCO ROT viel Zeit genommen. Sie zogen sich nach Berlin zurück: „Ruhe – Konzentration – Reflexion – Instinkt“ (to name just a few) nennen sie es selber. Ich sage Bestandsaufnahme dazu. Selbige gipfelt in einem unaufdringlichen aber phantasievollen, dabei völlig stress- und störungsfreien Elektronikalbum voll schöner Harmonien und wohltuender Balance.
Hotel Morgen verzichtet nahezu gänzlich auf althergebrachte Frickeleien und tendelt schon mit dem Opener ‚Dahlem‘ und dem grandiosen ‚Cosima‘ durch die wärmeren Gefilde elektronischer Popmusik. Das klingt dann doch irgendwie cool, aber eben nicht kalt. TO ROCOCO ROT überraschen mit einer Leichtfüßigkeit, Melodieverliebtheit und Gradlinigkeit ihrer Songs. Das Attribut Easy-Listening sollte dennoch tunlichst vermieden werden. Denn treibende Rhythmik wie bei ‚Basic‘ oder ‚Bologna‘ lassen keine Zeit für Couchpotato-Romantik. Während AIR mit Walkie Talkie leider knapp am Pop-Ambient-Kitsch vorbeischrammen, gelingt es TO ROCOCO ROT das Grenzland zwischen Pop, House, Post-Acid und zeitgemäßer elektronischer Musik perfekt abzustecken. Mehr noch, sie beschreiten dieses Territorium mit nahezu öbszöner Relaxtheit.
Musik, über die man eigentlich schwer schreiben kann. Sie gehört gehört!
TO ROCOCO ROT
Hotel Morgen
(Domino / Rough Trade)
VÖ: 19.04.2004
http://www.torococorot.com
http://www.dominorecordco.com
http://www.verstaerker.com