TORI AMOS am 07.10.2009 im Tempodrom


A night among Amos‘ people.



Mit großen Erwartungen kann mitunter großer Schaden angerichtet werden. Es ist leichter, sie zu enttäuschen als zu erfüllen, somit sollte man sich eigentlich davor schützen, diese aufzubauen, um dem, was da kommen möge, eine faire Chance zu geben. So sah ich mich mit dem Problem konfrontiert, mir selbst ein Konzert von TORI AMOS kleinreden zu wollen, um dieses Dilemma zu umschiffen. Ein schwieriges Unterfangen. So kam es, wie es kommen musste und ich begab mich ins Tempodrom… und erwartete nicht weniger als Überwältigendes von der Grande Dame des Piano-Spiels.

Durch leichte Verzögerungen am Kaltgetränk-Ausschank verpasste ich im gut gefüllten Großen Saal des Betonzeltes fast die musikalische Eröffnung des Abends. Und hätte dies bereut. Als Support wurde mit FOY VANCE eine Einmannkapelle aus Belfast geboten. Nur mit Gitarre, zwei Mikrofonen, Rechner und Schiebermütze ausgestattet, webte sich VANCE über Loops selbst seinen musikalischen Teppich, sang Chorgesänge über die Pickups seiner Gitarre ein, bearbeitete seine Akustik virtuos mit einem Bogen und klopfte auf ihr Rhythmen. In der Schnittmenge von Alternative und Soul bewegte sich der sympathische Ire mit der Leichtigkeit seines musikalischen Talentes und schaffte es, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Er provozierte einen ersten spontanen Szenenapplaus und hinterließ nach einem etwa halbstündigen Set eine gut eingestimmte, wenn auch noch sitzende Hörerschaft.

Kurz nach 21 Uhr füllte ein sphärisches Intro den Saal, und MATT CHAMBERLAIN und JON EVANS betraten die Bühne. Langsam, sorgfältig und nachhaltig baute die beiden Begleitmusiker die Stimmung auf, bis dann Miss AMOS in Aktion trat. Sie verbeugte sich vor dem Publikum und vor ihrem Flügel und nahm Teil am Musizieren. Das Intro mündete in ‚Give‘ vom im Mai dieses Jahres erschienenen Album Abnormally Atrracted To Sin. TORI sprach nicht viel mit dem Publikum, alle ihre Gesten, ihr Lächeln, ihre Körpersprache zeigten aber, dass sie sich wohl fühlte. Das Publikum war ihr bereits nach dem gelungenen Auftakt ergeben. Spontanes Aufstehen von den Sitzen, zeitgleiches Klatschen und Aufschreien einte die AMOS-Jünger im Publikum. Der Eindruck einer musikalischen Messe voll Poesie und Passion sollte sich wie ein roter Faden durch den Abend ziehen.

Platziert zwischen einem (Bösendorfer-) Flügel und einem Stagepiano, beide Instrumente jeweils um ein Keyboard ergänzt, erweiterte die Sängerin das Bild vom „Beidhändig-Spielen“ um eine dreidimensionale Komponente. So wurden Hits wie ‚Cornfalke Girl‘, aber auch Songs vom neuen Album wie ‚Flavour‘ zelebriert und vom Publikum mit obsessiver Begeisterung aufgenommen. TORI AMOS schafft es mit ihrem unvorhersehbaren Wechselspiel von elfenhaftem Gesang a la KATE BUSH und den mitunter zornig, sarkastisch klingenden tieferen Tonlagen ihre lyrische Musikalität zu inszenieren und allein über die Art des Gesanges zu interpretieren. Sie führt den Hörer durch musikalische Blumenfelder, um ihm dann in abrupt einsetzenden Brüchen die Fragilität jener Emotionen vor Augen zu führen. Es gefriert einem die gerade erst vergossene Träne der Rührung.

Nach etwa zwei Dritteln des Sets verließen Schlagzeuger MATT und der für die Saiten zuständige JON die Bühne, um Platz für die „Lizard Lounge“ zu lassen, der Part des Konzertes, den TORI AMOS traditionell allein am Piano bestreitet. Sind die hier gespielten ‚Apollo’s Frock‘ und ‚Goodbye Pisces‘ noch von ruhiger und bizarrer Schönheit, wurde zum Ende des Konzertes hin mit ‚Precious Things‘ und ‚Strong Black Vine‘ noch einmal richtig gerockt. Die geübten AMOS-People hatten hier erkannt, dass es an der Zeit war, nach vorne zu stürmen, an den Bühnenrand, um der musikalischen Eskalation am Ende des regulären Sets aus nächster Nähe beizuwohnen. Für den TORI-Live-Novizen eine Überraschung, dieser Spontan-Exodus. Nach zwei Zugaben endete mit dem schwungvollen ‚Big Wheel‘ der Konzertabend.

Es schien im weiten Rund klar, dass hiernach von TORI, MATT und JON keine Rückkehr auf die Bühne mehr zu erwarten war, ruhig und glücklich traten die Besucher daher umgehend ihre Heimreise an. Auch ich stellte somit das Klatschen ein und verließ in glücklich-entspanntem Aggregatzustand die Arena mit der gesunden Erkenntnis, dass hohe Erwartungen nicht nur enttäuscht, sondern auch übertroffen werden können.

www.toriamos.com
www.myspace.com/toriamos
www.myspace.com/foyvance

Autor: [EMAIL=alexander.knoke@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Alexander Knoke[/EMAIL]

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